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Faszination Buckelpisten: Vom Aussterben bedrohte Könner-Disziplin

Foto: Karl-Josef Hildenbrand/ picture-alliance/ dpa/dpaweb

Bedrohte Buckelpisten Abenteuerspielplätze der Alpen

Früher waren Buckelpisten ein Spielplatz für technisch versierte Ski-Meister, inzwischen werden viele von ihnen glattplaniert. Die Abhänge sollen für jeden zu befahren sein - doch eine Könner-Disziplin des Wintersports geht dabei verloren.

Das Erste, was ich Mitte der achtziger Jahre aus berufenem Mund über das Skigebiet von Obertauern zu hören bekam, war eine Warnung. Ich war acht Jahre alt und nahm zum ersten Mal an einer Jugendfahrt des Ski-Clubs meiner Heimatstadt Bad Honnef teil. Mit ernstem Blick klärte der Skilehrer uns bei der Anreise über jene Piste auf, die unter Insidern legendären Ruf genoss. "Gamsleiten 2 ist ein extrem schwerer Hang, steil, eisig und verbuckelt", sagte der Betreuer und deutete durch das Fenster des Busses auf eine weiße Wand, die sich weit über der Passhöhe auftürmte. "Nur wenige von euch werden in der nächsten Woche da runterfahren."

Am Tag der Abreise erhielten wir, die Mitglieder der Gruppe "Schnell, aber nicht schön", am "G2" unsere Chance auf ewigen Skifahrerruhm. Schemenhaft fällt meine Erinnerung an das Abenteuer selbst aus: an den Einstieg des Liftes, verwaist bis auf den mitleidig dreinblickenden Liftboy. An die eisige Bergfahrt mit dem klapprigen Sessellift, als mir angesichts hilflos zu Tal dilettierender Skifahrer das Herz in die Hose rutschte. An heftige Stürze, verlorene Ski und die Anstrengungen unseres Übungsleiters, alle heil vom Berg zu bekommen. Vor allem aber an die Buckel. Tausende eisige Buckel, unerreichbar für jede Pistenraupe.

Die Buckelpiste gilt seit jeher als die Königsdisziplin beim Skifahren, und nicht selten lassen nur die weißen Höcker einen zahmen Hang zum Alptraum mutieren. In den Buckeln zeitigen bereits kleinste Fehler herbe Konsequenzen, Rücklage oder eine falsche Skistellung werden unmittelbar bestraft. "Für mich ist das Buckelfahren das Nonplusultra im Skilauf", sagt Tatjana Mittermayer. Sie muss es wissen: 1988 krönte sie sich zur Buckelpisten-Weltmeisterin, war als Profi erfolgreich im Weltcup unterwegs. Seit vielen Jahren veranstaltet sie Buckelpisten-Camps. "Um eine geniale Fahrt durch die Buckel zu meistern, braucht man skifahrerisches Können, Schnelligkeit, Koordination, Rhythmusgefühl und Taktik." Doch die Gelegenheiten für diese Herausforderung werden immer seltener.

Mit Hightech gegen die Buckligen

Beispiel Obertauern: Heute jagt der "G2" niemandem mehr Angst ein, das zähnefletschende Pistenmonster ist zum zahmen Schneekätzchen geschrumpft. Zugegeben, steil ist der Hang noch immer. Was aber fehlt, sind die Buckel. Damit steht Gamsleiten 2 nicht allein. Führte man eine Rote Liste über aussterbende Arten unter den Skipisten, müsste der gepflegte Buckelhang ganz oben stehen. Kinder, die heute das Skifahren lernen, werden viele der furchteinflößenden Rampen, auf denen sich Generationen von lebensmüden Hasardeuren blaue Flecken und Beinbrüche holten, nur noch als Erzählungen kennenlernen, als Legenden aus grauer Vorzeit.

Früher mutierten schwarze Pisten spätestens 24 Stunden nach dem letzten Schneefall zu gehöckerten Ungetümen. Während Könner sich ob der Herausforderung die behandschuhten Finger leckten, muteten die Schneehaufen für die breite Masse an wie weiße Pestbeulen. Damit ist es vielerorts vorbei. Schuld daran ist nicht zuletzt der technische Fortschritt.

Die Totengräber einer jeden Buckelpiste sind Fahrzeuge wie das "Bison" oder der "Leitwolf" aus dem Hause Prinoth. Angetrieben von bis zu 527 Pferdestärken, walzen die Pistenraupen über die Berge und zerpflügen nicht genehmigte Ansammlungen von Schnee innerhalb kürzester Zeit mit Zwölf-Wege-Räumschild, Stahlraupe und Powerfräse. Bis vor rund 20 Jahren war den Raupen das Präparieren der steilsten Hänge verwehrt - sie kamen zwar den Berg hinauf, aber das Verschieben und Glätten in extremer Schräglage überstieg ihre Kräfte.

Steigende Nachfrage nach Winden-Fahrzeugen

Heute sichern sich die Maschinenmonster mit Stahlseilen, die Winde "Sherpa" sorgt gar per Computer für Spannung auf der Trosse. So geht es den Buckeln auch dort an den Kragen, wo sie früher vor Nachstellungen sicher waren. "Ab etwa 1990 war eine rege Nachfrage für die Winden-Fahrzeuge da", sagt Martin Runggaldier, technischer Leiter bei Prinoth. "Mittlerweile verkaufen wir die Hälfte unserer Raupen mit der Winde."

