La Gomera Mountainbiken für alle Sinne
In den süßlich duftenden Margaritensträuchern summen die Bienen, von palmengesäumten Berghängen dringt gelegentlich das Blöken einer Ziege ans Ohr. Eine sanfte Meeresbrise bläst die Schweißtropfen von der Stirn. Für sinnliche Urlaubseindrücke haben die Mountainbiker in diesem Moment aber wenig Muße. Ihre ganze Aufmerksamkeit gilt der tief zerfurchten Sandpiste, die sich entlang der zerklüfteten Küste im Nordwesten La Gomeras bergauf schlängelt.
Die Suche nach einer durchgängig fahrbaren Spur macht den Anstieg zu einer Geschicklichkeitsübung. Vorbei an einer einsamen Kapelle, der Ermita Santa Clara, kämpfen sich die Radfahrer durch dichtes Gebüsch und kommen schließlich auf einem ockerfarbenes Felsplateau zum Halten, das sich grell vom tiefblauen Himmel abhebt. Zeit für eine kurze Rast. Jenseits des Ozeans erhebt sich majestätisch der Pico del Teide - mit 3718 Meter höchster Gipfel der Nachbarinsel Teneriffa und zugleich Spaniens.
Belohnungen wie dieser Ausblick erwarten Mountainbiker auf La Gomera zuhauf. Wer in ihren Genuss kommen will, braucht allerdings etwas Kondition und fahrtechnisches Geschick. Keine Tour, bei der nicht etliche hundert, bisweilen über tausend Höhenmeter zu bezwingen sind. Schuld ist das geografische Profil der zweitkleinsten, nahezu kreisrunden Kanareninsel: Ihr Zentrum bildet der 1487 Meter hohe Alto Garajonay, ein seit zwei Millionen Jahren schlafender Vulkan.
Verfahren ist Schweiß treibend
Wind und Wasser haben in den vergangenen Jahrtausenden mehr als 50 Schluchten ("Barrancos") und Täler seine Flanken gegraben. In den teilweise sehr abgeschiedenen Landstrichen konnte sich eine artenreiche Flora halten. Für Mountainbiker bedeutet die zerklüftete Topografie aber: Wer versehentlich in das falsche Tal abfährt, muss denselben Weg retour. Eine Küstenstraße gibt es auf La Gomera nicht.
Mit das schönste und zugleich am besten erschlossene Tal ist das Valle Gran Rey im sonnigen Westen der Insel. An den terrassierten Hängen wachsen Palmen, Bananen und Agaven, dazwischen sitzen Seite an Seite kleine, weiß getünchte Fincas. Überragt wird die Pracht von zerklüftetem rotem Fels. Führte nicht eine etwas allzu zu gut ausgebaute Straße durch das Tal - der Besucher könnte sich im asiatischen Hochland wähnen.
Vor Jahrzehnten von Hippies entdeckt, wird das "Valle" heute insbesondere von deutschen Wanderern und Alternativurlaubern geschätzt. Feinsandige Traumstrände sucht man hier ebenso vergeblich wie Flaniermeilen oder wummernde Strandlokale. Selbst die in Reiseführern als "legendär" gepriesene Bar Maria ist nichts weiter als eine einfache Dorfkneipe, deren Meerblick durch die parkenden Autos der Einheimischen verstellt wird. Dessen ungeachtet sammeln sich Abend für Abend Touristen hier, um - mit oder ohne Trommeln - den Sonnenuntergang zu bestaunen. Spektakulär ist auf La Gomera allein die Natur. Wer dies zu schätzen weiß, stört sich nicht daran, dass die Insel nicht direkt per Flugzeug, sondern nur über die Fähre aus Teneriffa zu erreichen ist - im Gegenteil.
Mountainbiken das ganze Jahr über möglich
Auch für Mountainbiker ist das Valle Gran Rey ein optimaler Ausgangspunkt. Wer sein eigenes Rad nicht auf die Insel mitnehmen will, kann hier ein hochwertiges Bike samt Helm, Werkzeug und Trinkflasche ausleihen. Mehr noch: Die "Bike Station Gomera" im Küstendorf La Puntilla bietet Anfängern wie Könnern geführte Touren, einen Shuttle-Service und dient nicht zuletzt als Anlaufstelle für Fachsimpeleien und technische Wehwehchen.
