Fotostrecke

Albanien: Neues Leben für Bunker

Foto: Julian Caushi

Gruseltourismus in Albanien Im Land der 173.371 Bunker

Albaniens Bunker sind Zeugnis einer Diktatorenparanoia: gebaut, um Feinde abzuwehren, die nie kamen. Heute dienen die grauen Betonpocken als Kuhstall, Liebesnest - und Touristenattraktion.

Die Betontür zum Führerbunker der Sozialistischen Volksrepublik Albanien ist mehr als 15 Zentimeter dick. Und so schwer, dass sie ein einzelner Mensch nicht schließen kann. Aber im Ernstfall hätten das die Leibgarden für Enver Hodscha mit vereinten Kräften erledigt.

Denn dieser Bunker sollte ihn, den großen Diktator, und seine Generäle, Parteigenossen und Geheimpolizisten vor den Atombomben der fremden Mächte schützen, die er schon in seinem Albanien einfallen sah. "Laut den Bauplänen konnte die Tür einer Sprengkraft von 20 Kilotonnen standhalten. Sie wäre demnach stabil genug gewesen für die Bombe von Hiroshima", sagt Senata Murati, die Bunkermanagerin. Dann schmunzelt die junge Frau.

Hinter der Tür wartet das Vermächtnis des Enver Hodscha auf die Besucher von Bunk'Art 1 . Es riecht modrig, dumpf wummert die jahrzehntealte Belüftungsanlage. Schwach beleuchtete, lange Korridore führen hinein in ein unterirdisches Reich mit Dekontaminationsschleuse, Notstromaggregaten, Luftfiltern, chinesischen Geräten zur Sauerstoffherstellung sowie allerlei kommunistischem Krimskrams.

Sechs Jahre lang, von 1972 bis 1978, hat Albaniens Armee an "Objekt 0774" gebaut, wie der Bunker in der Militärsprache hieß. Fünf Etagen mit mehr als hundert Räumen haben die Soldaten damals in einen Berg am Rande der Hauptstadt Tirana gesprengt, gebohrt, gemeißelt - unter strengster Geheimhaltung, versteht sich.

Und heute? Schlendern Besucher aus aller Welt durch Hodschas Privatgemach, blättern durch eines seiner vielen Roten Bücher oder machen Selfies vor einer Schaufensterpuppe mit aufmontierter Gasmaske.

Betonpocken, die die Landschaft verunstalten

Das Relikt aus dem Kalten Krieg gehört dem albanischen Staat. Seit einem Jahr betreiben es Murati und ihre Mitstreiter der Nichtregierungsorganisation Qendra Ura als Touristenattraktion. Neben den historischen Räumen zeigt Bunk'Art 1 eine Ausstellung über den Alltag der Albaner in Hodschas Steinzeit-Kommunismus sowie Kunstinstallationen, kuratiert vom Italiener Carlo Bollino.

Im vergangenen November hat in Tiranas Zentrum Bunk'Art 2 eröffnet. In der einstigen unterirdischen Schutzanlage des Innenministeriums werden die Verbrechen der Diktatur aufgearbeitet.

Mehr als vier Jahrzehnte lang, von 1944 bis 1985, regierte der Stalinist Hodscha Albanien. Er führte sein Land mit eiserner Hand und mit Hilfe der Geheimpolizei Segurimi, er schottete es von der Außenwelt ab, verkrachte sich mit Jugoslawien, der UdSSR sowie seinem letzten bedeutenden kommunistischen Verbündeten China.

Am Ende war Hodscha fest davon überzeugt, dass US-Amerikaner, Sowjets oder Chinesen eines Tages Albanien angreifen würden. Er stimmte sein Volk auf einen Partisanenkrieg gegen die Invasoren ein. Und er verdonnerte es dazu, überall Bunker zu bauen, unter Parolen wie "Je mehr Schweiß beim Befestigen fließt, desto weniger Blut fließt im Krieg".

