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Wildnisparadies Inarisee: Verträumte Schären, glasklares Wasser

Foto: Visit Finland / Pekka Antikaine

Finnland Lappländer fürchten Ausverkauf am heiligen See

Die Lappländer sind eher zurückhaltend, doch für ihr bedrohtes Wildnisparadies kämpfen sie. Obwohl die Strände am Inarisee unter Schutz stehen, sollen dort Villen und Feriendörfer entstehen. Die Einheimischen fürchten die Zerstörung der Ufer ihres heiligen Sees.

Das Holzfeuer im grauen Specksteinofen lodert: Harald Helander hat wieder nachgelegt. Draußen, in seinem eigenen Wildniswald, vor den Fenstern des selbstgebauten Blockhauses, leuchtet bläulich der Schnee. Jeden Tag länger zeigt sich jetzt die Sonne über dem Horizont - es wird wieder Licht im Norden von Finnisch-Lappland.

Den Ingenieur hat es in die Nähe des Inarisees, 300 Kilometer oberhalb des Polarkreises, gezogen, nachdem er Brücken in aller Welt gebaut hatte. Naturnah leben wollte er gemeinsam mit seiner deutschen Frau Margarete. Doch nur zurückgelehnt hat sich Helander nie.

Der 76-Jährige mischte mit im Streit um die letzten Urwälder seines Landes, legte Erntemaschinen der Holzwirtschaft mit Ketten lahm, als sie zum Kahlschlag vorrückten. Schließlich trug er dazu bei, dass sich die staatliche Forstverwaltung erst im vergangenen Dezember zu einem Moratorium bereit erklärte: 20 Jahre lang soll in den restlichen Urwäldern rund um den riesigen See nicht mehr gerodet werden.

Doch nun ist der breitschultrige Helander "wieder voll in Kampfstimmung". Denn für Lappland sind "Schicksalsstunden angebrochen", wie er sagt: Der stille, weite Inarisee, Herzstück des schwach besiedelten, größten Landkreises Finnlands, soll mit Feriendörfern, Hotels und Luxusappartments umbaut werden. Mit dem Zauber des ursprünglichen, von Wäldern und Fels gesäumten Gewässers wird es dann vorbei sein, fürchtet nicht nur Helander: "Die Leute hier sind bestürzt über die massiven Pläne."

Paradies für Outdoor-Fans

Die an den Ufern lebenden rund tausend Rentierzüchter und Fischer vom Volk der Samen, der Ureinwohner des Lapplands, bangen um ihren heiligen See, der ihnen seit jeher die Lebensgrundlagen geliefert hat. Als "Meer der Samen" wird das glasklare Gewässer auch bezeichnet: Es entstand aus einer bis zu 90 Meter tiefen Gletschermulde, die sich nach der Eiszeit auffüllte, zu einer Fläche doppelt so groß wie der Bodensee. Rund 3000 verträumte Inseln und Schären, sämtlich unbesiedelt, sprenkeln die unüberschaubaren Weiten, in die sich zahllose Bäche und Flüsschen ergießen. Das glasklare Wasser hat Trinkwasserqualität.

Von der Einzigartigkeit dieses Naturparadieses künden die enthusiastischen Zeilen, die Kanu- und Kajakfahrer in den Gästebüchern ihrer Herbergen hinterlassen. Bislang zog das Wasserlabyrinth vor allem Outdoor-Fans an, die Tourismus ohne viel Aufwand trieben, in den typischen offenen Schutzhütten für jedermann oder in kleinen, auch von den Samen betrieben Pensionen übernachteten. Nun geht die Angst um, die Region könnte zu einem lauten Ferienzentrum wie Saariselkä werden, der 40 Kilometer westlich gelegene Skizirkus mit Event-Rummel und großen Hotelanlagen.

Lange waren nur Gerüchte im Umlauf, sagt Helander, "doch die Wirklichkeit übertraf alles": Hinter verschlossenen Türen hatte Reijo Timperi, Direktor der Gemeinde Inari, bereits im vergangenen Sommer 1000 Hektar Ufergrund für seine Vorhaben reserviert. "500 Leute sind hier ohne Arbeit", sagt Timperi, "moderner Tourismus ist die Branche, die helfen kann." Gemessen an der Größe des Sees, seien die beanspruchten Flächen doch nur gering.

Eine Vertreterin des weltweit operierenden finnischen Ingenieur- und Beratungsunternehmens Pöyry erläuterte dann auf einer Gemeinderatssitzung das gesamte Projekt, jetzt läuft das Planfeststellungsverfahren. Die aufgebrachten Naturschützer und Samen haben ihre Beschwerden vorgelegt: "Unsere Eingaben gegen die Pläne," so Helander, "werden nun geprüft."