Bereits 1990 von zwei Deutschen gegründet, trug der Laden nicht unwesentlich dazu bei, dass sich La Gomera unter Bike-Fans rasch als attraktiver "Spot" herumsprach. Viele eröffnen oder verlängern hier die Radsaison, die in den Alpen nur von Mai bis September, in deutschen Mittelgebirgen noch etwas länger dauert. Milde Temperaturen, die auch im Sommer nicht über 30 Grad Celsius steigen, garantieren auf La Gomera das ganze Jahr über Radlerspaß.
Zu den Highlights zählt zweifellos die ausgewiesene Route durch den geschützten Nationalpark Garajonay, seit 1986 Weltnaturdenkmal der Unesco. Von der Laguna Grande im Zentrum der Insel geht es nach einem kurzen Asphaltstück auf engen Wegen zunächst bergab durch den dichten Lorbeerwald. Knorrige, ineinander verschlungene Bäume, die Stämme von bärtigen Flechten überzogen, lassen ihn im gebrochenen Sonnenlicht beinahe märchenhaft erscheinen. Nach einem längeren Anstieg und einem kräftezehrenden Abstecher in das malerische Tal von Meriga entschädigt wieder einmal der atemberaubende Blick auf das Küstendorf Agulo im Norden der Insel für die Mühen.
Einige Kilometer weiter lohnt ein Stopp am Besucherzentrum des Nationalparks "Juego de Bolas". Aufwendige Schautafeln präsentieren Wissenswertes über Fauna, Flora, Geologie und Klima von Gomera. Der Besucher erfährt, dass die konstante Feuchtigkeit der Passatwolken ein ideales Klima für den dichten Lorbeerwald (Laurisilva) schafft, der heute noch zehn Prozent der Insel bedeckt. Vor Jahrmillionen überzog er noch das gesamte mediterrane und nordafrikanische Becken.
Rasante Abfahrt über kurvige Sandpiste
Eine weitere äußerst abwechslungsreiche Tour erwartet Mountainbiker auf dem Weg vom Valle Gran Rey nach Playa de Santiago an der Südküste der Insel. Ausdauer ist hier zwingend erforderlich, auch wenn für die Rückfahrt die Räder auf ein Boot verladen werden. Über Asphaltserpentinen arbeiten sich die Biker zunächst steil hinauf nach Arure am Talschluss des "Valle". In stetem Auf und Ab führt eine kleinere Straße anschließend weiter durch die verschlafenen Bergdörfer Las Hayas, El Cercado und Chipude, bevor sie über längere Zeit den Garajonay-Nationalpark streift. In rasanter Fahrt lassen sich die Radler die kurvige Sandpiste in das einsame, von einem markanten Felsen überragte Benchijigua-Tal hinabrollen.
Eine üppige subtropische Vegetation leuchtet in allen Schattierungen, die das Farbspektrum zwischen Gelb und tiefstem Dunkelgrün aufbietet. In ihrer wilden Einsamkeit bietet die zum Meer hin immer enger und beklemmender werdende Schlucht ein atemberaubendes Naturerlebnis. Einziger Wermutstropfen: Der steile Pfad - im Bikerjargon: Trail - ist mit Felsbrocken übersät und zwingt über weite Strecken zum Schieben. Auch das gehört für eingefleischte Fahrer zu einer richtigen Mountainbike-Tour.
Ebenso wie eine ordentliche Portion Kohlenhydrate, nach der der Körper am Ende des Tages verlangt. Selbst wenn "Papas arrugadas con Mojo", eine einheimische Spezialität, nichts weiter sind als in Meersalz gekochte Runzelkartoffeln, die in eine ölige Paste mit viel Chili oder Koriander gedippt werden: Sie schmecken wie ein Festmahl.