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Hausboot-Tour auf dem Canal du Midi: Entdeckung der Langsamkeit

Foto: Guillaume Horcajuelo/ dpa

Hausboot-Tour in Südfrankreich Morgenkaffee am Ruder

64 Schleusen, 130 Brücken, ein Aquädukt und ein Tunnel: Der südfranzösische Canal du Midi ist für Hausboot-Kapitäne eine seemännische Herausforderung. Aber gerade im Herbst ist das Schippern zwischen Weinbergen und Getreidefeldern eine wunderbare Möglichkeit, einfach mal abzuschalten.

Die Blätter der Platanen rauschen, Wasser gluckst und gurgelt. Das Blau des Himmels reicht herunter bis auf die abgeernteten Getreidefelder, die Luft ist erfüllt vom Duft der Schilfgräser. Drei Entenpärchen fliegen auf und landen wenig später wieder am Rand des Kanals, eine Bisamratte taucht ab in ihren Bau in der Uferböschung. Am Ruder eines Hausboots, einer kleinen Penichette, stehend können Hobby-Kapitäne die Herbstidylle auf dem Canal du Midi genießen.

In der Nähe der Wasserstraße, die seit 1997 zum Weltkulturerbe der Unesco gehört, donnert ein TGV-Zug vorbei, dahinter dröhnt der Schwerlastverkehr der Autobahn A61. Gleichzeitig lässt der brummende Bootsdiesel bräsige Gemütlichkeit aufkommen: Bei einer Spitzengeschwindigkeit von acht km/h gerät die Fahrt durch die in Zeitlupe vorbeigleitende Landschaft zur Entdeckung der Langsamkeit.

Selbst in den Städten und Dörfern längs des Kanals ist das Leben weniger hektisch als in den französischen Provinzmetropolen Béziers oder Narbonne. Jenseits der mächtigen Umfassungsmauern von Carcassonne, wo der Canal du Midi in westlicher Richtung zwischen dem Montagne Noire und den Vorgebirgen der Pyrenäen mäandert, geht der urbane Rhythmus endgültig in ländliche Ruhe über. Für gedrosseltes Tempo und eine bukolische Beschaulichkeit sorgen auch eine Vielzahl von Schleusen.

Für die meisten Landratten ist der Stopp an der Schleuse - obwohl bei der "nautischen Einweisung" eingehend erklärt - anfangs noch eine seemännische Herausforderung. Andererseits erweist sich der Halt und der Klönschnack mit den Hütern der Wehre als lohnend, denn neben dem Austausch von Anekdoten bekommen Touristen jede Menge Tipps. Nützlich vor allem, wenn ein Fahrrad den Besuchsradius auf umliegende Sehenswürdigkeiten wie Schlösser, Museen oder Weingüter erweitert.

Der Initiator: ein Beamter im 17. Jahrhundert

Jean-Paul an der Schleuse von Laurens bringt es fertig, während der Durchfahrt durch drei hintereinanderliegende Staustufen fast die gesamte Geschichte des Kanals zu erzählen. Es ist vor allem die Geschichte eines Mannes, der von seiner Idee überzeugt war: die von Pierre-Paul Riquet (1609 bis 1680), der reich geworden war durch die Erhebung der Salzsteuer in den Diensten des Königs.

Riquet war 58 Jahre alt, als er die Idee eines Verbindungskanals zwischen Atlantik und Mittelmeer aufgriff, die auf die Antike zurückging und auch unter Karl dem Großen oder Ludwig XIII. erwogen worden war. Doch das Projekt war stets an den technischen Problemen gescheitert - das wichtigste: die stete Wasserversorgung des 240 Kilometer langen Bauwerks am höchsten Scheitelpunkt.

Riquet, der in den Montagne Noire Häuser und Ländereien besaß, plante dazu bei Saint Ferréol den Bau eines gewaltigen Staubeckens, gespeist aus kleineren Gewässern. Ein eigens gebauter Graben, 34 Kilometer lang, würde das Wasser bis zur Wasserscheide bei Naurouze fördern; hier teilen sich die Fluten Richtung Westen zum Atlantik, nach Osten enden sie im Mittelmeer.

Mindestens so schwierig wie die Berechnung des Kanals und der Staustufen war es, Ludwig XIV. von den Plänen zu überzeugen. Die Vorteile lagen auf der Hand. Zunächst die deutlich verkürzte Strecke von Mittelmeer bis Atlantik - 240 Kilometer Kanal bis nach Toulouse, dann noch mal dieselbe Distanz auf dem schiffbaren Teil der Garonne statt der 3000-Kilometer-Route rings um die Iberische Halbinsel. Und neben der Zeitersparnis für den Transport von Gütern bot der Bau auch einen militärischen Vorteil, schreibt Philippe Calas, Lehrer und Amateurhistoriker des Kanals: denn die Meerenge von Gibraltar wurde von Spanien kontrolliert.

