Amrum Das Leben ist ein langer, ruhiger Strand
Norddorf - Die erste Fähre am Morgen ist ausgefallen, und die übrigen halten sich an keinen Fahrplan. Der Wind weht kräftig aus Osten. Und das heißt, er ist nicht nur eisig kalt, er sorgt auch für Niedrigwasser. Jeder Kapitän der Wyker Dampfschiffahrtsgesellschaft WDR auf dem Weg nach Amrum hat dann Sorgenfalten auf der Stirn.
Im Winter haben die Fähren an solchen Tagen kaum Wasser unter dem Kiel. Wenn es dumm läuft, können sie gar nicht ablegen. Und wenn es ganz dumm läuft, starten sie doch und bleiben irgendwo stecken. Aber das passiert nur selten. Meistens tuckert der Motor gleichmäßig vor sich hin, während links die Warften der Hallig Langeneß auftauchen und an Steuerbord der Sandstrand von Föhr.
Die Überfahrt von Dagebüll im Norden Schleswig-Holsteins bis Amrum mit Zwischenstopp in Wyk dauert rund zwei Stunden. Im Winter ist das eine lange Zeit: Vor allem bei frostigen Temperaturen hält es dann kaum einer der Passagiere die ganze Zeit auf dem Oberdeck aus. Die meisten zieht es in den «Salon», wo Krabbensuppe oder heiße Schokolade serviert wird. Sitzplätze sind keine Mangelware: Die Zahl der Touristen ist im Winter überschaubar. Wenn das Fährschiff in Wittdün an Amrums Südspitze angelegt hat, fahren selten viel mehr als eine Handvoll Autos aus dem Schiffsbauch.
Schneebedeckte Dünen - Leere Sandkörbe
Von den Feiertagen im Dezember und vom Biikebrennen Ende Februar abgesehen, ist die nordfriesische Insel im Winterschlaf. Viel los ist dann nicht. Im Hochsommer kommen in Spitzenzeiten allein 8000 Tagesgäste, im Winter manchmal gar keine. Das Unterhaltungsangebot ist überschaubar - gerade einmal in der Woche zeigt das Inselkino in Norddorf einen Film. Aber dafür hat Amrum in den kälteren Monaten seinen ganz eigenen Charme. Unter den Reetdächern hängen dann Eiszapfen. Und wer Glück hat, erlebt die Insel sogar bei Schnee, auf den an der Nordsee allerdings nicht immer Verlass ist.
Das Dünengras trägt dann weiße Hauben. Der Kniepsand, der breite Strand an der Westküste, der sich über zwölf Kilometer erstreckt, liegt einsam an der eiskalten See. Herz- und Schwertmuscheln sind direkt am Spülsaum zwar auch im Winter zu finden, aber weit und breit keine Kinder, die sie als Sandburgen-Deko sammeln. Bis auf den Wind ist es absolut still.
Bei Minusgraden an der Wasserkante entlang zu laufen, hat schon etwas: Wen es nicht gerade am frühen Nachmittag an den Strand zieht, bleibt lange unter sich. Eisflächen glitzern in der tief stehenden Sonne. Von den Strandkörben, die im Sommer eng aneinander gereiht stehen, ist nichts zu sehen. Der Wind kann schneidend kalt sein.
Wer trotz frischer Brise noch etwas dazulernen möchte, kann sich an die Mitarbeiter der Schutzstation Wattenmeer halten. Sie bieten auch in der kalten Jahreszeit beispielsweise naturkundliche Führungen durch die Dünenlandschaft an, für die Amrum bekannt ist. Auch Wattwanderungen gibt es im Winter - mit Gummistiefeln und Schal statt barfuß mit Sonnenbrille. «Die langen Touren von Amrum rüber nach Föhr sind allerdings nur von Mai bis September im Programm», sagt Christian Johannsen von Amrum Touristik.
Ausgiebig spazieren gehen kann man auch auf der dem Festland zugewandten Wattseite. Der Wind ist hier im Winter nicht viel zahmer als am Kniepsand. Und nicht einmal der Zwischenstopp im Teehaus Burg auf dem Weg von Nordorf nach Nebel ist jetzt möglich: Winterpause. Von weitem zu sehen ist der Turm der Inselkirche St. Clemens, die immer einen Besuch lohnt, egal zu welcher Jahreszeit. Sie ist mit Reet gedeckt, wie viele der Häuser der Gemeinde Nebel, zu der auch die kleinen Orte Süddorf und Steenodde gehören.
Nebel: Inseldorf mit Kapitänshäusern
Nebel selbst gilt als schönstes Inseldorf - nicht zuletzt wegen der Kapitänshäuser aus der guten alten Zeit, als viele Amrumer Seebären als Kommandant auf Walfangschiffen Karriere machten. Wenn sie einerseits in die Jahre und andererseits zu Wohlstand gekommen waren, ließen sie sich bevorzugt in Nebel nieder.
Erfolgreiche Walfänger waren es auch, die die Kronleuchter im Kirchenschiff von St. Clemens gestiftet haben. Auf dem Friedhof davor sind ihre Gräber noch immer zu sehen - mit Grabsteinen, die viele Besucher faszinieren: Manche sind 300 Jahre alt. Oft haben die Steinmetze sie aufwendig mit maritimen Dekor verziert - nicht selten sogar mit den Darstellungen des Schiffes, auf denen der Verstorbene über die Weltmeere gesegelt ist. Und alle erzählen ausführlich aus dem Leben der Seeleute.
Ein typisches reetgedecktes Kapitänshaus aus dem Jahr 1736 ist nur fünf Minuten von der Kirche im Waaswai zu sehen - und auch von innen zu besichtigen. «Öömrang Hüs» heißt es auf Friesisch, der Sprache, die auf Amrum bisweilen noch gesprochen, zumindest aber von vielen noch verstanden wird. Immerhin an vier Tagen in der Woche ist es auch im Winter geöffnet. Das gilt grundsätzlich auch für den rot-weiß geringelten Leuchtturm, Amrums Wahrzeichen, der auf der Höhe von Nebel an der Westküste aus den Dünen ragt. Im Winter kann er allerdings nur mittwochs vormittags bestiegen werden.
Wer nicht nur spazieren, sondern irgendwann auch essen gehen will, muss das zumindest gut planen: Für viele Restaurants lohnt sich das Wintergeschäft nicht. «Aber in jedem Dorf hat mindestens eins offen», sagt Christian Johannsen. «Und auch auf die beiden einzigen Vier-Sterne-Hotels ist in dieser Hinsicht Verlass.» Im Winter wird dann auch schon mal Kost serviert, die nicht jeden Weight-Watcher begeistern dürfte: Amrumer Hummersuppe mit viel Sahne und einem Schuss Cognac zum Beispiel, Grünkohl mit Kassler oder Deftiges vom Mastochsen.
«Pharisäer» ist ganzjährig eine kulinarische Spezialität der Region, aber bei Frost und Schnee noch beliebter: Dahinter verbirgt sich ein Kaffee mit Sahnehaube und einem kräftigen Schuss Rum. Wärmer wird der Winter auf Amrum damit nicht wirklich - aber er fühlt sich gemütlicher an.
Andreas Heimann, gms