Doch das Präparieren am Seil und das Verschwinden der Buckelpisten sind nur die Symptome eines tiefer greifenden Mentalitätswandels in den Alpen. Zwei Autoren der "Neuen Zürcher Zeitung" widmeten dieser Entwicklung im Jahr 2008 eine saftige Polemik: "Kuppen und Senkungen werden heute den Rasern zuliebe zu Autobahnen planiert. Damit hat der Berg seine selektive Unerbittlichkeit eingebüßt und ist ganz und gar demokratisch geworden - und Holländer-tauglich", schrieben Sacha Batthyany und Martin Helg. "Könner langweilen sich auf diesen metrosexuellen Pisten, aus denen jedes Gefahrenmoment verschwunden ist."

Damit beschrieben die beiden Schweizer ein Phänomen, das im Alpenraum um sich gegriffen hat: Um möglichst viele Menschen an die Kassen zu bringen, glichen Skigebietsbetreiber ihre Pisten dem Geschmack der breiten Masse an. Man schuf Platz und planes Gelände, modellierte und verbreiterte. Die Hänge kommen deshalb so makellos daher wie ein frisch gepuderter Babypo. Damit wurde eine Logik umgekehrt, der Skifahrer seit den Urzeiten des Sports unterworfen waren: Stets mussten sie hart daran arbeiten, ihr skitechnisches Können den äußeren Bedingungen anzupassen. Engstellen, Steilstücke, Eisplatten und Buckel gehörten damals zum Normalprogramm.

Temporausch auf Carvern

Die Skigebietsbetreiber reagierten damit auf den Carving-Boom, der Anfang der Neunziger der darbenden Ski-Industrie neues Leben einhauchte. Mit den taillierten Stummelskiern konnten auch Normalskifahrer sich wie Rennläufer fühlen und geschnittene Schwünge fahren, anstatt mit Zweimeter-Latten durch den Schnee zu driften. Mit den leicht steuerbaren Carvern wurden zudem die ersten Schritte beim Erlernen des Skifahrens einfacher.

Selbst Anfänger schaffen es heute in wenigen Tagen, zügig eine rote Piste herunterzukommen - wenn auch mehr schlecht als recht. "Heutzutage fahren viele Skifahrer viel zu schnell und über ihren Möglichkeiten, spüren es aber auf Grund der stabilen Ski nicht", meint Tatjana Mittermayer. Sie hielte es durchaus für sinnvoll, wenn auch in alpinen Gefilden, wie etwa in den USA, auf das Präparieren mancher Hänge verzichtet und dies bei der Einstufung berücksichtigt würde.

Doch davon scheint man besonders in Österreich weit entfernt. Im Skigebiet Zillertal beispielsweise wirbt man seit einigen Jahren mit der steilsten Piste Österreichs. "Harakiri" heißt das gute Stück, doch selbst am Nachmittag sind Buckel hier Fehlanzeige. Der brettharte Kunstschneepanzer wird Nacht für Nacht mit Winde und Stahlseil weiter verdichtet. Ähnlich sieht es im äußersten Westen des Landes aus, in Serfaus. Die schwarz markierten Hänge an Lazid oder Pezid präsentieren sich stets makellos präpariert und buckelfrei.

"Gibt es Buckel, schimpfen die Leute"

Kein Wunder, dass inzwischen so mancher gerne auf das Buckeltraining verzichtet. Jahre harter Arbeit und geduldigen Probierens, nicht selten geprägt von heftigen Stürzen, sind nötig, um die Unebenheiten einigermaßen sicher zu bezwingen. So viel Drive ist heute nicht mehr gefragt. "Die Tendenz geht zum bequemen Skifahren, Genussskifahren ohne große Anstrengung. Daher zieht es die Masse nicht mehr in Richtung Buckelpiste", sagt Tatjana Mittermayer. "Gibt es am Ende vom Skitag mal auf den Pisten der Talabfahrten Buckel, schimpfen viele Leute."

Um sich solch negativen Erlebnissen zu entziehen, ist es sinnvoll, sich mit den Buckeln zu beschäftigen. Nicht zuletzt der Klimawandel dürfte in tieferen Lagen zukünftig auch bestens präparierte Mainstream-Hänge zu sulzig-verbuckelten Ungeheuern mutieren lassen - da ist filigrane Skitechnik wieder gefragt. Und auch der Boom beim Geländeskifahren, neudeutsch Freeriden genannt, hat sein Gutes: Mancherorts bilden sich abseits der markierten Pisten verbuckelte Hänge, wie die Mattun-Abfahrt in St. Anton oder die Buckelrinnen an den Maurerliften am Kitzsteinhorn beweisen.

Wer schon mal trainieren will, dem sei abschließend ein Aufenthalt in den großen Buckelpisten-Reservaten der Alpen empfohlen: An den Hänge von Triftji über Zermatt oder am Mt. Fort in Verbier findet der Buckel-Gourmet Hänge nach seinem Geschmack, ebenso an der berüchtigten Schweizer Wand in den Portes du Soleil oder an der Solaise im französischen Val d'Isère.

Schade nur, dass der "G2" in dieser Liste nichts mehr verloren hat.

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