
Dublin Greeters: Ganz normale Menschen als Stadtführer
Kostenlose Dublin-Stadtführungen Erst die Couch, dann das Vergnügen
Hallo! Ist hier jemand? Die grünlackierte Tür steht eine Handbreit offen. Es nieselt, kühler Wind kommt auf. Drinnen ist kein Mucks zu hören, keine Sterbensseele zu sehen. Was ist denn das für eine Begrüßung?
Doch schon gleitet der Hausherr die Treppe hinab. Vermutlich hatte er nur noch ein paar Bilderrahmen zurechtgerückt. Oder das seidene Einstecktuch in seinem Jackett zurechtgezuppelt. "Willkommen in Dublin", wünscht der gut gekleidete Mann mit einem gewinnenden Lächeln.
Simon O'Connor ist Geschäftsführer von City of a Thousand Welcomes. Die Initiative will Dublin-Besuchern einen warmen, persönlichen Wohlfühlempfang bereiten. Mit etwas Smalltalk, brandheißen City-Tipps, einem brühwarmen Kaffee oder einem fasskühlen Bier. Die Botschaft: Du bist nicht allein in dieser großen Stadt, und wir wollen, dass du dich bei uns wohlfühlst.
O'Connor ist ein offizieller Grüßgottonkel, wenn man so will. Und außerdem Manager des Little Museum of Dublin. Die Begrüßungsinitiative und das Museum wurden im vergangenen Jahr fast gleichzeitig aus der Taufe gehoben. Wer einen Termin für sein ganz persönliches Hallo vereinbart, muss sich in den Räumen des Museums am St.-Stephen's-Green-Park einfinden, um seinen persönlichen Dublin-Botschafter zu treffen. Das hat den unschätzbaren Vorteil, dass Dublin-Newbies gleich einen ersten sympathischen Einblick in die Seele der irischen Hauptstadt erhalten.
Che Guevara und Irish Folk
Denn die Museumsexponate sind ein wild durcheinandergewürfeltes Sammelsurium: Erinnerungsstücke, Werbeschilder, Möbelstücke und sonstiger museumsreifer Krimskrams mit Dublin-Bezug. Etwa eine der allerersten Reprografien des weltberühmten, rot-schwarzen Che-Guevara-Logos. Der Designer war Dubliner. Oder Fanbriefe an die Irish-Folk-Band The Dubliners. Oder ein Stehpult, an dem John F. Kennedy eine seiner letzten Reden in Europa hielt - nur einen Tag, nachdem er sich in Deutschland als Berliner geoutet hatte.
"Wir haben hier Sachen, nach denen sich sogar das Nationalmuseum die Finger leckt", grinst O'Connor. Dessen Leiter habe unlängst mit offener Kinnlade in den Ausstellungsräumen gestanden. "Fast täglich schneit jemand herein und bringt ein Stück Dubliner Vergangenheit vorbei", erzählt O'Connor. Damit sich die Touristen auch in der Gegenwart zurechtfinden, dafür gibt es die Dublin-Botschafter von "City of a Thousand Welcomes".
Eine von ihnen ist Frances. Eine leidenschaftliche Empfangsdame, wie O'Connor versichert. Die rothaarige Frührentnerin kommt einmal pro Woche vorbei, um ausländische Besucher in Empfang zu nehmen. Und mit ihnen den Verzehrgutschein in Höhe von zehn Euro auf den Kopf zu hauen.
Doch bevor es losgeht, geht's auf die Couch. Da kommt kein Gast drum herum. "Die erste Begrüßung findet grundsätzlich auf dem Sofa statt", erklärt O'Connor. Frances hat es sich schon darauf bequem gemacht. Kerzengerade sitzend fragt sie höflich nach dem Befinden ("großartig"), dem Verlauf der Anreise ("angenehm") und der Unterkunft ("wunderbar"). Persönliche Vorlieben während des Aufenthalts? "Musik, Pubs, Rugby".
Das Procedere erinnert entfernt an einen Loriot-Sketch. Wichtiges Utensil des Humoristen war bekanntlich das grüne Sofa. Das Sofa von City of a Thousand Welcomes ist zwar rot. Dennoch entbehrt die Szene nicht einer gewissen Komik: etwas steif, etwas schrullig. Zum Schmunzeln und gleichzeitig sehr liebenswürdig.
Rock'n'Roll und Rugby
Nach dem Abhaken der Höflichkeitsfloskeln soll es auf die Walz gehen. Zum Willkommen unter vier Augen. Frances stellt den Besucher vor die Wahl: ein In-Café, ein Pub mit eigener Brauerei oder ein Hotel-Bistro - jeweils Kooperationspartner und Sponsoren der kostenlosen Verzehrbons. Das Kaffeehaus soll es sein, das Bewley's Grafton Street Café. Tagsüber einer der beliebtesten Treffs vieler Dubliner. Nur wenige Gehminuten vom Little Museum entfernt.
