Interview mit Musiker Molvær "Ich liebe klare, scharfe Grenzen"
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Herr Molvær, Musik aus Norwegen ist zurzeit sehr hip. Wenn man aber genau hinhört, fällt einem bei vielen Künstlern eine gewisse melancholische Grundstimmung auf. Egal ob bei den Kings of Convenience, bei Ihrem Jazz-Kollegen Jan Garbarek oder bei Ihnen selbst. Haben Norweger ein mittelschweres Gemüt?
Molvær: Eine schwierige Frage. Zunächst mal ist es wohl schon so, dass es einen typischen "Sound of Norway" gibt. Ich meine, wir sind hier in Norwegen ja ziemlich weit entfernt von Amerika, wo viele aktuelle Trends entstehen. Und wir haben in der Vergangenheit auch nicht so oft Besuch gehabt von amerikanischen Jazzmusikern wie etwa die Schweden, was die Szene dort stark beeinflusst hat.
In Norwegen gibt es nicht so viele Musiker, wir haben hier eine relativ kleine, verschworene Szene, wo im Prinzip jeder jeden kennt. Deshalb steht wohl auch jeder irgendwie unter dem Einfluss des anderen. Daraus hat sich seit Ende der neunziger Jahre ein gewisser Sound entwickelt. Aber melancholisch würde ich ihn nicht unbedingt nennen.
SPIEGEL ONLINE: Wie würden Sie den gemeinsamen Nenner der norwegischen Musiker beschreiben?
Molvær: Ich finde, wir klingen sehr positiv. Und wir improvisieren gerne. Allerdings beziehen wir uns dabei nicht so sehr auf die traditionellen afro-amerikanischen Wurzeln. Wir stehen anderen Musikformen näher, Ambient zum Beispiel. Ich etwa lasse mich eher von Klangfarben beeinflussen und bewege mich lieber frei im Raum, als mich von Akkorden einengen zu lassen.
SPIEGEL ONLINE: Warum kommen eigentlich so viele erfolgreiche Musiker, vor allem Jazzer, aus Skandinavien? Haben Sie wegen der langen Winter mehr Zeit zum Üben?
Molvær: Das dürfen Sie mich nicht fragen, ich bin ja gar kein klassischer Jazzmusiker. Natürlich ist da Jazz in dem, was ich spiele. Meine Musik aber sehe ich eher als ein Baby an, das Gene aus allen möglichen Genres hat, aus Ambient, Drum'n'Bass, einfach aus allem Möglichen. Ich habe mal ein Projekt mit Aha gemacht, und ich mag auch klassische Musik. Die Herausforderung ist es, das Baby aufwachsen zu lassen und aus ihm einen gesunden Erwachsenen werden zu lassen.
SPIEGEL ONLINE: Wie war das bei Ihnen, als Sie zum erfolgreichen Allround-Trompeter heranwuchsen - haben Sie besonders viel geübt?
Molvær: Ehrlich gesagt, im Winter war ich mehr draußen als drinnen, weil Sie eben die langen Nächte ansprachen. Ich war ein begeisterter Skispringer. Ich habe nie viel geübt, zumindest nicht als Junge. Da habe ich lieber meine Black-Sabbath-Platten gehört, dabei kann man übrigens auch viel lernen. Damals spielte ich noch Drums und keine Trompete.
SPIEGEL ONLINE: Ein Kritiker hat mal über Ihre Musik gesagt, sie sei kalt und warm zugleich, ganz wie Norwegen selbst. Trifft das zu?
Molvær: Ja, das klingt gut. Den Vergleich hatte ich noch gar nicht gehört. Für mich aber ist Musik nicht nur warm oder kalt, sie ist vor allem Arbeit.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie beim Arbeiten Bilder vor Augen? Wenn Sie Songs wie "Vilderness" spielen, die ja wie eine akustische Interpretation von Norwegen klingen?
Molvær: Manchmal, beim Komponieren, also während des Prozesses des Entstehens, aber die Bilder kann ich gar nicht genau beschreiben. Manchmal habe ich auch meine Kinder vor Augen, wenn ich improvisiere.
