

Nachhaltig durch Europa reisen So gelingt der perfekte Nachtzugtrip
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Grüne Landschaften ziehen vorbei auf den letzten 50 Kilometern der Strecke München-Rijeka. Reisende schauen aus den Fenstern des Kurswagens EN 60463 und erblicken in der Ferne das Meer, wie es in der Morgensonne glitzert. Zum Frühstück also Kaffee – und die Kvarner Bucht.
Österreich und Slowenien liegen hinter den Mitfahrenden, sie haben die beiden Länder im Schlaf durchquert. »Doch nun ist es bald 9.30 Uhr, der Zug hat die Grenze zu Kroatien überquert und nähert sich dem Bahnhof von Rijeka, der in Hafennähe liegt. Die Luft ist warm und riecht salzig.«
Wenn Veronika Wengert von Trips mit dem Nachtzug spricht, dann tut sie das mit Leidenschaft – und viel Erfahrung. Die Reisebuchautorin ist seit ihrer Kindheit in Nachtzügen unterwegs, meistens in Richtung Südosten, in die Länder des ehemaligen Jugoslawiens, die Heimat ihrer Familie.
Einen Nachtzug zu nutzen? Nichts leichter als das! Aber einen zu buchen? Kann ganz schön kompliziert sein, findet die 48-Jährige. Schließlich ist diese Art zu Reisen beliebter geworden, seit Flugscham grassiert. Die Buchungslage ist oft angespannt, die besten Tickets und Privatabteile sind schnell weg. Eine ungünstige Situation für Reisende, die mit besserem Gewissen lange Strecken zurücklegen – und das Flugzeug meiden wollen.
»Das Buchen ist selbst mir manchmal zu abenteuerlich«, sagt Wengert, Expertin fürs nächtliche Zugfahren. Und doch bricht sie immer wieder zu unvergesslichen Nachtzugtrips auf. Hier verrät sie, wie das geht.
Die Planung
Wo soll's überhaupt hingehen? Schöne Nachtzugziele gibt es in Europa jede Menge. Budapest zum Beispiel, Stockholm, Venedig, Edinburgh.
Für alle, die sich nun fragen: Hatte sich die Deutsche Bahn nicht vor einigen Jahren aus dem Geschäft zurückgezogen? Ja, hat sie. Doch es gibt sie noch, die Verbindungen, die auch über Städte wie München, Berlin, Köln und Hamburg führen. Wo Sie hierzulande in einen Nachtzug steigen können, lesen Sie hier. Was sich besonders lohnt – auch wenn die Reisen nicht immer in Deutschland starten –, beschreibt Veronika Wengert zusammen mit Co-Autor Jörg Dauscher in dem nun erschienenen Buch »Nachtzugreisen«.
Mehr als 20 Strecken werden darin beschrieben, manche von ihnen echte Klassiker wie Wien-Paris, wobei der Nachtzug auf der Trasse rollt, »die einst der legendäre Orient-Express nahm«. Aber auch überraschendere Ziele sind dabei, etwa die Zugreise von Prag nach Rijeka oder Split, sodass die kroatische Adria praktisch im Schlaf erreichbar ist. »Die Strecke wurde 2020 erstmals angeboten und war ein großer Erfolg«, heißt es. Die Auslastung: durchschnittlich 90 Prozent. »Nun will man mit bis zu 15 Wagen und 650 Passagieren durchstarten – und bis Berlin verlängern.«
In der Fotostrecke zeigen wir Ideen für noch mehr Nachtzug-Abenteuer durch Europa:

Guten Morgen, Europa! Die schönsten Reiseziele mit dem Nachtzug
Dennis Fischer / Getty Images
Das Buch ist geografisch gegliedert: Es geht von Skandinavien (mit Zielen wie den Lofoten und Lappland) über Osteuropa (Karpaten, Montenegro) in südeuropäische Regionen (Sizilien, Südfrankreich) und wieder rauf in den Norden bis nach Schottland. Die Kapitel zu den einzelnen Routen sind unterteilt in eine Art Minireiseführer und eine Kurzanleitung. Die Rubrik »Und so geht's« listet alles Wissenswerte über den für den Trip zu buchenden Nachtzug (mit Abfahrts- und Ankunftszeiten, Fahrtdauer, Zugnummern, Streckenlänge, Preisklassen und Links und Hinweisen zu Buchungsmöglichkeiten).
Die Buchung
Bahnkennerin Wengert gibt zu: Es ist nicht immer leicht, Tickets für Nachtzüge zu buchen. Erst recht nicht, wenn man mit mehreren Menschen zusammen unterwegs sein will, etwa mit einer Gruppe Freunden oder der Familie.
Die Probleme sind vielfältig – und auf manchen Verbindungen natürlich größer als auf anderen. Zum einen ist es schon eine Herausforderung, den richtigen Buchungszeitpunkt zu erwischen. »Man kann beispielsweise nicht einfach schon diesen Sommer fürs nächste Jahr buchen«, sagt Wengert. »Die Züge sind in der Regel erst 60 bis 90 Tage im Voraus online verfügbar.« Doch dafür gibt es keine einheitlichen Termine, jedes Unternehmen macht es auf seine Weise. »Es bleibt einem nichts anderes übrig, als sich gründlich zu informieren, wann genau eine Route und das Wunschreisedatum online buchbar sein werden – und dann schnellstmöglich zuzuschlagen.« Regel Nummer eins also: rechtzeitig buchen! Es ist ein Anfängerfehler, sich auf kurzfristige Angebote zu verlassen – das weiß auch Wengert aus Erfahrung.
Die Zugexpertin ärgert sich außerdem darüber, dass es kein paneuropäisches Buchungstool gibt, das alle Nachtzüge auflistet und verfügbar macht. Immerhin gibt es praktische Websites, die die Planung erleichtern: etwa Back-on-track.eu , wo fast alle europäischen Nachtzüge aufgeführt sind, und Nachtzugkarte.de , »perfekt für einen ersten Überblick«, finden die Experten.
Wenn man sich für eine Verbindung entschieden hat, stellt man leider oft fest: Die besten Plätze sind schon weg. »Natürlich ist Komfort begehrt«, sagt Wengert. Sie zum Beispiel reserviert auf der Strecke Belgrad-Bar gern einen Schlaf- statt einen Liegewagen. »Das sind die bequemsten Schlafwagen, die ich kenne: mit 40, 50 Jahre alter Innenraumausstattung und Matratzen, richtig dick und so breit wie ein Bett.« Sie bekomme man im Hochsommer aber nur noch selten kurzfristig, sagt Wengert. »Hat sich wohl rumgesprochen, dass es sich darauf gut schläft.«
Manchmal sorgen auch äußere Umstände für einen Buchungsflop. Für eine Reise im Juni von München nach Kroatien wollte Wengert jüngst ein Abteil für sechs Leute reservieren – für die Schwiegereltern, Mann, Kinder und sich selbst. Doch Baustellen auf der Strecke nach Rijeka sorgen derzeit für ein abgespecktes Angebot, es gibt nur Sitz- statt Schlafwagen. »Da habe ich jetzt meine Probleme.«
Ist denn weniger Komfort eine Alternative, wenn das Schlafabteil schon voll ist? Zu Plätzen im Sitzwagen gibt es im Buch einen Erfahrungsbericht. Fazit: »Nur für Reisende empfehlenswert, die am nächsten Tag noch viel Zeit zum Weiterschlafen haben.« Ein Liegewagen ist jedoch eine gute Alternative zum komfortableren Schlafwagen – in der ungarischen Staatsbahn gibt es da sogar eine Rum-Praline.
Bereits bei der Buchung muss man sich auch entscheiden, ob man in einem Liegewagen oben, unten oder gegebenenfalls in der Mitte schlafen will. Viele Vielreisende bevorzugen das oberste Bett – da wird man nicht ständig von Mitreisenden gestört. Familien mit kleinen Kindern sollten hingegen vielleicht lieber die unteren Betten buchen.
Das Abenteuer
Was die Zugenthusiastin am Bahnfahren liebt, ist das »Geschäftige, dieses Hintergrundrauschen«. Es sei so viel dynamischer als zu fliegen. Dort warte man immer auf etwas: auf den Check-in, das Boarding, den Start, die Landung. »Im Zug dagegen passiert immer was – draußen, aber auch drinnen.« Man habe viel mehr Gelegenheit, sich richtig einzulassen auf eine Strecke. Natürlich gibt es ein paar Tricks, damit diese Zeit angenehm wird:
Picknick nicht vergessen! Es lohnt sich immer, ausreichend Essen und Trinken einzupacken: Auf ihrer letzten Nachtzugfahrt ab Belgrad habe es mehrere Stunden Verspätung gegeben, erzählt Wengert. »Der Zug ist einfach immer wieder stehen geblieben, keiner hat irgendwas gesagt.« Hinzu kam, dass eine »Lady mit zu viel Bargeld« Probleme mit dem Zoll hatte. »Das summierte sich am Ende auf fast vier Stunden Verspätung und ich war froh über meine große Tüte Brötchen.«
Geschickt packen! »Zahnbürste und Co. obendrauf oder in eine gesonderte kleine Tasche packen«, so der Ratschlag für alle, die auf engem Raum nicht den Stress haben wollen, die wichtigsten Dinge zu suchen.
Was für die Sinne: Das Rattern der Eisenbahn kann ja etwas Hypnotisierendes haben. Allerdings sind Ohrstöpsel »schon praktisch, wenn man einen Schnarcher im Liegewagen hat«. Sie dämpften zudem die Lautsprecheransage in Bahnhöfen. Außerdem weisen die Autoren darauf hin: Manche Züge werden durch Vorhänge abgedunkelt. Das Ganglicht scheint dann oft trotzdem hell rein. Dann hilft eine Schlafmaske.
Das Buch zeigt, welche Ziele in Europa mit Nachtzügen erreichbar sind und wie solche Trips gelingen. Es zeigt aber auch die Macken von dieser Art zu reisen und die Lücken im Nachtzugnetz. Und dass nicht alles so romantisch ist, wie manche Instagrammer es glauben lassen, wenn sie den Kaffeebecher vorm Zugfenster posten.
»Natürlich gibt es auch frustrierende Momente«, sagt Wengert. Bei ihrer letzten Rundreise durch die Balkanstaaten Ende April etwa wurde aus einem spontanen Trip per Zug eher eine Busreise. »Viele Zugverbindungen in die Nachbarländer sind derzeit leider unterbrochen, ich bin gestrandet und musste umplanen.« Auch, weil es bestimmte Tickets nach wie vor nur an Schaltern zu kaufen gibt – vor Ort und 24 Stunden vor Abfahrt.
Doch im Grunde sind es genau solche Trips, die Wengert reizen. »Man muss offen dafür sein, dass irgendwas nicht so läuft wie vielleicht bei einem getakteten ICE.« Manchmal fehle ein Anschlusszug, »dann steht der Zug und wartet«. Vielleicht auf einen Kurswagen aus Venedig. Vielleicht, weil irgendwo ein Streik ist.
Der wichtigste Tipp von Wengert lautet daher wohl: »Zeit mitbringen.« Der wohl größte Luxus überhaupt.