Ligurien Comeback an der Riviera

Schroffe Küsten, liebliche Fischerdörfchen und mittelalterliche Bergorte: Ligurien wurde lange von Touristen vernachlässigt. Nun entdecken vor allem Kultur- und Ruhesuchende den schmalen Küstenstreifen zwischen San Remo und dem Cinque Terre für sich.
Von Silja Schriever

Hinter San Remo geht die Sonne langsam unter. Paolo Del Torto legt die Kopfstützen der Liegestühle um, klappt die Sonnenschirme zusammen. Schnell flitzt er noch mal mit dem Motorroller los, um Espresso-Nachschub für den nächsten Tag zu besorgen. Dann zündet sich Del Torto, 33, etwas müde eine Zigarette an und gönnt sich ein Bier. Es war ein langer Tag, und sein Strandbad "Tre Alberi" gut besucht. So geht es bis Ende Oktober noch. Und dann, am Ende der Saison, will Paolo Del Torto endlich einmal selbst Ferien machen.

Schon "immer und ewig" arbeitet er am Strand, angefangen hat er als bagnino, als Bademeister, an einem Privatstrand. Vor ein paar Jahren hat er sich einen eigenen Beach-Abschnitt gekauft, in Arma di Taggia, einem kleinen ligurischen Badeort kurz vor San Remo. Etwa 60 orange-gestreifte Sonnenschirme, zahlreiche Liegen und eine kleine Imbissbude zieren "seinen" Strand.

Ob er Ligurien liebt? Paolo Del Torto lacht. "Ich bin hier geboren. In San Remo." Was soll die Frage? "Ich liebe das Meer." Die Riviera im Blut. Der Strand sein Leben. Noch im vorigen Jahr hat Del Torto das ganze Jahr durchgearbeitet. Tagsüber am Strand, am Abend hat er noch die große Bar betrieben, die zwischen Uferstraße und seinem Strandbad liegt. In dieser Saison ist sie verpachtet: "Das war eindeutig zu viel", sagt Del Torto.

Ewiger Frühling lockte englische Aristokraten

Ligurien wird wieder entdeckt. Der schmale Küstenstreifen am Ligurischen Meer hat im Jahr 2006 7,3 Prozent mehr ausländische Touristen angezogen als im Vorjahr. Lange war die Region, die schon im Jahr 1860 englische Aristokraten mit ihrem scheinbar ewigen Frühling von ihrer Insel lockte, etwas in Vergessenheit geraten. Der Riviera-Hype der sechziger Jahre war lange vorbei, italienische Urlauber dominierten in Ligurien. Bis auf die traditionellen Ferienmonate Juli und August, in denen vor allem Mailänder und Turiner zum klassischen Strandurlaub kommen, war in dem mehr als 300 Kilometer langen Küsten-Landstrich zwischen Ventimiglia an der französischen Grenze und dem berühmten Cinque Terre südöstlich von Genua nicht mehr viel los.

Doch nun kommen sie wieder: Deutsche, Engländer, Schweizer. Sie sind des Andrangs in Spanien, Frankreich und an der italienischen Adriaküste überdrüssig und von der besonderen Magie der Landschaft zwischen Mittelmeer, Seealpen und Apennin angezogen. Denn die hat eine Menge zu bieten: schroffe Steilküsten, romantische Badebuchten, Palmenpromenaden, liebliche Fischerdörfer und mittelalterliche Städtchen in den bis zu 2200 Meter hohen Bergen.

Auch San Remo, jahrzehntelang der Inbegriff für mondäne Ferien in Europa, spürt den neuen Andrang der Urlauber und hat trotzdem an vielen Ecken den alten Charme bewahrt. Zwar ist der Wandel vom Nobel- zum Massentourismus der sechziger Jahre nicht spurlos an der Stadt vorbeigegangen, doch noch immer verzaubert der einstige Luxus-Kurort mit seinem besonderen Gassengewirr und den steilen Straßen. Die Altstadt, entstanden um das Jahr 1000, ist auch heute noch fast intakt. Und nicht zuletzt zeugt das legendäre strahlend weiße Casino von der Hochzeit des luxuriösen Seebades.

Pottwale vor Imperia

Etwa 20 Kilometer von San Remo in Richtung Genua liegt Imperia, das Zentrum der Olivenöl-Herstellung. "Le Valli dell’Olivo" heißen die Täler Imperias, die von kilometerweiten Olivenbaumhainen gesäumt sind. Vor tausend Jahren begannen Benediktinermönche mit dem Anbau von Oliven, eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt. Die Frucht und ihre Geschichte sind spannender, als man sich gemeinhin vorstellt, allein deshalb ist das preisgekrönte Olivenmuseum in Imperia-Oneglia empfehlenswert. Ab Imperia (Porto Maurizio oder Oneglia) startet auch eine beliebte etwa fünf Stunden dauernde "Whale Watching Tour". 20 Seemeilen vor der ligurischen Küste können – mit Glück zumindest – Finnwale, Pottwale oder Delfine in ihrem natürlichen Lebensraum bewundert werden.

