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Fanø in Dänemark: Eine Runde Brøndums-Snaps

Foto: Fanø Turistbureau/ TMN

Winterlicher Urlaub auf Fanø Watt mit Snaps

Fanø vor der Nordseeküste gilt als die hyggeligste der dänischen Inseln - und der Dezember als der hyggeligste Monat im Jahr. Und das hat gute Gründe.

An diesem Wintermorgen ist der Himmel ein großes Grau. Nachts waren es drei Grad unter null. Auch lange nach Sonnenaufgang ist der Frost noch zu spüren. Am Strand von Sønderho im Süden von Fanø lässt sich niemand blicken, keine Jogger, keine Spaziergänger. Der Wind weht über die Dünenkette, vor der sich das Wattenmeer scheinbar endlos ausbreitet.

Gemütlich ist es nicht gerade. Dabei gilt die kleine Insel vor der jütländischen Westküste mit ihren rund 3400 Menschen als besonders hyggelig - wenn nicht gar als Inbegriff dänischer Behaglichkeit, um die so viele Deutsche die nördlichen Nachbarn beneiden.

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Fanø in Dänemark: Eine Runde Brøndums-Snaps

Foto: Fanø Turistbureau/ TMN

Doch bei diesen Temperaturen ist von Hygge nichts zu merken, jedenfalls nicht, wenn der Wind von vorne kommt. Helen Dörte Mähler ist das gewohnt. Die 37-Jährige trägt einen Schneeanzug, der die Kälte nicht durchlässt, und macht am Strand ein, zwei vorsichtige Schritte nach vorne. Im Wattenmeer vor Fanøs Küste ist Ebbe, die Nordsee hat sich weit zurückgezogen. Den Wattboden bedeckt eine dünne Eisschicht, die an vielen Stellen spiegelglatt ist.

Mähler kennt das Watt gut, auch im Winter. Nach ein paar Minuten läuft es sich auf dem Eis wie sonst auf dem Schlickboden, das leichte Knacken muss niemanden beunruhigen. Und der Wind ist bald vergessen.

Mähler führt regelmäßig über ihre Insel, bei gutem Wetter bis zu der Sandbank, auf der sich Seehunde und Kegelrobben von ihren Beutezügen in der Nordsee ausruhen. Aber an diesem Wintermorgen ist sie leer. Bei Kälte lassen sich die Seehunde dort seltener blicken. "Da müssen sie mehr fressen und sind öfter im Wasser", sagt Mähler nach einem Blick durch ihr Fernglas. Auf dem Wattboden liegen die Schalen von Schwert- und Herzmuscheln, hier eine Wellhornschnecke und dort Hügel, die Wattwürmer produzieren.

Fanø wächst gen Westen

Helen Dörte Mähler stammt aus der Nähe von Hamburg. Sie ist mit ihren Eltern drei Jahrzehnte lang im Urlaub immer wieder nach Fanø gefahren, seit mehr als vier Jahren wohnt sie nun mit ihrer eigenen kleinen Familie in Sønderho in einem Reetdachhaus. Davon gibt es dort ziemlich viele. Rund 75 stehen unter Denkmalschutz. Das Dorf mit seinen rund 350 Einwohnern wurde 2011 zum schönsten in ganz Dänemark gewählt.

Alle Häuser haben höchstens zwei Etagen. Manche scheinen etwas ins Wanken geraten zu sein. Hier ist mal ein Fenster schief, da eine Tür. "Die Fanø-Häuser haben kein Fundament", sagt Mähler bei ihrer Dorfführung. In den Fenstern steht oft ein Paar Porzellanhunde, wie Seefahrer früherer Jahrhunderte sie als Souvenirs mit nach Hause brachten. Die Frauen sollen sie genutzt haben, um ihren Liebhabern zu signalisieren, ob sie vorbeikommen können: "Gucken die Hunde raus, ist der Ehemann noch auf See", erklärt Mahler.

In Sønderhos erstaunlich großer Kirche aus dem späten 18. Jahrhundert hängen 15 Schiffsmodelle, die meisten von Seeleuten mit großem Aufwand und viel Liebe zum Detail gebaut. Vom alten Hafen am Ortsrand des Dorfes ist allerdings nichts mehr zu sehen, er ist versandet.

"Fanø wächst jedes Jahr ein paar Zentimeter Richtung Westen", sagt Mähler. Sie ist vor einer Sturmflutsäule stehengeblieben und zeigt auf die Wasserstände bei Land unter - den rechten Arm muss sie dabei weit nach oben strecken. Sturmflut an der Nordsee ist alles andere als gemütlich.

