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Chamonix: Bergsteiger-Mekka am Mont Blanc

Foto: Olivier Hoslet/ picture alliance / dpa

Tourismus in Chamonix "Where is the Mont Blanc?"

Die Berge um Chamonix sind im Sommer ein Muss für Alpinisten. Jetzt sollen sie auch für Besucher ohne Steigeisen und Eispickel attraktiver werden. Eine spektakuläre Panorama-Kabinenbahn fährt bereits - bald wird sie zu einer einzigartigen Attraktion führen.

"Rucksäcke absetzen. Nach hinten durchgehen. Festhalten", bellt eine Stimme durch die Kabine. Der Gondelführer ist offenbar ein Freund von Stakkato-Sätzen. Womöglich sind solche klaren Ansagen aber auch das einzige Mittel, um die Massen zu kanalisieren. Denn in die altmodische Gondel, die zur Aiguille du Midi fährt, quetschen sich an diesem Morgen mehr als 70 Menschen. Die meisten tragen bunte Outdoorjacken, Plastikhelme und dicke Rucksäcke. "Absetzen, habe ich gesagt!"

Dazwischen klemmen ein paar asiatische Touristen mit gezückten Fotoapparaten. Sie haben viel zu tun: Die Fahrt auf die Aiguille du Midi ist ein Abenteuerfilm im Zeitraffer. Die Gondel braucht für die 2800 Höhenmeter von Chamonix bis zum Gipfel knapp 20 Minuten, und zwischen Mittel- und Bergstation bremst keine einzige Stütze die Fahrt.

Während in der Ferne die Dreitausender der französischen Alpen vorbeiziehen, schrumpft im Tal die Stadt zum Spielzeugdorf zusammen. "Amaaazing", ruft einer der Asiaten, aus seinem Rucksack ragt ein Regenschirm. Als sich ein paar Minuten später die Tür wieder öffnet, verschlägt es nicht nur ihm die Sprache - hier oben auf 3800 Meter ist die Luft verdammt dünn. "Vergesst eure Eispickel nicht", beschwört ein Bergführer seine Gruppe. "Vorsicht mit den Rucksäcken", ermahnt der Gondelführer. "Where is the Mont Blanc?", fragen die Asiaten.

Einer der beliebtesten Aussichtspunkte Europas

Auf den Mont Blanc kommt man nur mit Eispickeln und Muskelkraft. Aber die Aiguille du Midi ist der felsige Vorposten des höchsten Alpengipfels. Deshalb gehört diese Bergstation für Otto-Normal-Touristen zu den beliebtesten Aussichtspunkten der Alpen. Von hier aus sehen die tiefer gelegenen Berge aus wie ein weißer Noppenteppich, über denen der Mont Blanc thront wie ein mächtiger Riese.

Der höchste Berg der Alpen füllt aber nicht nur die Speicherkarten der asiatischen Besucher, sondern auch die Herbergen in Chamonix. Weil man seinen Buckel selbst vom Marktplatz aus sehen kann, ist er das Symbol der Stadt. 1924 fanden hier die ersten Olympischen Winterspiele statt, seitdem brettern trotz maroder Anlagen jeden Winter Horden von Skifahrern und Freeridern die Hänge herunter. Zum Après-Ski trifft sich die Schickeria dann an den Austernbars von "Chamonix-Mont-Blanc", wie der Ort offiziell heißt, und die wilden Partygänger wippen zeitgleich im "Chambre Neuf" zur Livemusik.

Aber während viele andere Skidörfer im Sommer an ihren leer stehenden Betten verzweifeln, schieben sich in Chamonix auch zwischen Juni und September die Menschen durch die Gassen. Denn im Sommer ist die Stadt das Mekka der Bergsteiger. Aus aller Welt kommen die Alpinisten hierher. Sie hängen ihre Kletterseile an den Rocher des Gaillands, hauen am "Mer de Glace" ihre Eispickel in die Gletscherzunge oder besteigen die zahlreichen Viertausender rund um die Stadt.

"Vergesst die Handschuhe nicht!"

