Hoteltester Beim Rasieren blaue Flecke
München - Nach fünf Tagen standen die Ergebnisse des professionellen "Spionage-Trips" fest: Das City Hilton München fliegt raus, der Bayerische Hof wird auch weiterhin "nur" vier Sterne bekommen, und der Besitzer des Gourmetrestaurants Tantris erhält einen "blauen Brief" - wegen seiner abstoßenden, verstaubten Inneneinrichtung. Das ist die Vorstufe zum Rausschmiss aus dem Varta-Führer. Die Tester haben gesprochen. Knapp eine Woche lang waren fünf Inspektoren des Führers inkognito durch München unterwegs, um für den jetzt neu erschienenen "Varta 2001" Hotels und Restaurants unter die Lupe zu nehmen.
Treffpunkt Bayerischer Hof, Münchens Promi-Herberge und Deutschlands umsatzstärkstes Hotel. Ein Haus, das sich zu den internationalen Luxushotels zählt. Der Tester erlebt anderes: Auf dem Weg zum Zimmer registriert er Schmutz- und Schleifspuren an frisch gestrichenen Wänden; scharfe Kanten haben die gelbe Wandtapete offenbar aufgeschlitzt.
Sein Zimmer ist kaum mehr als eine komfortable Abstellkammer: Online und unter falschem Namen gebucht, hat er bereits 315 Mark fürs Zimmer plus 34,50 Mark fürs Frühstück gezahlt. Dafür blickt der Inspektor auf Bauschutt im Innenhof, quält sich mit einer zu lauten Klimaanlage und holt sich beim Rasieren blaue Flecken im viel zu kleinen Bad. Das Kleenex klammert sich in seiner Pappbox verschämt an der Waschbeckenablage. Als Schreibtisch dient ein Mini-Beistelltisch in der dunkelsten Zimmerecke, eine der beiden Glühkerzen in der funzeligen Lampe darüber ist defekt, Fernsehen ist nur vom aus Bett möglich. Sonst droht Genickstarre.
Das Frühstück relativiert erneut den Anspruch von Luxus. Die Tische stehen viel zu eng, dazwischen stapelt das Personal viel zu lange, unappetitliche Schmutzgeschirrberge, abgesplitterte Keramikschalen auf dem Büffet und Servietten mit Papierbanderole vermitteln Kantinenflair statt Luxusambiente.
Der Inspektor lässt sich später noch Zimmer zeigen, genau wie seine vier Kollegen, die während dieser Testwoche nacheinander im Bayerischen Hof vorbeischauen. Jeder übernachtet in einem anderen Hotel, aber alle müssen sich ein eigenes Bild von den anderen Hotels verschaffen.
Alle Tester sind Hotelbetriebswirte
Gegen Mittag pflegt jeder ein Restaurant zu testen, Gourmettempel besuchen mindestens zwei, manchmal auch vier Leute in wechselnder Besetzung zu unterschiedlichen Zeiten. Die Anonymität muss gewahrt bleiben. Gegen Abend zieht jeder ins nächste Hotel um, packt erneut den Laptop aus und schreibt die Ergebnisse des Tages detailliert in die Datenbank. Schon deshalb reagieren alle Varta-Tester allergisch auf zu kleine Schreibtische. Um die zehn Termine pro Tag absolviert jeder, abhängig von der Erfahrung. Alle Tester sind Hotelbetriebswirte oder Küchenchefs, die einmal mindestens eine Varta-Kochmütze erkocht haben müssen; manche waren oder sind selbständig, alle kennen Hotels und Restaurants aus eigener Erfahrung und aus verantwortlichen Positionen.
50.000 Kilometer pro Jahr legt ein Inspektor im Auto quer durch Deutschland zurück, eine Testwoche à la München kostet den Verlag pro Kopf 3000 bis 5000 Mark. Im vorliegenden Band sind 8010 Hotels und 3960 Restaurants bewertet. "Jeder kennt das Rafael-Hotel - jetzt ein Mandarin Oriental Hotel - in München, aber absteigen tun die meisten in Häusern, die der Varta mit ein und zwei Sternen qualifiziert," sagt ein Inspektor. Deshalb stellen die "normalen" Hotels die Mehrheit der Testkandidaten.
Alltag birgt menschliche Kuriositäten
Im Wohlstandsstaat Deutschland gibt der allgemeine Standard das Minimum vor. Wer in Häusern mit einem Varta-Stern absteigt, sollte in allen Zimmern Vollbad beziehungsweise Dusche und WC sowie Telefon vorfinden; alles sollte zeitgemäß eingerichtet, erkennbar renoviert und folglich in einem gepflegten und sauberen Zustand sein. Außerdem sollte das Hotel regelmäßig geöffnet und von 8 bis 22 Uhr gut erreichbar sein. Das sind die Standards, der Alltag birgt menschliche Kuriositäten. Weil immer noch fünf Prozent ihrer Gäste im Zimmer arbeiten, statt den Barumsatz zu erhöhen, will eine Wirtin die Schreibtische in ihrem Zimmer rausreißen. In einem anderen Haus nervt ein Wasserboiler den nächtigenden Tester, im nächsten dringt das Zimmermädchen trotz "Bitte nicht stören"-Schild ins Zimmer ein. Der Tester muss sie vor die Zimmertür schieben, wo sie aber beharrlich wartet, bis er wieder aus dem Bad kommt.
Hoteltests sind hart, Hotelbewertungen noch viel härter. Am Ende der München-Woche treffen sich alle Inspektoren im Hotelzimmer von Gabriele Meichsner. Die verantwortliche Chefredakteurin hat eine Junior-Suite gebucht, damit alle im kleinen Wohnzimmer Platz finden. Auf einem Flipchart stehen bereits die Namen der Testhotels: Jetzt müssen die Rangfolgen bestimmt werden. Dann geht's Schlag auf Schlag: Zuerst fliegen die "Verlierer" raus, dann verschieben die Tester zwei Hotels in die Abteilung Boardinghäuser, ein Hotel wird 2001 nur noch auf der CD-Rom und nicht mehr im gedruckten Führer genannt.
Einig sind sich alle, dass das ehemalige Rafael Hotel Münchens Nummer eins bleibt. Das erst vier Tage alte ArabellaSheraton Grand Hotel München haben die Herren in ihrer Testwoche genauso unter die Lupe genommen wie das neu renovierte Hilton Tucherpark. Hält das City Hilton dem Vergleich mit diesen neuen Häusern Stand? Nein, die Tester werten es wegen zu schlechten Zustands der Zimmer zunächst auf drei Sterne ab. Das aber würde wiederum die permanent gute Leistung eines Palace oder Excelsior Hotels schmälern. Ergebnis: Das City Hilton wird deshalb 2001 nicht im Varta gelistet sein.
Am kniffligsten ist es, die 2- und 1-Sterne-Häuser zu bewerten. Bei ihnen zählen letztlich der Gesamteindruck und das Preis-Leistungsverhältnis. Jetzt schauen die Tester öfter in ihre detaillierten Laptop-Aufzeichnungen, um vergangene und aktuelle Notizen zu vergleichen, sie amüsieren sich persönlich über schweinchenfarbene Tapeten und ärgern sich als Profis über Schmuddelbäder und Steinzeit-Möbel. Jedes Hotel, für das kein einhelliges Votum erzielt wird, kommt wieder auf die "Springerliste": Das bedeutet, dass dieses Haus vor Erscheinen des aktuellen Varta-Führers von einem weiteren, neutralen Kollegen erneut anonym inspiziert wird.