SPIEGEL ONLINE: Eines Ihrer Stücke heißt "Hurry Slowly". Ist das ein typisch norwegischer Wesenszug? Sich gemächlich zu beeilen, alles etwas entspannter anzugehen?
Molvær: Ja, das ist so. Wir Norweger bewegen uns gern mit Muße. Es geht in dem Stück aber auch um die Gegensätze. Deswegen habe ich eins meiner Alben "Solid Ether" (auf Deutsch: fester Äther, die Red.) genannt. Norwegen ist ja ein Land der Gegensätze. Das fängt schon bei den Jahreszeiten an. Es gibt sehr, sehr klare Unterschiede, in den Farben der Natur, in den Temperaturen, im Klima allgemein. Sommer und Sonne, Winter und Kälte, da verwischt nichts. Das liebe ich, klare, scharfe Grenzen.
SPIEGEL ONLINE: Hat das Ihren Sound beeinflusst? Sie sind ja an der Westküste aufgewachsen, dort, wo Norwegen besonders wild ist.
Molvær: Ganz bestimmt. Ich stamme halt nicht aus der Bronx. Das Land, in dem man groß geworden ist, die Umgebung, die Landschaft und die Geräusche haben natürlich einen Einfluss auf die Musik, die man spielt.
SPIEGEL ONLINE: Welches Geräusch aus Ihrer Kindheit am Fjord war denn besonders prägend?
Molvær: Das Prasseln des Regens. Wo ich herkomme, trommelt es oft und lange aufs Dach, das kann ich Ihnen sagen. Vielleicht hat auch das mein Rhythmusgefühl beeinflusst.
SPIEGEL ONLINE: Wenn Ihre Eltern früher mit Ihnen nach, sagen wir, Südfrankreich gezogen wären, würden Sie heute eine andere Musik spielen?
Molvær: Ganz bestimmt.
SPIEGEL ONLINE: Wie würde die Trompete von Monsieur Molvær dann klingen?
Molvær: Brasilianischer vielleicht, mit einem Samba-Einschlag. Wie Ibiza, leicht und warm, so eine Art Café-del-Mar-Musik. Aber ich bin froh, dass wir in Norwegen geblieben sind. Auch wenn es für einen Teenager mitunter verdammt langweilig sein kann, in dem hinterletzten Winkel aufzuwachsen. Ich bin allerdings schon während der Schulzeit nach Oslo gegangen, auf ein Internat. Danach habe ich für zwei Jahre eine Musikakademie besucht, im Norden in Trondheim. Aber nach zwei Jahren hatte ich genug und bin nach Oslo zurückgegangen.
SPIEGEL ONLINE: Warum leben Sie heute noch in Norwegen und nicht, wie viele Musikerkollegen, in London oder New York?
Molvær: Ich liebe mein Land. Unser Sozialsystem ist sehr gut, es gibt nicht so große Unterschiede zwischen arm und reich wie vielleicht woanders. Außerdem ist Norwegen ein sehr stilles Land. Ich bin ja viel unterwegs, und Norwegen ist mein Ruhepol, hier kann ich mich am besten entspannen. Es ist still hier und sehr relaxt. Und es gibt viel frische Luft. Ich gehe gern in die Natur, im Sommer jogge ich und im Winter laufe ich Ski, man hat hier wirklich alle Möglichkeiten.
SPIEGEL ONLINE: Wo genau leben Sie denn heute?
Molvær: Ganz in der Nähe von Oslo. Bugge Wesseltoft wohnt gleich nebenan, nur 250 Meter entfernt.
SPIEGEL ONLINE: Treffen Sie sich da am Gartenzaun auf ein Bier und tauschen Musiker-Klatsch aus?
Molvær: Wir treffen uns natürlich, und wir erzählen uns auch das eine oder andere. Aber nicht am Gartenzaun, da ist gar kein Zaun.
Das Interview führte Philip Wesselhöft