
Wildnis-Camps für Kinder Indianer für ein Wochenende
Das Lagerfeuer knackt wie ein Peitschenknall, gleich passiert es. Tommy fuchtelt mit einem in mühevoller Handarbeit geschnitzten Holzstecken durch den aufgeschichteten Feuerturm, bis der schließlich mit noch größerem Getöse als eben in sich zusammenkracht. Dann drapiert der nimmermüde Grundschüler die glimmenden Hölzer mit seinem Dirigierstab wieder gekonnt übereinander.
Dieses Schauspiel betreibt er bereits seit zwei Stunden. Auch Marie und Jasper, die es sich auf Isomatten und Sitzkissen davor bequem gemacht haben, können sich kaum satt sehen am ständig wechselnden Funkenspiel. Ihre neunjährige Freundin Melania hat sich hingegen einer anderen Beschäftigung verschrieben: dem Flechten von Perlenarmbändern. Es ist nicht ihr erstes, sondern mindestens das zehnte. Am heutigen Tag.
"Langeweile kommt bei uns nicht auf", da sind sich alle Teilnehmer der Jachenauer Wildnistage sicher. Und das ohne Fernseher, Nintendo DS und Smartphone-Gedaddel. "Gerade deswegen", meint Luka, 14, und spricht wie einer, der gerade einen erfolgreichen Facebook-Entzug hinter sich hat: "Endlich Zeit für das Wesentliche."
Und das können ganz unterschiedliche Dinge sein. Der zehnjährige Tommy berichtet stolz, wie es ihm vor einigen Tagen selbst bei Regen geglückt ist, mit nur einem Streichholz und ohne Grillanzünder ein Feuer zu entfachen, auf dem er mit Hilfe eines pädagogischen Betreuers sogar ein Ei kochen konnte.
Tarnung mit Erdfarben
Ranins eindrücklichste Erfahrung der vergangenen Tage war der Gesangsabend im Tipizelt und Jasper wiederum schwärmt davon, wie er sich zusammen mit den anderen Jungs mit Erdfarben beschmierte und der hohen Kunst der Tarnung widmete.
"So ein Camp ist mehr als bloße Freizeitbeschäftigung und Aufbewahrungsstätte in den Ferien", sagt Anja Sporzem, die ihre Kinder schon öfter auf derartige Veranstaltungen mitgeschickt hat. "Sie kommen viel entspannter zurück, größer, ausgeglichener." Die Zauberformel lautet ihrer Meinung nach: weniger Reize, dafür mehr Natur, mehr Bewegung, mehr Kind sein dürfen.
Sporzem ist nicht die Einzige, die derartige Angebote zu schätzen weiß. Die muss man zwar schon gut suchen, doch man findet sie immer öfter: Wildnisschulen, die Camps für Kinder und Jugendliche, zunehmend auch für Familien und kinderlose Erwachsene anbieten. Eine davon ist die deutschlandweit aktive Wildnisschule Wildniswissen, die in verschiedenen Regionen der Republik einwöchige Jugend-Scout-Camps für 12- bis 16-Jährige veranstaltet.
Mit Erfolg. Wolfgang Peham, Gründer und Leiter, beobachtet in den vergangenen Jahren ein steigendes Interesse an diesen Camps, nicht zuletzt "weil Wildnispädagogik immer mehr Leuten ein Begriff wird". Eine andere Erkenntnis: "Vor allem Jugendliche, die schon mal an einem Camp teilgenommen haben, kommen mit Begeisterung wieder." Vermutlich liegt es auch daran, dass mit den positiven Erfahrungen die Skepsis von Eltern wie Kindern schwindet, was "das denn eigentlich für Leute sind, die so unkonventionelle Veranstaltungen organisieren".
Austoben, zelten, Spiele machen
Unkonventionell - so lässt sich auch das Wildniscamp Jenbach am Fuß des Wendelsteins bezeichnen, das die Wildnisschule Chiemgau so bewirbt, dass "Kinder auf einer abgelegenen Wiese direkt am Bergbach viel Platz finden, um sich auszutoben, zu zelten, Spiele zu machen, gefahrlos mit Pfeil und Bogen zu schießen oder einfache Unterschlüpfe zu bauen". Außerdem kochen sie das Essen selber auf dem offenen Feuer. Da kommt alles, was die Natur an Schmackhaftem zu bieten hat, in den Topf und auf den Teller. Gerade für Kinder aus der Stadt ist das oft eine neue Erfahrung.
So weit geht man im Wildniscamp am Falkenstein im Nationalpark Bayerischer Wald nicht. Zwar sollen sich auch hier alle Kinder und Jugendliche an gemeinschaftlichen Tätigkeiten beteiligen, doch das Engagement bezieht sich eher auf das Abspülen und das Aufräumen des Gemeinschaftsplatzes.
Gekocht wird in der benachbarten Großküche. Damit soll den Schulklassen und Jugendgruppen mehr Zeit eingeräumt werden für Erlebnisse inmitten des ältesten deutschen Nationalparks. Dazu tragen neben der Kulisse und den sozialpädagogisch wie naturgeografisch geschulten Betreuern vor allem die sechs stromlosen Schlafhütten bei, darunter ein Baumhaus, ein Wiesenbett mit Betten aus duftendem Heu sowie ein Wasserhaus über einem Bergbach.
"Das Konzept, in naturnaher Umgebung ohne großen Komfort zu wohnen und die Hütten als Inspiration für die Projektarbeit zu nutzen, hat sich bewährt", sagt Wildniscamp-Leiter Achim Klein und verweist darauf, dass die Nachfrage insbesondere von größeren Gruppen enorm sei. "Vielleicht liegt es auch", so Klein, an der "vergleichsweise soften Variante eines Wildniscamps, denn hier am Falkenstein setzen wir eher auf den Nationalparkgedanken und weniger auf Indianertugenden."
Allein das Schlafen in den Hütten, inmitten der Natur mit ihren ungewohnten Geräuschen, ermögliche laut Klein "ein Maß an Wildheit, das viele bereits an ihre Grenzen bringt - wobei die Gruppe das in der Regel gut auffängt". Derartige Erfahrungen in puncto Bewegung, Natur und Gruppendynamik tun manchen "einfach nur gut", schließlich beobachtet auch Klein einen nicht gerade geringen Teil an "Bewegungslegasthenikern und Kindern, die offensichtlich den Bezug zu den einfachen Dingen wie Balancieren nie gelernt haben".
Weitere Informationen:
Wildniscamp Jenbach, südlich von Bad Feilnbach, Tel. 01577/3457235
Wildnisschule Wildniswissen, deutschlandweite Jugend Scout Camps, Tel. 0511/5199680
Wildniscamp am Falkenstein, Zwieslerwaldhaus 2b, Lindberg/Bayerischer Wald, Tel. 09925/903121
Kosten: je nach Umfang, Dauer und Gruppengröße. Richtwert: ca. 200 Euro/Woche inkl. Verpflegung und Betreuung, manche Veranstalter bieten die Camps auf eine Art Spendenbasis an.