
Von Tiflis nach Batumi: Bildband über Georgien
Bildband über Georgien Kleines Land, viele Facetten
Wie sieht der Alltag in Georgien aus, in den Städten und auf dem Land? Was prägt das gesellschaftliche Zusammensein? Welche Entwicklungen gibt es, welche Herausforderungen? Nach Jahrhunderten der Besatzung und nach unzähligen bewaffneten Konflikten präsentiert sich Georgien als aufstrebende Republik und wird auch für Reisende immer interessanter. Der Fotograf Andreas Oetker-Kast hat sich mehrere Monate in dem Land aufgehalten und seine Eindrücke in einem Bildband festgehalten.
SPIEGEL ONLINE: Herr Oetker-Kast , wann haben Sie Georgien zum ersten Mal besucht und mit welchen Vorstellungen sind Sie dort hingefahren?
Oetker-Kast: Ich wurde 2011 nach Tiflis eingeladen, um an einer internationalen Ausstellung teilzunehmen. Damals wusste ich nicht viel über das Land, ich hatte viele Bilder von Konflikten im Kopf - was man aus den Medien eben kennt. Als ich dort ankam, war ich überwältigt: von der Gastfreundschaft der Menschen, von ihrer langen Geschichte und den Traditionen, aber auch der Vielfalt des Landes.
SPIEGEL ONLINE: Wann haben Sie angefangen zu fotografieren?
Oetker-Kast: Sofort! Zuerst, um das alles für mich zu erfassen und zu verarbeiten. Dann aber immer mehr aus dem Anreiz heraus, diese Erfahrungen weiterzugeben. Ich wollte auf meine Art von dem Land erzählen - jenseits von Klischees und touristischen Highlights.
SPIEGEL ONLINE: Was wollten Sie stattdessen zeigen?
Oetker-Kast: Mich interessiert der Alltag: Hier offenbart sich viel über die Menschen und ihr Leben, und über den Ort, an dem sie leben. Mir ging es darum, meinen persönlichen Eindruck dieses faszinierenden Landes zu zeigen - und nicht um eine repräsentative Darstellung. Das bedeutet natürlich auch, dass ich nicht alle Facetten zeigen kann. Den Anspruch habe ich auch nicht.
SPIEGEL ONLINE: Wie sind Sie beim Fotografieren vorgegangen?
Oetker-Kast: Meine Arbeitsweise ist eigentlich immer sehr intuitiv, ich fotografiere ohne großen Plan, lasse die Umgebung auf mich wirken. Aber ich habe mir auch Orte gezielt ausgesucht, die ich sehen wollte, und bin dort hingefahren.
SPIEGEL ONLINE: In ihrem Bildband "Tamar, where are you?" zeigen Sie auch Fotografien von georgischen Künstlern - warum?
Oetker-Kast: Ich habe mir die Frage gestellt, ob es mir als westlichem Fotografen möglich ist, Georgien wirklich zu erfassen - mein Blick ist durch meine Herkunft, Sozialisation und Erfahrungen geprägt. Deshalb habe ich georgische Kollegen angesprochen: Sie zeigen die Perspektive derjenigen, die dort aufgewachsen sind. So entsteht eine Art Dialog zwischen Innen- und Außenansicht, der einen tieferen Einblick in das Land gibt.
SPIEGEL ONLINE: Wie sind die Menschen Ihnen vor Ort begegnet?
Oetker-Kast: Offen und sehr gastfreundlich, so etwas habe ich vorher noch nie erlebt. Sie haben mich oft zu sich nach Hause eingeladen und fühlten sich dann sehr geehrt, wenn ich sie besuchte. Und ich habe viele Georgier kennengelernt, die sehr leidenschaftlich von ihrem Land berichten und dies an die Besucher weitergeben möchten. Die Menschen sind sehr geprägt von den politischen Entwicklungen: von der Zeit als Sowjetrepublik, der Unabhängigkeitserklärung Anfang der Neunzigerjahre und den bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen, von der friedlichen Rosenrevolution und den freien Wahlen in den Nullerjahren - um nur einige Beispiele zu nennen. Auch heute gibt es immer noch eine hohe Arbeitslosigkeit, politisch jedoch haben sie große Schritte in Richtung einer Demokratie geschafft.
SPIEGEL ONLINE: Wie zeigt sich der Einfluss der Sowjetzeit nach so vielen Jahren der Unabhängigkeit?
Oetker-Kast: Die Erinnerungen sind noch immer präsent und prägen den Blick auf Vergangenheit und Gegenwart. Viele empfinden den übermächtigen nördlichen Nachbarn nach wie vor als eine latente Bedrohung, vor allem unter dem jetzigen Präsidenten Russlands. Man weiß nie so ganz genau, wie lange die friedliche Zeit halten wird, denn Konfliktherde gibt es genug.

Von Tiflis nach Batumi: Bildband über Georgien
SPIEGEL ONLINE: Welcher Ort hat Ihnen am besten gefallen?
Oetker-Kast: Ich mag Tiflis, besonders die Energie der Stadt. Auch wenn es laut ist und durch die Abgase der Autos oft stinkt, fühle ich mich dort sehr wohl. Es ist eigentlich eine sehr europäische Stadt, fast jedes Café oder Restaurant hat freien Zugang zu WLAN. Außerhalb der Hauptstadt hat mich das Kloster Dawit Garedscha und die Umgebung sehr beeindruckt - da herrscht eine spezielle Atmosphäre.
SPIEGEL ONLINE: Was macht Georgien touristisch attraktiv?
Oetker-Kast: Man kann sehr unterschiedliche klimatische und geografische Eindrücke in einem so kleinen Land erleben: Es gibt das Hochgebirge mit dem kleinen Kaukasus im Süden und dem großen Kaukasus im Norden, eine fast subtropische Zone im Westen am Schwarzen Meer, immer wieder fruchtbares Ackerland dazwischen und dann die wüstenartigen Landschaften im Osten des Landes. Ein weiteres Highlight ist sicherlich der Wein: Georgien ist die Wiege des Weins, und in der Region Kachetien im Osten kann man das besonders eindrucksvoll erleben.
SPIEGEL ONLINE: Was ist für manchen Touristen vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig?
Oetker-Kast: Man sollte sich darauf einlassen, dass nicht alles immer perfekt funktioniert, so wie man das aus der Heimat kennt. Vor allem, je weiter man sich von der Hauptstadt weg in ländliche Regionen bewegt. Auch sollte man sich auf ein anderes Zeitverständnis einstellen.
SPIEGEL ONLINE: Wie sieht die touristische Zukunft des Landes Ihrer Meinung nach aus?
Oetker-Kast: Ich denke, sehr positiv: Das Land hat so viel zu bieten und steht erst am Anfang der Reise.