
Segelschiff "Undine": Hamburg - Sylt in 24 Stunden
Sylt-Reise per Segelfrachter Das Traumschiff
Der Mann an der Quetschkommode gibt alles, damit im Museumshafen von Övelgönne Seefahrerromantik über das Kopfsteinpflaster schwappt. Passanten winken zum Abschied, die "Undine von Hamburg" salutiert mit dem Schiffshorn, und der Akkordeonspieler drückt die launig-leiernde Melodie des "Hamburger Veermasters" aus seinem Instrument heraus. Die Töne verhallen, als der 37 Meter lange Zweimaster ablegt.
Containerkräne säumen das Flussufer, als würden sie Spalier stehen für die vielen Schiffe, die tagtäglich vorbeifahren: Frachter, Schlepper, Polizei- und Ausflugsboote. Gehisste Segel sieht man hier selten. "Ich finde es schade, dass Segelschiffe nur noch diesen Nostalgiefaktor und kaum noch Nutzwert haben", sagt Torben Hass, Kapitän der "Undine". Der 37-Jährige will das ändern.
Seine Vision: Fracht unter Segeln transportieren - und gleichzeitig Passagiere befördern. Die schlechte Marktlage in der Schifffahrtsbranche schreckt den ehemaligen "Gorch Fock"-Offizier nicht. "Wenn ich es jetzt schaffe, auf dieser Küstenstecke Handelsverkehr zu etablieren, dann werde ich bei einer besseren Konjunktur erst recht erfolgreich sein." Sein Credo lautet: Träume nicht träumen, sondern sie leben. Mit den Containerriesen wolle er nicht mithalten. Im Laderaum der "Undine", die Hass kürzlich gekauft hat, kann er gerade mal 55 Paletten verstauen.
50 Tonnen Pflastersteine und ein Fass Rum
Bei seiner ersten Fahrt hat Hass 50 Tonnen Pflastersteine, ein Fass Rum und jeweils eine Palette Kaminholz, Tomatensoße und Sauce Hollandaise im Schiffsrumpf. "Nachhaltige Logistik" nennt der Kapitän sein Versprechen an die Kunden: Wer seine Ware mit Windkraft verschicke, handle umweltbewusst - und damit zeitgemäß.
Damit Hass das einlösen kann, will er auf der 15 bis 24 Stunden langen Fahrt durch Elbe und Wattenmeer so wenig wie möglich mit Motorkraft fahren und so viel wie möglich segeln. "Das geht natürlich nicht auf der ganzen Strecke, wenn man Lieferzeiten einhalten muss", sagt Hass. "Aber 70 bis 80 Prozent des Vortriebs durch Segeln wären schon gut."
Die "Undine" startet in Hamburg mit Maschinenkraft. Doch als der Wind auffrischt, gibt Kena Barz, die Erste Offizierin an Bord, das Kommando zum Segelhissen. Die zierliche 29-Jährige mit den zotteligen Haaren springt über das Deck. "Heiko, du ziehst die Gaffel an der Klau hoch, Marvin, du an der Piek." Zwei Passagiere hängen sich mit in die Leinen und helfen dabei, das Schonersegel aufzurichten.
Bei Sylt- und Segelfans kommt die Idee an. "Mehr als 4000 Anfragen hatte ich in den letzten Wochen", sagt Kapitän Hass, der die Möglichkeit zum Mitreisen seit Dezember bewirbt. Das Interesse hat ihn überrascht. Auch weil er für seine Geschäftsidee keine Kredite erhielt. Da wolle doch eh niemand mitfahren, habe ihm ein Bankberater gesagt. Eine Fehleinschätzung.
Kraftwerke und Kegelrobben
Wegen der großen Nachfrage nach Tickets überarbeitet Hass derzeit seine Internetseite, für die nächsten Monate ist er ausgebucht. Seine Kunden: "Von der Vorstandsriege über Hobbysegler bis hin zur Rentnerin, die ihrem Ehemann den Törn schenkt, ist alles dabei", sagt Hass.
Warum sie mitsegeln wollen? Die Strecke kann es nicht sein, ihre landschaftlichen Reize erschöpfen sich - vom Schiff aus betrachtet - schnell. In Blankenese liefern wenigstens die am Hang gelegenen Häuser noch ein Fotomotiv. Aber sonst? Je weiter es flussabwärts geht, desto mehr prägen Industrie und plattes Land die Szenerie. Die Passagiere blicken auf Kernkraftwerke und Windanlagen im Abendlicht. Immerhin lassen sich ein paar Kegelrobben im Watt blicken. Als die "Undine" an Cuxhaven vorbeisegelt, versteckt sich der Küstencharme der Stadt schon in der Dunkelheit.