Von 1972 bis 1983 entstanden insgesamt 173.371 Bunker im ganzen Land: von 161.878 kleinen Verteidigungsanlagen mit Schießscharte für ein bis vier Normalalbaner bis hin zu zehn großen Kommandoposten für die Nomenklatura. So zumindest steht es in den Papieren von damals. Wirklich gezählt hat die Dinger niemand.

Schon beim Anflug auf Tirana sind sie überall zu sehen, die pilzähnlichen Gebilde mit ihren runden Deckeln aus Stahlbeton. Die Bunker stehen an den Küsten oder Gebirgspässen, entlang der Staatsgrenzen oder tief im Inneren, in einsamen Tälern oder Hinterhöfen der Hauptstadt. Ihr Bau kostete hundert Albaner das Leben, die bei Spreng- oder Bauunglücken umkamen. Und er lähmte jahrelang die Wirtschaft des ohnehin rückständigen Landes.

Weil sie so schwer sind und ihr Abbau so teuer ist, prägen - manche würden auch sagen: verunstalten - die Betonpocken bis heute die Landschaft. Bauern nutzen sie als Viehstall oder Getreidelager, Paare als Ort für die freie Liebe. Und sie ziehen auch ausländische Besucher an, die mal etwas ganz anderes sehen wollen. Lokale Reiseveranstalter bieten neuerdings "Bunker and Beach"-Touren an.

Ein Bunker-Hostel-Projekt scheitert

"Die Bunker haben enormes touristisches Potenzial. Sie sind einzigartig, und sie stehen an den attraktivsten Orten Albaniens: von Stränden bis zum Hochgebirge", sagt Markus Pretnar, Professor für Architektur an der Hochschule Mainz.

Attraktive Orte für Touristen hat Albanien viele: An der 300 Kilometer langen Mittelmeerküste liegen Strände aller Art. Und die bis zu 2700 Meter hohen Albanischen Alpen im Nordosten mit ihren tiefen Schluchten sind ein Wanderparadies. Auch kulturell gibt es einiges zu sehen: antike Stätten wie Butrint (Unesco-Weltkulturerbe), Ruinen von Kirchen und Klöstern oder mittelalterliche Orte wie Berat, die "Stadt der tausend Fenster".

Pretnar mag Albanien - und er ist ein Bunker-Fan. Er und seine Studenten haben vor ein paar Jahren einen Bunker im Küstenort Tale zu einem Hostel umgebaut. Doch wenige Stunden vor der Eröffnung mussten sie das Projekt abbrechen. "Auf einmal wollten Leute Geld von uns haben, die nichts mit dem Projekt zu tun hatten", sagt Pretnar. "Wir wurden am Ende so stark unter Druck gesetzt, dass wir uns nicht mehr sicher fühlten und binnen eines Tages abreisen mussten."

Die Bunkerunterkunft hat bis heute keinen einzigen Gast gesehen, angeblich ist sie wieder ein Viehstall. Aber die Idee hat offenbar Schule gemacht. Im Badeort Golem etwa kann man heute ein Bunker-Restaurant am Strand besuchen. An allen möglichen Orten haben Bunker-Bars eröffnet. In Tirana bieten Souvenirhändler Bunker-Aschenbecher feil.

Reisen in Albanien

Bunk'Art 2 zählt kein halbes Jahr nach Eröffnung zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt. Unter der Erde haben die Ausstellungsmacher im Auftrag der heutigen, demokratisch gewählten Regierung unter anderem Verhörkeller der Geheimpolizei nachgebaut. Da flackern Lampen, klackert eine Schreibmaschine, und an der Wand hängt eine Tafel mit 36 verschiedenen Foltermethoden, die Hodschas Schergen einsetzten, um politische Gegner zu quälen: Aufhängen an den Füßen, Einfuhr von Dynamit in den Körper, Anzünden der Geschlechtsteile und so weiter.

Zwei junge Albanerinnen starren, lesen. Einer schießen Tränen in die Augen. Die beiden machen kehrt, laufen schweigend die Stufen nach oben: zurück ans Tageslicht.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren