
Fahrrad-Blogger Mikael Colville-Andersen: Grüße aus dem Fahrradparadies
Radfahr-Blogger Colville-Andersen "Kopieren Sie Kopenhagen!"
Wer mit Mikael Colville-Andersen durch Kopenhagen radelt, ist erst einmal verblüfft. Der Mann, der in seinen Vorträgen so vehement fürs Fahrrad trommelt und über Verkehrsplaner, Autos und Helme schimpft , bevorzugt einen Fahrstil, den mancher hierzulande als spießig bezeichnen würde. Der 46-jährige Däne fährt am liebsten gemütlich und langsam. An jeder roten Ampel hält er brav an - und auf dem Fußweg wird selbstverständlich geschoben und nicht geradelt.
Zwei Fahrräder besitzt Colville-Andersen: ein modernes Bullitt-Cargobike und ein altes schwedisches Herrenrad der Marke Crescent. "Ich mache mir eigentlich nichts aus Rädern", sagt er. "Ich weiß nicht mal, wie man sie repariert." Trotzdem gilt er als der Experte schlechthin für urbanes Radfahren, er weiß, dass viele in ihm eine Art Fahrrad-Guru sehen.
Colville-Andersen hält Keynotes auf Konferenzen wie der TED (Technology, Entertainment, Design) für Innovationen , er berät Städte weltweit und veröffentlicht regelmäßig ein Ranking mit den 20 fahrradfreundlichsten Städten der Welt. Sein Foto-Blog Cycle Chic zeigt schöne Menschen auf stylischen Rädern - das Fahrrad präsentiert sich darin als Stilikone der Moderne. Sein anderes Projekt Copenhagenize ist die Webseite Nummer eins zum Thema urbanes Radfahren.
Ein Flickr-Foto von einer Radfahrerin mit Rock und Stiefeln
Alles fing an mit einem Foto , das Colville-Andersen im November 2006 auf dem Fotoportal Flickr veröffentlichte. Es zeigt eine Radfahrerin, die in Kopenhagen an einer Kreuzung im Gegenlicht auf Grün wartet. Die Frau trägt Rock und Stiefel mit hohen Absätzen - und genau das löste die Diskussionen aus.
"Amerikaner fragten mich, wie es möglich ist, in diesem Aufzug Rad zu fahren." Zunächst habe er die Frage gar nicht verstanden, in Kopenhagen sehe man schließlich ständig Leute im Anzug oder eleganten Kleidern auf Rädern. Aber dann sei ihm klar geworden, dass Radfahren andernorts eher als gefährlicher Sport gelte, nicht aber als eine Möglichkeit, sich schnell durch die Stadt zu bewegen. "Es gab viele Rückmeldungen und Kommentare - und da habe ich immer mehr solche Fotos hochgeladen."
Colville-Andersen arbeitete damals noch als Filmregisseur, Straßenfotografie war eher ein Hobby. Mit jedem Foto aus Kopenhagen kamen neue Fragen: Welche Farbe ist das eigentlich, mit der die Radspuren auf der Straße markiert sind? Sind die Radwege überall so breit?
"Da habe ich begriffen, wie wichtig das Thema Radfahren ist - und wie wenig man darüber im Internet finden konnte." Fahrrad-Blogs habe es damals zwar schon viele gegeben, aber fast alle beschäftigten sich mit Technik, kaum eines mit dem Rad als Transportmittel.
Amsterdam als Favorit unter den Fahrradstädten
Sieben Jahre nach dem Start seiner beiden Blogs ist Colville-Andersen mit seiner Firma Copenhagenize Design vom improvisierten Arbeitsplatz in seiner Wohnung in eine Bürogemeinschaft in der Nähe des Wohnprojekts Christiania gezogen. Jeden Morgen kann er sich nun in den dichten Strom der Radler einreihen, die aus dem Westen Kopenhagens durch die Straße Nørrebrogade Richtung Zentrum fahren - mit grüner Welle natürlich.
In der Rushhour zwischen 8 und 9 Uhr wird es eng auf dem am meisten befahrenen Radweg der Welt, aber Colville-Andersen freut sich jeden Tag aufs Neue über das Gedränge: "Ich mag es, es ist eine tolle Erfahrung. So sehe ich, dass der Platz trotz des immer breiteren Radwegs immer noch nicht reicht."
Der Fahrrad-Blogger hat mittlerweile schon fast jede große Stadt auf der Welt radelnd erkundet. Er war in Japan, Brasilien, den USA. Sein Favorit bleibt Amsterdam, dicht gefolgt von Kopenhagen. Aber er kennt auch die vielen Städte, in denen es Radfahrer nicht so leicht haben.
"Es sind überall exakt die gleichen Probleme", sagt er. Die Städte seien nicht für Autos gebaut worden, würden aber von ihnen beherrscht. Vielen Verkehrsplanern sei gar nicht klar, wie verschwenderisch sie mit dem knappen Raum in Städten umgingen. "Aber immer mehr Politiker und Bürgermeister begreifen, dass Städte nicht für Autos, sondern für die Menschen da sein sollten."
Mehr Platz für Menschen statt viele Autos auf den Straßen
Bei der Aufteilung des städtischen Raumes empfiehlt Colville-Andersen einen Perspektivwechsel: Die Frage könne nicht mehr sein, wie viele Autos sich durch eine Straße schleusen lassen. Vielmehr gehe es darum, wie viele Menschen man durch eine Straße bewegen könne. Das führe zu modernen und visionären Konzepten, die obendrein auch billiger seien.
"Mein Eindruck ist, dass vor allem die Ingenieure das Problem sind", sagt Colville-Andersen. Sie seien zu sehr in ihren klassischen Denkmodellen gefangen. In Deutschland würden Verkehrsplaner gar versuchen, eigene Lösungen für Fahrradinfrastruktur zu entwickeln. Dabei ist die Sache aus seiner Perspektive ganz einfach: "Kopieren Sie die Lösungen aus Amsterdam und aus Kopenhagen! Warum das Rad neu erfinden?"
Angesichts der immer mehr um sich greifenden Urbanisierung müsse man Mut zu neuen, modernen Konzepten haben. Das Auto spielt darin für den Dänen kaum eine Rolle. Radwege und mehr Platz für Fußgänger - so sieht für ihn die Stadt der Zukunft aus. "Platz ist genug da, wir müssen uns nur trauen, ihn zu nehmen."