Es geht über die Grafton Street, eine zentrale Shoppingmeile. Hier zeigt Frances, was in einer stolzen Dublinerin steckt. Sie macht einen kleinen Umweg, um etwas zu zeigen. Nach wenigen Metern steht sie plötzlich vor der Skulptur eines zotteligen Kerls: Phil Lynott, Bassist und Sänger von Thin Lizzy ("Whiskey in the jar"). Sie hat also klammheimlich die persönlichen Vorlieben des Gastes abgespeichert. Rechts und links des Denkmals befinden sich - wie praktisch - zwei alteingesessene Pubs. Das McDaids und das Bruxelles. "Ich glaube, die übertragen beide das Rugby-Match heute Abend", sagt sie. Aber hallo, Volltreffer! Willkommen in Dublin.
Das Bewley's befindet sich ums Eck und ist ein absoluter In-Treff. Lange Warteschlangen am Eingang sind die Regel: "Please wait to be seated", mahnt eine Schiefertafel. Doch als verdiente Dublin-Botschafterin wird Frances mitsamt dem Gast an der Schlange vorbeigeschleust.
Sie zieht einen Stadtplan heraus und markiert wichtige Stellen: Musikpubs, schöne Parks, Shoppingmalls. So kennt man es aus den Tourismusbüros. Doch die Botschafter der Thousand Welcomes wollen keine Konkurrenz sein. Auch nicht für die Stadtführer. "Es ist einfach eine persönliche Sache", sagt Frances, "ich bin stolz auf Dublin und möchte Touristen helfen, sich zurechtzufinden." Sie ist unverheiratet, kinder- und enkellos. "Besser, als allein zu Hause herumzusitzen", sagt sie.
Dublin-Quiz und Führungszeugnis sind Voraussetzung
City of a Thousand Welcomes ist nicht als Single-Treff gedacht. Damit keiner auf falsche Gedanken kommt, wird von den Einheimischen ein polizeiliches Führungszeugnis verlangt. Botschafter müssen außerdem ein kleines Dublin-Quiz bestehen.
Die Dauer eines Drinks ist das zeitliche Minimum des Botschaftertreffens. Doch wenn die Wellenlänge stimmt, darf natürlich auch mehr daraus werden. "Da machen wir keine Vorschriften", sagt O'Connor in seinem Museum. "Es ist auch schon vorgekommen, dass die Gäste von den Botschaftern zu ihren Familien eingeladen wurden."
Der Name der Initiative lehnt sich an einen traditionellen irischen Willkommensgruß an: Céad mile failte (hunderttausendmal willkommen). In Dublin fällt der Gruß also ein paar Nummern kleiner aus. Und doch immer getreu einem bekannten irischen Sprichwort: "Ein Fremder ist ein Freund, den man noch nicht getroffen hat." Die Offenherzigkeit und Leutseligkeit der Kleeblattnation wird zurecht viel gepriesen.
Seit dem vergangenen Jahr haben sich schon über 2500 Dubliner für das Ein-Mann-Begrüßungskomitee registrieren lassen. Busfahrer, Psychologen, Sozialarbeiter, Dauerarbeitslose, TV-Moderatoren, Lokalpolitiker. "Wir geben den Menschen die Gelegenheit, ihre Liebe zu Dublin zu zeigen und mit den Gästen zu teilen", sagt Simon O'Connor. Und natürlich dazu, Kontakte zu Einheimischen zu knüpfen.
Die Idee, Fremden ein herzliches Willkommen zu bereiten ist vermutlich fast so alt wie die Menschheit. Doch der zivilisierte Großstadtmensch braucht Konzepte und Initiative(n), um Besuchern organisiert und offen begegnen zu können.
Wie auch immer, das Hallo der ehrenamtlichen Empfangsdamen und Grüßgottonkel ist aller Ehren wert. Und es findet weltweit in einigen Metropolen statt: etwa in Buenos Aires, Melbourne, Toronto, Marseille, Moskau, Berlin, München - und nicht zuletzt in New York.
Die Big Apple Greeters dürften international eine der bekanntesten Empfangsinitiativen sein. Wohl auch, weil seit 1992 New York abseits der Trampelpfade gezeigt wird. Kostenlos und von einem "freundlichen Gesicht". Darauf wird Wert gelegt. Der Erfolg war Vorbild für viele andere Besucherprogramme. Einige haben sich im sogenannten Greeters Network zusammengeschlossen. Neben dem kulturellen Austausch verrät die Charta des Netzwerks ein hehres Ziel: "gewöhnliche Menschen zusammenführen und eine bessere Welt schaffen."