Eine gigantische Anlage, die sich lohnte

Die Obrigkeit war interessiert, allein die Finanzierung machte Sorgen: Um die Bedenken auszuräumen, bot Riquet an, einen Teil der Anlage selbst zu bezahlen. 1666 begannen die Arbeiten am ersten Teilstück, im Jahr darauf folgte die Konstruktion des Staubeckens bei Saint Ferréol, damals mit 1,6 Millionen Kubikmetern das weltweit größte seiner Art. Zwölf Jahre später, Riquet war sechs Monate zuvor gestorben, wurde der Kanal eingeweiht: eine gigantische Anlage mit 64 Schleusen, 130 Brücken, einem Aquädukt und einem Tunnel, nebst Überläufen, Rückhaltebecken und Zulaufrinnen.

Die Investition - Calas berichtet von 17 Millionen Pfund - lohnte sich: Mehr als 300 Jahre lang waren der Kanal und der anschließende Lauf der Garonne für den Transport von Gütern und Menschen wichtig. Erst mit dem Beginn der Eisenbahn verlor der Canal du Midi  seine Bedeutung; heute lohnt der Erhalt vor allem dank des Tourismus - ob zu Wasser, zu Pferd oder auf dem Fahrrad.

Der Kanal, an dessen Entstehung bis zu 12.000 Arbeiter mitwirkten, erhielt erst später seine Bepflanzung - Obstbäume, Maulbeeren, Pappeln; Anfang des 19. Jahrhunderts wurden sie allmählich durch Platanen, Fichten und Zypressen ersetzt. Die Bäume schützen Menschen und Pferde auf dem Treidelweg gegen Hitze, das Grün der Alleen vermindert die Verdunstung, die Wurzeln helfen, das Ufer zu befestigen, Nadeln und Blätter dichten zudem das Kanalbett ab.

Herbstgericht Cassoulet

Mittlerweile droht der Wasserlauf allerdings durch Schlick und Blätter zu verschlammen. Und die Uferbäume sind gefährdet: Pilz hat seit 2006 an 150 Stellen die Platanen befallen, 40.000 Bäume müssen während der nächsten Jahre durch resistente Neupflanzungen ersetzt werden - was Anblick und Atmosphäre am Kanal nachhaltig verändern wird.

Den Charme der Bootstouren beeinträchtigen dürfte aber auch das Modernisierungsprogramm der Voies Navigables de France (VNF), heute verantwortlich für den Betrieb des Wasserwegs. Das Unternehmen will die Schleusenwärter, die in ihren malerischen Häusern längs des Kanals leben und arbeiten, Zug um Zug durch automatische Wehre ersetzen: Sensoren und vielleicht gar Überwachungskameras statt vor Ort erfahrener Geschichten und Ratschläge, wie die von Jean-Paul.

Das Mannsbild, Schnurrbart und blauer Overall, empfiehlt einen Besuch bei Töpfer Jean-Pierre Not, der mit seinem Sohn, seinen Brüdern und Neffen gleich neben der Schleuse den Familienbetrieb  führt. Seit drei Generationen produzieren sie hier Töpfe und Vasen für den Garten, buntglasierte Vogelhäuschen und vor allem Schüsseln für das klassische Regionalrezept, den Cassoulet: Den richtigen Geschmack erhält der Bohneneintopf mit deftigen Beigaben aus Speck, Schweinewurst oder gar Entenstopfleber durch langsames Garen im Backofen - und dazu bedarf es der irdenen Form des Töpfers Jean-Pierre.

Der empfiehlt "Etienne" als das beste Haus am Platz, in kurzer Radfahrweite vom Kanal entfernt. Das deftige Gericht, begossen mit lokalem Tropfen des Languedoc, passt zur Herbststimmung, die am Abend in feuchte Frische umschlägt. Am nächsten Morgen sind Wolken aufgezogen, aber mit einer Tasse dampfendem Kaffee vor dem Ruder bleibt das Gefühl einer wunderbar entschleunigten Welt.


Informationen zum Bootsverleih :
Besonders geeignet für das Manövrieren sind die Penichettes - Boote, die den ehemaligen Kanalkähnen nachempfunden sind. Vorsicht bei der Buchung der günstigsten Klasse: Die "Einsteiger"-Typen sind bis zu 20 Jahre alt und - etwa beim Sanitärbereich - überholt.

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