
Reise per Frachtschiff: Alles klar auf der "MS Alrek"
Brunsbüttel - Schweden per Containerschiff Die Fracht ist König
Von der Terrasse des "Yachthafen"-Restaurants blicken wir auf den Nord-Ostsee-Kanal. Die "Noorderlicht" schiebt sich vorbei, ein Frachter mit knallrotem Rumpf, gefolgt von der imposanten "Conmar Gulf", auf der sich die Ladung bis zur Brücke türmt. Um sie herum schwimmen Kleinboote, die wie Spielzeug wirken und das Ensemble der Containerriesen ehrfürchtig umkreisen.
Die meisten Besucher in dem Brunsbütteler Restaurant sind Schleusentouristen oder Freizeitsegler. Wir dagegen sind hergekommen, um selbst an Bord eines Containerschiffs zu gehen. Durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Kiel, dann weiter über das Meer zu den südschwedischen Häfen von Västerås, Oxelösund und zurück. Wir wollen echten Bordalltag erleben, abwechslungsreiche Landschaften statt endlose Tage auf See. Denn im Gegensatz zu klassischen Kreuzfahrten, wo die Zeit mit touristischem Schnickschnack totgeschlagen werden kann, folgen Frachtschiffreisen ihrer eigenen Dramaturgie. Nicht der Passagier ist König, sondern die Fracht. Sie bestimmt Touren und Liegezeiten. Nicht selten kurzfristig.
So startet unsere Fahrt mit der "MS Alrek", benannt nach einem legendären Wikingerkönig, mit einwöchiger Verspätung. Endlich an Bord, führt uns Kadett Levytskyy in eine Kabine auf Deck 3. Sie ist quadratisch, praktisch, schlicht. Ein Wohnraum mit Sitzecke, Einbaumöbel, Kühlschrank, Fernseher und Schreibtisch, darüber ein Regal mit Büchern. Nebenan der Schlafraum mit Doppelbettkoje und anschließendem Bad. Willkommen zu Hause. Auf Anhieb schließen wir den zehn Jahre alten Wikingerkönig ins Herz.
Zehn Brücken bis zur Ostsee
Die "Alrek" fährt unter der Flagge von Antigua. Mit knapp hundert Meter Länge und 17 Meter Breite ist sie kein Containerriese. Daher wird sie regelmäßig auf dieser Tour durch Kanäle und Schären eingesetzt, sagt Kapitän Andrej Bolschakow. Der Russe wurde in Wladiwostok geboren, wo er 1986 sein Diplom an der Marine-Akademie machte. 14 Jahre lang fuhr er für inländische Reeder. Seit der Jahrtausendwende ist er für ausländische Gesellschaften unterwegs und wohnt mittlerweile in St. Petersburg. Hier auf der "Alrek" hat er gerade alle Hände voll zu tun, um das Schiff aus der Schleuse zu manövrieren.
Dann nimmt der Wikinger Fahrt auf. Auf dem Nordostseekanal sind maximal 8,1 Knoten erlaubt, etwa 15 km/h. Rechts und links überholen uns Radsportler. An den Ufern logieren die Pensionäre der Landstraße in ihren Wohnwagen-Raumschiffen und winken. Auf der Fahrt durch die 100 Kilometer lange Bundeswasserstraße durchqueren wir zehn Brücken. Besonders interessant ist die Rendsburger Brücke mit ihrer berühmten Schwebefähre, die bis zu vier Autos und 60 Fußgänger gleichzeitig über das Wasser gondeln kann. Wer andernorts ans gegenüberliegende Ufer muss, nutzt eine der 14 kostenlosen Fähren entlang des Kanals. Ein Marketing-Instrument aus Kaiser Wilhelms Zeiten, das die Akzeptanz des Mammutprojektes mit lokalen Vergünstigungen zu beeinflussen suchte. Sie gelten bis heute.
"Dinner", ruft der Kapitän und führt uns zum Abendessen in die Offiziersmesse. Bolschakow ist Anfang 50, ein zurückhaltender Mann. Zum Rest der zehnköpfigen Mannschaft gehören Russen, Ukrainer, Polen, Weißrussen und ein Deutscher.