Es muss die Lust auf Langsamkeit sein. Die Freude am Moment ohne Motor. Wer auf der "Undine" mitsegelt, der liebt die Stille, wenn nur der Wind ihn treibt. Der mag krauses Wasser und tosende Wellen. Der möchte nicht rasen, sondern reisen. Und der kann auf Komfort verzichten, zumindest für einen Tag und eine Nacht.
Ein luxuriöses Kreuzfahrtschiff ist der alte Gaffelschoner, Baujahr 1931, wahrlich nicht. Zwar hat Kapitän Hass das Schiff ein wenig hübsch gemacht. An Bord herrschen aber noch immer spartanische Umstände: Um die Toilettenspülung zu aktivieren, holt man sich mit einem Ösfass einen Schwall Nordseewasser an Bord. Wer unter Deck in einer der winzigen Kojen liegt, hört, wie die Wellen unablässig an die Schiffswand klatschen. Im Schlafraum herrscht eine Geräuschkulisse wie in einer schäumenden Waschmaschine.
In der Kombüse lodert stets ein Holzscheit im alten Backofen. Außerdem gibt es in dem einzigen Aufenthaltsraum heißen Kaffee. Ein bisschen mehr Komfort soll das Schiff in den nächsten Monaten noch kriegen. Zum Beispiel soll es Bänke geben, die man an die Reling haken kann - dann steht dem Sonnenbad an Deck nichts mehr im Wege.
Schiff der Chancen
Doch heute ist an warme Temperaturen nicht zu denken. Das Thermometer zeigt null Grad an, der Wind bläst von Nordost. "Gut für uns", sagt der Kapitän, dessen Ohren ganz rot vor Kälte sind, "so kommen wir ohne Motor voran." Wenn der Wind in die Segel pfeift, lächelt Hass und Grübchen graben sich in seine etwas eingefallenen Wangen. Bis zu 9,5 Knoten erreicht die "Undine" an diesem Abend. Doch in der Nacht, hinterm Lüchter Loch, einer schmalen Abkürzung in die Nordsee, dreht der Wind. Er kommt nun direkt von vorne. "Wir müssen die Maschine anschmeißen", sagt Hass.
Schiffsbetriebsingenieur Thomas Harms steigt die rutschige Leiter in den Maschinenraum hinab, setzt sich Lärmschützer auf die Ohren und den "Deutsche Werk"-Motor von 1937 in Gang. Wenn der Sylter von Kolbenpumpen und Ventilstößeln redet, Temperaturen prüft oder Metallteile mit dem Restöl reinigt, das er in leeren Würstchendosen aufgefangen hat, glänzen seine Augen. Er opfert seinen Urlaub, um auf der "Undine" dabei zu sein. Harms ist früher jahrelang zur See gefahren, war monatelang auf Frachtern unterwegs, die Spielzeugautos nach Norwegen oder Brennstoff für die Rallye Dakar in den Senegal brachten.
Doch wegen gesundheitlicher Probleme musste er seinen Job vor Jahren aufgeben. "Wenn ich Maschinenlärm höre und Kraftstoff rieche, dann vermisse ich die Schifffahrt sehr", sagt Harms, reibt sich die Finger an einem schon öligen Tuch ab und guckt auf seine dreckigen Nägel.
Seinen Traum erfüllt sich an Bord auch Heiko Wehde, vom Kapitän auch Dr. Deck genannt. Wehde ist 52 Jahre alt, Internist und dreifacher Familienvater. Als Lungenarzt musste er Patienten die Diagnose überbringen, wenn sie todkrank waren. "Die Arbeit war eine seelische Belastung", sagt der Zwei-Meter-Mann mit den grauen Haaren. Er kündigte mit Anfang 50 und studiert nun Nautik. Kürzlich heuerte er bei Kapitän Hass an. Als Praktikant. "Es ist nicht leicht, in meinem Alter hierarchisch wieder ganz unten zu stehen", gibt Wehde zu. Aber er liebt den neuen Job. "Ich bin mehr Segler als Arzt."
Als die "Undine" auf Sylt im Hafen von Hörnum anlegt, wartet der Kunde schon auf seine Ware. Die Decksleute entfernen die blaue Plane über der Ladeklappe, dann die Holzlatten. Der Kran greift in den Schiffsbauch und befördert eine Palette ans Ufer. Doch bei den schweren Pflastersteinen scheitert er. "Jetzt müssen wir einen neuen Kran herschaffen", sagt Kapitän Hass. Das klappt wohl erst am nächsten Tag. Nach vielen Jahren auf See nimmt er solche Rückschläge gelassen. "Eine weitere Nacht auf der 'Undine'", sagt Hass und lacht.