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Ballonfestival in Gällivare: Schwedens weiße Wildnis

Foto: Visit Gellivare Lapland

Ballonfestival in Schweden Propanparty am Polarkreis

Heiße Luft über eisigem Lappland: Dieser Tage zieht es Ballonfahrer aus ganz Europa nach Schweden, um hundert Kilometer nördlich des Polarkreises am Himmel zu schweben. Bei minus 15 Grad friert den Korbreisenden zwar die Nase - doch die Aussicht macht süchtig.
Von Pia Volk

Der Weihnachtsmann fährt keinen Rentierschlitten, heute jedenfalls nicht. Heute gleitet er in einem Heißluftballon über das verschneite Schweden. Das Thermometer zeigt am Boden minus 15 Grad Celsius, der Atem entweicht dem Mund in Schäfchenwölkchen. Der Mann im roten Mantel und mit dem roten Spitzhut thront in seinem Korb - der Bart so weiß wie die Ebene unter ihm, die Wangen rot, eine Kamera vor der Brust.

Der Mann in Rot heißt Sivert Svensson. Von November bis Februar kennen ihn die Menschen hier oben nur als Santa Sivert, dann stecken Kinder ihm Wunschzettel zu. "Ich fahre Ballon, weil ich wissen wollte, wie es wäre, wenn Rentiere fliegen könnten", sagt der 75-Jährige, seine Stimme ist tief und ruhig. Svensson lebt in Gällivare, einem kleinen Ort mit 8000 Einwohnern im schwedischem Teil Lapplands, hundert Kilometer nördlich des Polarkreises und in diesen Tagen Schauplatz des arktischen Heißluftballonfestivals.

Unter Svensson hat der Winter Seen, Felder und Wälder mit Schnee überzogen. Baumstämme versinken wie in weißem Puderzucker, die Wipfel sehen von oben aus wie riesige Eiskristalle. Zwischen den Tannen kann man Tierspuren erkennen, Rentiere vermutlich. Am Horizont erstreckt sich sanft eine Hügelkette, die offenbart, wie der Baumwuchs Richtung Norden niedriger wird. Neben Svenssons Gefährt sind noch sechs weitere Ballons am Himmel über Gällivare.

In Mitteleuropa ist das Wetter im Herbst und Winter zu schlecht zum Ballonfahren, es regnet und weht zu viel. In Schweden dagegen löst ein Hochdruckgebiet das nächste ab - ideal für das einzige Ballonfestival oberhalb des Polarkreises, zu dem Fans aus Spanien, Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und Litauen angereist sind. Die Kälte interessiert keinen, solange es nicht kälter als minus 25 Grad ist, denn dann frieren die Dichtungen und das Propan in der Flasche bleibt flüssig.

"Es ist die pure Wildnis unter dir"

Domas Surkys kommt aus Litauen, der Mittzwanziger ist zum ersten Mal so weit im Norden. "Seit zwei Jahren wollte ich zum Polarkreis hoch und habe meinen Vater genervt", erzählt er. Um drei Uhr nachts haben sie ihn überquert, sind an der Landmarke vorbeigefahren. Seine Eindrücke? Es habe wenige Überraschungen gegeben. "Die Menschen leben hier auch nicht in Zelten, die Bäume wachsen noch immer nach oben, es ist alles so, wie überall anders auch, nur ein bisschen kälter." Die Ballonfahrt hingegen sei umwerfend.

300 Meter hoch schweben die Körbe über den Baumkronen, langsam, lassen sich vom Wind treiben, der an diesem Tage faul ist. Nur ein bisschen schneller als ein Spaziergänger fahren die Ballons, an anderen Tagen bringen sie es auch mal auf Radfahrergeschwindigkeit. Doch das Reisen hat etwas Besinnliches. "Es ist nicht wie im Flugzeug, wo man 10.000 Meter über dem Boden ist", sagt Surkys. "Man hängt in diesem Korb mitten in der Luft, und alles ist zum Greifen nahe." Es gibt keine Kabine, die einen schützen würde, man ist draußen, die Nase friert ein, während man aus dem Korb schaut. Aber gleichzeitig wird der Nacken vom Brenner gewärmt, dessen Pfft-pfft-Geräusch das Einzige ist, das die Stille durchbricht.

