

Tourismusminister von Schleswig-Holstein über Ostern »Ich halte ein paar Tage an der Ost- oder Nordsee für möglich«
SPIEGEL: Herr Buchholz, wie sieht es an Schleswig-Holsteins Küsten derzeit aus, jetzt, da der Frühling in der Luft liegt – ist trotz des Shutdowns viel los auf den Promenaden der Ostseebadeorte? Travemünde klagte kürzlich bereits über zu viele Tagestouristen.
Buchholz: An besonders sonnigen Wochenendtagen in Scharbeutz oder am Timmendorfer Strand wird es schon mal etwas voller. Das sind Ausnahmen. Gastronomie und Beherbergungsbetriebe sind ja geschlossen, dadurch ist die Attraktion der Küste eingeschränkt.
SPIEGEL: Die Debatte über die Öffnung des Tourismus ist aber bereits in vollem Gange. Die einen geben den Urlaub um Ostern herum bereits verloren – wie Sachsens Ministerpräsident Kretschmer. Die anderen – darunter Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther – halten daran fest, dass es für Tourismus im April durchaus eine Chance gibt. Was sagen Sie?
Buchholz: Ich habe die Hoffnung auf einen Ostertourismus noch nicht aufgegeben. Natürlich werden wir nicht schunkelnd und johlend in irgendwelchen Lokalen sitzen. Was ich für möglich halte: Dass man seine eigenen vier Wände verlässt und ein paar Tage in einem Hotel an der Ost- oder Nordsee verbringt, unter Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln – und natürlich mit einem ordentlichen Strandspaziergang.
SPIEGEL: Wo in Schleswig-Holstein könnte das bald schon möglich sein? Rund um Flensburg beispielsweise sieht es eher schlecht aus. Die Stadt hat einen aktuellen Inzidenzwert von 193, es gab in den vergangenen sieben Tagen also 193 Infizierte auf 100.000 Einwohner.
Buchholz: Richtig. In den nördlichen Kreisen – zum Beispiel in Nordfriesland und Schleswig-Flensburg – liegt die Inzidenz derzeit zwischen 50 und 80. Aber wir haben im Land eine breite Spreizung. Im Kreis Plön liegt der Wert bei knapp 20. Insgesamt haben wir seit Donnerstag eine landesweite Inzidenz von unter 50, erstmals wieder seit November. Wir sind auf einem guten Weg.
SPIEGEL: In Flensburg wurden zuletzt bei neuen Infektionen fast nur noch mutierte Coronaviren festgestellt , die als deutlich ansteckender gelten als das herkömmliche Coronavirus. Im schlimmsten Fall könnten Ihre teilweise optimistisch stimmenden Inzidenzwerte rasch wieder ansteigen.
Buchholz: Wir müssen die mutierten Coronaviren sicherlich im Blick behalten. Aber nicht alle Experten teilen die Einschätzung, dass sie ein erhöhtes Ansteckungspotenzial mit sich bringen. Der Kieler Virologe Helmut Fickenscher etwa sagt, da werde reichlich übertrieben. Die Mutante B.1.1.7 sei maximal 1,7-mal ansteckender als das Ursprungsvirus.
SPIEGEL: Lothar Wieler, Chef des Robert Koch-Instituts, warnt davor, dass wir uns beim Infektionsgeschehen an einem Wendepunkt befänden. Er sagte am Freitag, der rückläufige Trend setze sich nicht mehr fort – auch weil nun so viele Corona-Fälle auf die Mutanten zurückzuführen seien. Macht Sie das nicht besorgt?
Buchholz: Es gibt Bundesländer, in denen die Inzidenzwerte derzeit steigen, zum Beispiel Thüringen, und Länder, in denen sie sinken, darunter Baden-Württemberg und auch Schleswig-Holstein. Eine Trendwende kann ich bei uns nicht erkennen. Wären da nicht die Hotspots wie Flensburg und Nordfriesland, dann wären wir sehr bald bei einer Inzidenz von 35.
SPIEGEL: Wie realistisch ist es, bis Anfang April auf diesen Wert zu kommen – oder auf einen Wert, der nach dem sogenannten Corona-Perspektivplan des Landes Schleswig-Holstein erste Öffnungen erlaubt?
Buchholz: Bis Ostern sind es noch sechs Wochen. Ich denke, es ist möglich, bis dahin auf eine stabile Inzidenz von unter 35 zu kommen. Hotels und Ferienwohnungen dürfen aber den Betrieb auch dann bereits wieder für touristische Zwecke aufnehmen, wenn der Inzidenzwert 21 Tage lang stabil unter 50 liegt.
SPIEGEL: Die Bedingungen für Lockerungen haben sich allerdings verschlechtert – auch durch die Mutanten. Wie wollen Sie sichergehen, dass es bei vermehrten Kontakten durch Urlauberinnen und Urlauber nicht doch zu Ausbrüchen kommen wird?