Und jeder Anfänger träumt heimlich davon, irgendwann von hier aus zum Mont Blanc aufzubrechen. "Da will ich auf jeden Fall mal rauf", sagt auch Laure. Die 24-jährige Französin hat einen Bergsteiger-Anfängerkurs belegt und ist gerade von der Übungseinheit "Sicher gehen in der Seilschaft" zurückgekommen.

Etwas müde sitzt sie auf der Terrasse ihres Hostels und versucht, den Erklärungen des Guides zu folgen, der die Packliste für den nächsten Tag herunterbetet. "Denkt dran, eure Wollhandschuhe mitzunehmen. Die sind besser als diese Goretex-Dinger. Mit Wollhandschuhen schafft ihr es sogar auf den Mont Blanc", sagt Pierrot Meugnier, 66, in seinen Augen blitzt der Schalk.

Mehr als 40 Mal stand der drahtige Bergführer schon ganz oben, auf 4810 Meter Höhe. In letzter Zeit allerdings macht er die Tour seltener. Nicht etwa, weil er alt wird. Meugnier stört der Andrang. "Da oben ist es mir zu voll", sagt er.

Bis zu 400 Bergsteiger brechen im Sommer täglich zum Gipfel auf, mehr als 30.000 Menschen pro Jahr. Selbst als im vergangenen Jahr eine Lawine abging und neun Bergsteiger ums Leben kamen, ebbte der Ansturm nicht ab. "Alle sagen, der Mont Blanc sei ein Mythos. Aber ich habe keine Lust, mit meiner Seilschaft eine Stunde am Gipfel Schlange zu stehen", sagt er. Und das Platzproblem existiert nicht nur am Gipfel. Wer etwa Unterschlupf im "Refuge des Cosmiques" sucht, einer legendären Schutzhütte auf dem Weg zum Gipfel, muss sich sehr frühzeitig um einen Schlafplatz kümmern. In diesem Jahr waren die Matratzenlager für den gesamten Sommer innerhalb von drei Tagen ausgebucht.

Das neue "Refuge du Goûter", ein vierstöckiges, futuristisches Silberei auf 3835 Meter Höhe, soll mit seinen 120 Betten jetzt helfen, den Ansturm etwas abzufedern. 7,3 Millionen Euro hat der Neubau angeblich gekostet. "Aber wenn das Wetter nicht mitspielt, kannst du nichts machen. Da ist der Mont Blanc unbestechlich", sagt Meugnier.

Schritt ins Leere für alle

Zum Glück gibt es in Chamonix noch genügend andere Möglichkeiten, sich dem weißen Riesen zu nähern. Etwa, indem man in einer elftägigen Tour einmal ganz um ihn herum wandert. Schneller geht das beim "Ultra Trail du Mont Blanc", einem der härtesten Laufwettkämpfe der Welt: 168 Kilometer und 9600 Höhenmeter müssen die Teilnehmer bewältigen.

Touristen können es aber auch etwas gemütlicher angehen lassen und sich im "Musée Alpin" von Chamonix die Geschichte der Erstbesteigung des Mont Blanc anschauen. Am 8. August 1786 standen die Franzosen Jacques Balmat und Michel Paccard erstmals auf dem Gipfel. Über die Nordflanke begannen sie um vier Uhr morgens ihren Aufstieg, knapp 15 Stunden später waren die beiden Männer am Ziel.

"Ambitionierte Bergsteiger hatten wir in Chamonix schon immer", sagt Eric Fournier, der Bürgermeister der Stadt. "Aber wir müssen uns jetzt um die Kunden aus Fernost kümmern." Es ist früher Samstagmorgen, Fournier steht an der Talstation der Aiguille du Midi. "Wir wollen alle Leute für die Berge begeistern - nicht nur die, die mit einem Eispickel umgehen können."

Der Gipfel der "Aiguille" ist bald um eine Attraktion reicher, die ohne Bergsteiger-Ausrüstung genossen werden kann: Im Herbst beginnen die Bauarbeiten für den "Pas dans le Vide", den "Schritt ins Leere". Durch eine Scheibe im Boden sollen die Besucher von einer Aussichtsplattform mehrere tausend Meter in den Abgrund blicken. "In dieser Höhe ist so etwas weltweit einzigartig", sagt Fournier. In der Gondelbahn wird es dann vermutlich noch ein wenig enger.

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