"Es ist die pure Wildnis unter dir", sagt Surkys, der damit ein bisschen übertreibt. Man sieht immer noch die Eisenbahnschienen, die Straßen und Spuren von Schneemobilen. Denn dort, wo die Ballons landen, muss sie auch einer abholen können. Wer mit seinem 150 Kilogramm schweren Ballon mitten im Tiefschnee aufsetzt, kommt von allein nicht wieder raus. Das hatte der Schwede Salomon Andrée nicht bedacht, als er 1897 versuchte, den Nordpol per Heißluftballon zu erreichen. Nach nur 50 Kilometern musste er notlanden und zu Fuß zurückwandern. Niemand hat ihn und seine Gefährten je wieder gesehen.

Heute gehen die meisten Ballonfahrer auf Nummer sicher und schweben im Umkreis von 20 Kilometern um den Ortskern von Gällivare. Nur ein paar verrückte Deutsche haben sich weiter hinausgewagt, 60 Kilometer sind sie geflogen, über den Nationalpark, wo man nur von einem Hubschrauber gerettet werden könnte. Hinter Gällivare beginnt die Einsamkeit, ein Nationalpark folgt dem anderen, gemeinsam ergeben sie das Weltnaturerbe Laponia. Nur die Samen, die indigene Bevölkerung Skandinaviens, leben noch hier.

Rentieren das Fliegen beibringen

Einer von ihnen ist Alf Jannok. Im Winter wohnt er am Stadtrand von Gällivare, im Sommer lebt er draußen, dort wo die Rentiere weiden. Alf hat mit 15 die Schule verlassen, sich Skier - eine Erfindung der Samen übrigens - unter die Füße geschnallt und ist mit seinem Vater und seinem Onkel losgezogen, immer den Rentieren hinterher.

Jannok ist ein ruhiger Mensch, er spricht langsam und gemächlich, seine Gesten sind leicht und fließend. "Wir haben keine Eile, die Natur ist nicht im Stress", sagt er - ganz so wie die Ballonfahrer. Die Samen denken nicht in den Kategorien Frühling, Sommer, Herbst und Winter, für sie hat das Jahr acht Jahreszeiten, die von den Tieren bestimmt werden.

Im Sommer treiben die Mücken die Rentiere hinauf in die Berge, in die Nationalparks, im Herbst locken sie die Pilze und Beeren wieder hinunter. Im Winter leben sie im Tal um Gällivare, versinken im Schnee und graben mit ihren Hufen nach Nahrung unter dem Weiß. Wenn der Schnee fester wird, am Ende des Winters, knabbern die Tiere an Bäumen.

Seit fast 50 Jahren macht Jannok diesen Job, die Skier sind längst im Schrank verschwunden. "Mit Skiern kann man das heutzutage gar nicht mehr machen, die Tiere sind zu schnell, folgen den Schneisen, die Waldarbeiter geschlagen haben, oder den Bahn und Stromleitungstrassen." Wenn er die Tiere zusammentreiben will, fährt er heute Schneemobil. Es sind seine Spuren, und die seiner Tiere, die Surkys und Svensson vom Ballon aus sehen.

Zwei Stunden verharren die Ballons über den Wäldern, dann gleiten sie hinab gen Erdboden. Ganz sanft setzen sie auf, als hätten sie zerbrechliche Fracht an Bord. Weihnachtsmann Svensson klettert aus seinem Korb. Er kennt die Landschaft, die Einsamkeit, die Ruhe. Das alles ist für ihn nichts Neues, aber beeindruckt hat es ihn trotzdem.

Ob er denn seinen Rentieren nun das Fliegen beibringen möchte? "Das halte ich für unmöglich, ich würde sie gegen einen Ballon eintauschen. Aber ich bezweifle, dass ich bei diesen Geschwindigkeiten alle Geschenke rechtzeitig austeilen kann", sagt Svensson und lacht sein schallendes Lachen.

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