Buchholz: Sie müssten Abstands- und Hygieneregeln selbstverständlich einhalten. Und anders als im vergangenen Jahr werden uns in diesem Jahr Schnelltests zur Verfügung stehen, die wir einsetzen wollen. Sie bieten zwar keine hundertprozentige Sicherheit, können das Risiko aber mindern.
SPIEGEL: Welche Maßnahmen planen Sie noch?
Buchholz: Es wird Neuerungen geben, die eine bessere Nachverfolgung zulassen. Es ist nicht mehr angezeigt, dass dies in der Gastronomie mit Block und Bleistift stattfindet. Dafür gibt es Apps, die im Falle eines Kontakts zu einem Infizierten eine Verbindung zum Gesundheitsamt herstellen, ohne personenbezogene Daten an sonst wen weiterzugeben.
SPIEGEL: Ein Erfolg war 2020 die digitale Strandampel, die erstmals in der Lübecker Bucht zum Einsatz kam. Das ist eine App, die Alarm schlägt, wenn Strandabschnitte überfüllt sind – was auch etliche Male passierte. Welche Rolle spielen Strandampeln in Ihren Plänen für die Saison 2021?
Buchholz: Dieses sensorgestützte System hat sich durchgesetzt und soll künftig an vielen Orten in Schleswig-Holstein zum Einsatz kommen. Der Gast bekommt freie Strandabschnitte angezeigt – und damit Orte, an denen er leicht Abstand halten kann. Wir können damit tagestouristische Aktivitäten besser lenken.
SPIEGEL: Die Menschen sehnen sich nach Tagesausflügen, nach Freizeit, nach Meer. Wird Schleswig-Holstein den Einwohnerinnen und Einwohnern anderer Bundesländer dieses Jahr wieder den Zugang zur Küste verwehren, wie das im Frühjahr 2020 zeitweise der Fall war?
Buchholz: Nein, wir möchten den Tagestourismus nicht wieder generell einschränken. Es ist kein realistisches Ziel – auch wegen der Landesgrenze zu Hamburg. Man kann schlecht einem Bewohner von Stormarn den Besuch der Küstenregion ermöglichen und einem Hamburger, der 500 Meter entfernt wohnt, nicht. Das wäre eine unsinnige Regelung. Mecklenburg-Vorpommern hat das im vergangenen Sommer so gehandhabt, dort standen die Küsten nur den Menschen aus dem eigenen Land zur Verfügung. Nach Schleswig-Holstein dagegen durften Tagesbesucher im Sommer kommen.
SPIEGEL: Kontrollen an der Grenze zu Hamburg wird es also nicht geben in diesem Jahr?
Buchholz: Nein, das wollen wir nicht wieder erleben. Wir brauchen keine Abgrenzungen zu Hamburg. Die Stadt und Schleswig-Holstein – das ist eine gemeinsame Metropolregion.
SPIEGEL: Wäre es nicht sinnvoll, sich auch mit Mecklenburg-Vorpommern abzusprechen?
Buchholz: Bisher gab es keine gemeinsamen Beratungen in dieser Sache, wir sind aber zu Gesprächen bereit.
SPIEGEL: Sie machen nicht nur erholungsbedürftigen Menschen in Deutschland Hoffnung auf einen Urlaub im Frühling, sondern auch den Unternehmerinnen und Unternehmern im Hotel- und Gaststättengewerbe. Die sind auf Planungssicherheit angewiesen, denn ein Hotel oder ein Restaurant lässt sich nicht von heute auf morgen nach dem Shutdown hochfahren. Wird der Vorlauf reichen, den Sie den Betrieben überhaupt noch bis Ostern bieten könnten?
Buchholz: Das wird tatsächlich knapp, und ich kann nicht versprechen, dass es klappt. Normalerweise beginnt das Ostergeschäft rund zwei Wochen vor Ostern und zieht sich noch in die Woche danach. Es scheint mir möglich, Teile dieses Geschäfts mitzunehmen, was sehr wichtig für den Tourismus wäre. Die Branche macht in dieser Zeit rund 20 Prozent ihres Jahresumsatzes. Die Infektionszahlen müssten jetzt aber noch einmal deutlich nach unten gehen und sich stabilisieren, damit wir die Öffnung hinbekommen. Sicher ist das nicht.
SPIEGEL: Ist es dann sinnvoll, so vielen Menschen Hoffnung zu machen, wenn die Entwicklungen schlicht nicht vorhersehbar sind?
Buchholz: Wir könnten auch – so wie Karl Lauterbach – sagen, das wird eh alles nichts mehr in diesem Jahr. Ich fürchte nur, dass wir dann bald seitens der Bevölkerung keine Akzeptanz mehr haben werden für einschränkende Maßnahmen. Ich glaube, ohne Hoffnung geht es nicht. Wenn man es hinterher nicht alles realisieren kann, liegt es nicht am nicht vorhandenen Willen, sondern an den Werten.
SPIEGEL: Fühlen sich die Menschen dann nicht einfach nur beschwichtigt?
Buchholz: Wir möchten eine Perspektive und Klarheit bieten. Tourismus wird möglich, wenn es so weitergeht wie in den vergangenen Wochen. Und wenn man sich diszipliniert verhält.