
El Remo auf La Palma Imbiss am Ende der Straße
Wie immer, wenn Mamma Cucharra ihre Bühne betritt, wird es für einen Augenblick still. Die Menschen an den Holztischen unterbrechen kurz ihre Gespräche. Manche legen das Besteck zur Seite. Andere drehen sich auf ihren Plastikstühlen um oder werfen einen Blick über die Schulter.
Die Chefin des Hauses ist weit über 70, hat weiße, kurze Haare und trägt ein blaues Kleid mit Blumenmuster. In der Hand hält sie einen Kochlöffel. Sie raucht Zigarre. Sie ist eine Respektsperson, keine Frage.
Sie schlurft von Tisch zu Tisch und begrüßt mit tiefer, verrauchter Stimme ihre Gäste, streichelt Kindern über den Kopf, empfiehlt hier und da Vieja à la plancha (gegrillter Papageienfisch) oder Lapas nach palmerischer Art als Vorspeise (gegrillte Meeresschnecken in Mojo verde, öliger Kräutersauce).
Zwischendurch zieht Mamma Cucharra immer mal wieder an ihrer Puro. Der dicke Qualm der handgedrehten Zigarre kriecht aus ihrem Mund und verhüllt einen Moment lang ihr Gesicht. Wie selbstverständlich steckt der Tabakstummel im rechten Mundwinkel und bewegt sich mit jedem ihrer Worte. Doch der Auftritt ist nur kurz. Dann zieht sie sich wieder zurück in ihre offene Küche, wo sie jetzt frisch geschnittenen Calamares auf den Grill wirft.
Der Kiosco Aterure geht hinter einer Schüttung aus schwarzen Felsbrocken vor der Wucht der Wellen in Deckung. Das ist einer der Gründe, warum die Gäste gern kommen: weil man so dicht am Meer sitzen kann. Auf La Palma gibt es nicht viele - vielleicht nur eine Hand voll - Restaurants in erster Reihe am Atlantik. Und hier in El Remo, in der kleinen Siedlung an der Westküste, gibt es gleich drei Fischlokale, wo der Ozean fast Stühle und Tische erreicht.

Der Kiosco von Mamma Cucharra und ihrer Familie ist eine Art Imbiss mit einfachen Holztischen. Das Dach aus Wellblech, dazu rotweiße Sonnenschirme mit Eiswerbung. Auf einer Tafel stehen die Fänge des Tages mit Kreide geschrieben: Alfonsiño, Dorada, Lubina, Chicarro Frit. Die Speisekarte ist zweisprachig, auf Spanisch und Deutsch.
Es gibt Gäste, die essen hier den besten Fisch ihres Lebens. Es gibt Gäste, die essen hier den schlimmsten Fisch ihres Lebens. Und es gibt sogar Gäste, die ernsthaft darüber diskutieren, wo der Sonnenuntergang schöner ist - ob hier in El Remo oder anderswo auf der Welt. So ist das mit dem Geschmack - immer.
"Machen Sie erst mal woanders Urlaub"
El Remo liegt zwischen Berg, Bananen und Atlantik. Viele Touristen, die zum ersten Mal die Straße südlich des Badeortes Puerto Naos bis zum Ende fahren, sind zunächst einmal entsetzt. Sie erreichen einen der eigenwilligsten Plätze der Insel.
El Remo ist kein Ort aus einem Urlaubsprospekt. Ein Teich liegt im Zentrum der Siedlung. Schlammig und dreckig. Ein Schild verbietet das Baden. Steinig und schwarz ist der Strand. Gefährlich ist die Brandung. Viele der improvisierten Häuser sind in schlechtem Zustand. Dazu einige Bauruinen. Erst weiter hinten, am Ende der Sackgasse im nördlicheren Teil des Dorfes, stehen etwas schickere Häuser und Ferienunterkünfte.
Vielleicht hundert Menschen leben immer hier, im Sommer sind es tausend. Auch Touristen, die dann gern vom "alten La Palma", vom "inseltypischen Leben", der "Ruhe" und der "Ursprünglichkeit" sprechen, wenn sie von El Remo erzählen. Andere reden von "Zigeunersiedlung" oder "Baracken".
Die Meinungen sind geteilt, wenn es um El Remo geht. Ein deutscher Reiseanbieter, der im Dorf ein Ferienhaus vermietet, beschreibt es auf seiner Internetseite so: "Wenn Sie El Remo nicht kennen, sollten Sie vielleicht erst einmal an einem anderen Ort Ihren La-Palma-Urlaub verbringen, um sich El Remo anzusehen. Und wenn Sie dann zwei- oder dreimal oder öfter den Ort gesehen haben und er Ihnen noch immer gefällt oder beginnt, Ihnen zu gefallen, dann machen Sie doch mal Urlaub in El Remo."

La Palma ist eine der kleinsten Inseln der Kanaren. Und El Remo ist ein kleines Dorf auf La Palma. Vor über 50 Jahren machte ein Ziegenhirte mit seiner Hütte den Anfang. Vor mehr als 30 Jahren begann man mit dem Bananenanbau. Arbeiter kamen und bauten sich einfache Unterkünfte. Und ginge es nach dem Willen der Inselbehörde, würde es El Remo längst nicht mehr geben. Ein Gesetz von 1988 verbietet den Bau von Gebäuden bis 20 Meter vor der Wasserlinie. Zum Schutze des Meeres. Weiter gebaut wurde trotzdem.
Heute stehen rund 50 Häuser, Hütten und Verschläge, viele kaum größer als eine Garage. Und schon mehrfach war ein Abriss geplant. "Es gibt nicht viele Küstenorte auf unserer Insel, wo der Bau von Feriensiedlungen möglich wäre", sagt einer der Kellner im Kiosco, "vielleicht ist auch das ein Grund." Gepflasterte Straßen, Gehwege, Wassernetz, Beleuchtung, Abwasserleitungen und weiteres Grundlegendes fehlen bislang. Nun aber sollen tatsächlich Straßenlaternen gebaut werden, wie einer gehört haben will.
Die Sonne steht schon tief. Gleich werden die Gespräche beginnen, wo der Sonnenuntergang am schönsten ist - ob hier oder anderswo. Gleich wird Mamma Cucharra noch einen ihrer Auftritte haben. Die sechs alten Männer, die an einem der Tische sitzen und Bier trinken, werden einen Moment lang ihr Kartenspiel unterbrechen. Sie reden nicht viel. Sie rauchen Zigarre. Alle. Die Handgedrehten von der Insel sollen zu den besten der Welt gehören.
Und die heimlichen Herrscher des Kiosco, die Katzen, sieben sind es zurzeit, werden auf die Jagd gehen. Es sind gelassene Wesen, die am Tag, wenn es zu warm für Bewegung ist, meist auf dem Boden unter den Tischen liegen. Sie fangen die Mäuse und Ratten, und dafür bekommen sie die Reste von den Tellern. So einfach ist der Deal. So einfach kann das Leben in einem Dorf an La Palmas Westküste noch sein.

Wer mit einem Hund im VW-Bus auf den Kanarischen Inseln ist, kann gute Geschichten finden. Oliver Lück ist Journalist zwischen den Meeren in Schleswig-Holstein.
Für diese Serie haben Lück und Locke die sieben großen Inseln der Kanaren besucht.