Zehntausende Quadratmeter schon verplant

"Die Einwohner von Inari verteidigen ihren See": Unter dieser Überschrift listete Finnlands größte Tageszeitung, der "Helsingin Sanomat", die vorgesehenen Areale auf. Geplant wird offensichtlich ohne Rücksicht auf das europäische Netz Natura 2000 und das finnische Gesetz zum Schutz der Strände.

So sind auf einem Gebiet, das nach diesem Gesetz gar nicht bebaut werden darf, am Südufer 22 Grundstücke für Villen mit Garage vorgesehen, neue Straßen sollen die Zufahrt ermöglichen. Neureiche Russen, so fürchten die Leute von Inari, könnten sich hier ihre Datschen einrichten - wie schon weiter südlich, in der grenznahen Saimaa-Region. Dort müssen sie sich, anders als im eigenen Land, nicht vor Kriminalität fürchten.

Beim Dörfchen Nanguniemi sind 23.000 Quadratmeter verplant, beim Dorf Nellim nah der russischen Grenze, wo die sogenannten Skolt-Lappen wohnen, 12.000 Quadratmeter. Auch das wohl schönste Gebiet der ganzen Region, am Nordwestufer zwischen dem Städtchen Ivalo und dem Dorf Inari, ist für die Bebauung ins Visier genommen.

Vom Umweltministerium in Helsinki kommen bisher nur ausweichende Stellungnahmen. "Warum wurden diese Vorschriften verabschiedet, wenn man sich nicht an sie hält?", fragt Jouko Nikulainen, Sprecher der Berufsfischer am Inarisee. Bestürzung äußern auch sämtliche Kommentare der regionalen Zeitung "Inarilainen". "Es ist paradox, dass die bereits durch Gesetze geschützte Wildnisnatur des Inarisees verteidigt werden muss," empört sich Helander.

Hauptakteur ist die staatliche Forstverwaltung

Nikulainen ist Sprecher des "Vereins zur Verteidigung des Inarisees", dem auch Helander angehört: Die sonst so zurückhaltenden, jeglichen Polit-Aktionen abgeneigten Lappländer sehen sich diesmal gezwungen, Widerstand zu formieren. Der lokalen Bevölkerung werde das Bauvorhaben ohnehin nicht nützen, sagen sie. Wie bei anderen Großprojekten würden die Investoren erfahrungsgemäß billige Arbeitskräfte aus Estland und Russland über Baufirmen aus Südfinnland anheuern.

Ein Hauptakteur im Drama um den Inarisee ist die staatliche Forstverwaltung Metsähallitus, wegen ihrer enormen Machtbefugnisse volkstümlich auch "Waldregierung" genannt.

"Die Vernichtung unserer freien Strände," so erläutert Mikku Niskasaari in "Suomen Luonto", der Zeitschrift des finnischen Naturschutzverbandes, sei Folge eines verhängnisvollen Schildbürgerstreiches: Um Naturschutzprogramme zu finanzieren, erteilte Helsinki dem Forstgiganten Mitte der neunziger Jahre das Recht, staatliche Strandareale zu verkaufen. Ausgenommen waren Grundstücke großer zusammenhängender und unverbauter Gebiete - eine Einschränkung, die Metsähallitus raffiniert umging: Eine einzige alte Blockhütte genügte, um ein Seeufer als nicht mehr unverbaut zu deklarieren und dort Grundstücke für Ferienhäuser zu verkaufen.

Zuspruch aus Downunder

Nach diesem Muster, so Niskasaari, könne jetzt "für einen geringen Nutzen ein nationales Kleinod ruiniert werden" - mit der Begründung, das erlöste Geld werde zum Kauf von Schutzgebieten verwendet.

Finnland habe, gemäß der Uno-Biodiversitäts-Konvention, ohnehin viel zu wenig Flächen unter Naturschutz gestellt, kritisiert Liisa Rohweder, Chefin des finnischen World Wide Fund for Nature (WWF). Es sei höchst kurzsichtig, die Ufer des schönsten arktischen Sees voll zu klotzen. Für den Massentourismus gebe es in Finnland schon genug Attraktionen, Ökotouristen würden hingegen von der Bebauung abgeschreckt: "Wer würde denn noch für den verbauten Inarisee an den Rand von Europa reisen?" Der Inarisee solle zum Weltkulturerbe erklärt werden, fordert Harald Helander: "Das wäre angemessen und ein Weg zur Rettung."

Ihren bedrängten Landsleuten oberhalb des Polarkreises sind indessen die Auswanderer vom anderen Ende der Welt zur Hilfe gekommen: "Wir Unterzeichnenden wünschen, dass der Inarisee zum Nationalpark erklärt wird", heißt es in einer spontanen Unterschriftensammlung der nach Australien emigrierten Finnen: "Wir können es nicht begreifen, wie das finnische Volk ein solches Vorgehen billigen kann."

Der Inarisee, so schreiben die finnischen Aussies nach Hause, "ist doch ein nationaler Schatz und sollte deshalb in seinem jetzigen Zustand für kommende Generationen bewahrt werden".

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