Auf Fanøs Westseite erstreckt sich der rund 15 Kilometer lange Strand - der Hauptgrund, warum die Insel bei Touristen so beliebt ist und warum sie das erste Kurbad Dänemarks hatte. Die Ostseite zum Wattenmeer hin friert im Winter schon mal zu. In früheren Jahrhunderten fuhren Inselbewohner dann mit der Kutsche aufs Festland, heute kommen hin und wieder Füchse übers Eis.

Hygge im Sønderho Kro

Fanø war in der dänischen Schifffahrtsgeschichte mal eine große Nummer: Die Insel hatte die zweitgrößte Flotte nach Kopenhagen und Sønderho fast dreimal so viele Einwohner wie heute. Schon damals war der Sønderho Kro eine der ersten Adressen der Insel, eines der ältesten Gasthäuser Dänemarks, erbaut 1722.

Auch wenn es draußen schüttet, der Wind pfeift und es am frühen Abend längst stockdunkel ist, sitzen dort die Gäste in der Stube mit der tiefen Holzdecke und den holländischen Fliesen an den Wänden. Der Rest der Welt scheint dann plötzlich weit weg zu sein.

Das Gefühl der Geborgenheit, das Wissen, dass als nächster Gang Milchreis serviert wird, wie das in Dänemark typisch für die Zeit vor Weihnachten ist: Vielleicht ist das der Inbegriff von Hygge. Zwei Frauen an einem Tisch in der Ecke scheinen mit einer dänischen Spezialität nachhelfen zu wollen. Sie bestellen schon zum zweiten Mal Kaffeepunsch mit Brøndums-Snaps, einem hochprozentigen Aquavit.

Ein Winter für eine selbst genähte Trachtenjacke

Es gibt in der kalten Jahreszeit Tage, da ist der Nebel so stark, dass die Masten im Jachthafen der Inselhauptstadt Nordby aus dem Nichts aufzutauchen scheinen. Und am nicht weit entfernten Fähranleger ist das Schiff aus Esbjerg dann noch kurz vor dem Ufer nur schemenhaft zu erkennen.

Lone Müller Sigaard sitzt in der Küche ihres Hauses, das vom Fähranleger nur fünf Minuten entfernt ist. Am Nachmittag hat sie genäht, eine Jacke, wie sie zur Tracht der Insel gehört. Sie hat schon eine, die ihrer Urgroßmutter gehört und eine von ihrer Mutter. "Aber ich wollte eine, die mir wirklich passt."

Nähen ist für Lone Müller Sigaard etwas Typisches für die kalte Jahreszeit, wenn auf der Insel alles deutlich ruhiger wird. "Es war allerdings das erste Mal, dass ich mich an eine Jacke gewagt habe, die ist das Schwierigste", erzählt die 46-Jährige. "Man braucht einen ganzen Winter dafür."

Um zu lernen, wie das geht, hat die Inselbewohnerin an einem Trachtennähkurs teilgenommen. "Die Trachten gehören zu den besonderen Traditionen von Fanø, die hier nie ausgestorben sind. Ich mache auch für meine Tochter noch ein Kleid", erzählt sie. Zu den noch lebenden Traditionen der Insel gehört auch der Volkstanz. Die Gruppe in Nordby trifft sich einmal die Woche, Lone Müller Sigaard ist ebenfalls dabei.

Vielleicht macht es auch die Insel so attraktiv, dass manches, was anderswo nur Folklore ist, hier noch authentisch wirkt - auch wenn im Alltag keine Frauen mehr in Tracht rumlaufen. Lone Müller Sigaard stammt von der Insel, hat aber 18 Jahre lang in Valencia und Kopenhagen gewohnt. Inzwischen lebt sie davon, dass viele andere Fanø genauso hyggelig finden wie sie. Und mit ihrer Hilfe auf der Insel heiraten wollen.

Rund 500 Paare reisen jedes Jahr zur Hochzeit auf Fanø an, viele davon aus Deutschland. "Hochsaison dafür ist von Mai bis September - und dann im Dezember", sagt Lone Müller Sigaard. Warum bloß? "Dezember ist der Hygge-Monat." Im Winter sei dieses Gefühl von Gemütlichkeit und Geborgenheit noch viel intensiver zu spüren. Dieses Zusammenrücken, wenn es draußen kalt und dunkel ist. Klingt einleuchtend: Wer braucht schon Hygge im Hochsommer?

Andreas Heimann/dpa
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