Der heißt Ewald Bendin, ist 68 und eigentlich Rentner. Seit den Sechzigerjahren fährt er zur See. Anfangs in der Fischerei, später als Inspekteur bei der Handelsflotte, zuletzt auf einem Öltanker. Seit seiner Pensionierung macht er hin und wieder Vertretungsfahrten. Auf der "Alrek" ist er als Chefingenieur für den Maschinenraum zuständig.
Bendin lädt uns zu einer privaten Führung ein. "Vorsicht Stufen", brüllt er, bevor wir eine Eisentreppe hinabsteigen. Mit jeder Stufe in die Tiefe wird es stickiger. Die Luft schmeckt nach Öl und Metall. Ein Organismus, der unablässig arbeitet. Ohrenbetäubend laut, stampfend wie ein Ungetüm. "Die Hauptmaschine", sagt Bendin stolz, "eine Acht-Zylinder-MaK mit 2930 kW." An anderer Stelle zwei MAN-Generatoren. Die Kontroll-Lampen am Schaltschrank leuchten grün. Bis auf zwei. "Nicht so tragisch", findet er. Immer wieder wischt er sich den Schweiß von der Stirn, während er durch die Saunalandschaft im Schiffsbauch turnt.
Ankunft in Schweden
Bald verlassen wir den Kanal und erreichen die Ostsee, auf der wir einen Tag und zwei Nächte verbringen. Der Müßiggang besteht aus einer Erkundung der alrekschen Containerlandschaft, aus lesen und Schiffe gucken. Dabei treffen wir auf eine alte Bekannte. "Die 'Conmar Gulf' fährt in meine jetzige Heimat St. Petersburg", sagt der Kapitän nach einem Blick auf eine digitale Seekarte. Wir dürfen Instrumente und Ausstattung der Brücke inspizieren. Radar, Kontroll-Lampen, Knöpfe und Anzeigen werden erklärt, Seekarten aus Papier ausgerollt.
Schließlich ist wieder Land in Sicht. Unser Wikinger-Frachter durchquert die Schärengärten von Södertälje. Südschwedische Postkartenidylle: enge Passagen zwischen hügeligen Ufern, winzige Inselchen, schmucke rote Holzhäuschen. Jachthäfen, Schleusen, kleine und große Brücken. Auch Kapitän Bolschakow sagt, er schätze die Abwechslung auf dieser Tour sehr viel mehr als die Endlosigkeit der großen Meere. Wir erreichen den Mälarsee und legen am frühen Nachmittag in Västerås an. Container und mannshohe Stahlrollen werden über die Reling gehievt. Zeit zur freien Verfügung.
Die Stadt kann zu Fuß erlaufen werden. Ihr Zentrum schmücken niedliche Fachwerkhäuschen, Parks und eine Domkirche. Die Fußgängerzone mit Kneipen und Geschäften ist voller junger Leute. Der See auch. "Allahu akbar", jauchzt ein Mann, bevor er sich per Arschbombe ins Wasser plumpsen lässt. Im Stadtbad von Västerås treffen sich Menschen aller Hautfarben und Altersgruppen. Gemeinsam schaukeln sie in den Wellen der vorbeifahrenden Frachtschiffe.
Einen Tag später erreichen wir Oxelösund, genauer gesagt, den firmeneigenen Industriehafen von Swedish Steel AB. Nach einem letzten Ausflug in das nahe Nyköping steht bald die Rückfahrt an. Unsere Erwartungen haben sich erfüllt: nach echtem Schiffsalltag mit Kanalimpressionen und Fjordlandschaften. Darauf ein letztes Bier, während Kapitän Bolschakow auf der Brücke wacht und Wikinger "Alrek" wie eine Wiege in der Dünung schaukelt. In unserer Kajüte poltern Schubfächer auf und zu. Wir kommen selbst ins Taumeln und müssen uns immer wieder hinsetzen. "Pff", macht Bendin am nächsten Morgen. "Erst wenn ein voller Bierkasten über den Teppich rutscht, ist das Wetter schlecht."