Die Region Imperia ist aber auch das Zentrum des "neuen" Liguriens. Speziell die Dörfer rund um Dolcedo bis hoch ins kleine Nest Valloria ziehen seit einigen Jahren vermehrt Deutsche und Schweizer an. Nicht wenige besitzen dort bereits Ferienhäuser oder Wohnungen. Die meist gut betuchten Urlauber sind weniger auf der Suche nach Strandabenteuern – sie genießen Kultur, Land und Leute in der hier noch ganz eigenen, ursprünglichen Art.

Ein Beispiel für die neuen Ligurien-Fans ist die Schweizerin Silvia Gillardon. Sie sei als freiberufliche Malerin und Autorin "in der glücklichen Situation, mir mein happy place auszusuchen", sagt sie. Seit 1989 lebt sie im Raum Imperia, anfänglich als Pendlerin, seit etwa acht Jahren überwiegend.

Etwas weniger schick, aber ausbaufähig

Warum ausgerechnet Imperia? Die zweigeteilte Stadt gefällt ihr. Einerseits Porto Maurizio mit der wunderschönen Altstadt Parasio und daneben das geschäftige Oneglia, weil es dort so "normal" zugeht. Unaufgeregt. "Dort geben nicht die Touristen den Ton an, sondern es herrscht eine ganz alltägliche Italianità", sagt Silvia Gillardon. Vor allem in den Wintermonaten, wenn die Mailänder und Turiner Großmütter mit den Enkeln wieder zuhause sind, spürt man den Unterschied zu den in der Nachsaison nahezu ausgestorbenen, nur auf Tourismus ausgerichteten Orten. Außerdem sei man in 40 Minuten im mondänen Monte Carlo, nach Nizza zum Flohmarkt fährt man mit dem Auto eine Stunde.

Den Kritikern, die es im nahen Frankreich gepflegter finden, kontert Gillardon überzeugt: "Ich persönlich glaube, dass die Grundsubstanz vieler Orte hier in Ligurien den französischen Bilderbuchdörfern qualitativ nicht nachsteht." Dass es an der Riviera di Ponente etwas weniger schick ist als an der Côte d'Azur, hat für sie einen eigenen Reiz: "Es ist herber hier, aber es lässt auch mehr Phantasie zu. Man könnte noch was tun – und gerade das finde ich motivierend und lebendig."

"Ligurien setzt in jüngster Zeit vor allem auf Aktivurlaub", sagt Christine Hübner von der Italienischen Zentrale für Tourismus Enit. Wandern, Mountainbiking oder Klettern. "Ob die Seealpen im Hinterland der Riviera di Ponente, westlich von Genua, oder die Ausläufer des Apennin der Rivera di Levante, östlich von Genua - beide Gebiete eignen sich bestens für ausgedehnte Wanderungen und Mountainbike-Touren." Aber natürlich habe auch die Küste viel zu bieten: die berühmte Blumenriviera mit Orten wie Bordighera oder San Remo und die Palmenriviera. Außerdem seien "renommierte Küstenorte wie Portofino, wo die Reichen und Schönen ihre Yachten liegen haben" sehr beliebt, genau wie die romantischen Cinque Terre ganz im Süden.

Nachtleben ist noch mau

Das neue Interesse der Urlauber verändert die Region rund um Imperia auch baulich sehr stark. Es entstehen viele neue Häfen. Die Liegeplätze in der großen Yacht-Marina zwischen Porto Maurizio und Oneglia, die 2010 fertig sein sollen, sind bereits jetzt quasi ausverkauft, und die Preise sind gesalzen. Im Nachbardorf San Lorenzo sieht es ähnlich aus. Und "dieser Boom wird die Gegend hier nachhaltig prägen", so Silvia Gillardon. Die Immobilienpreise steigen und steigen.

Doch trotz all dieser Neuerungen, der teuren Immobilien, dem Aufschwung in Sachen hochwertiger Tourismus: Paolo Del Torto, der Strandbesitzer von Arma, macht sich Sorgen. Für ihn und sein klassisches Strandbad-Geschäft werde es Jahr für Jahr eher immer schwieriger. "Die jungen Leute bleiben aus." Wer wolle schon ganz bis nach Monte Carlo fahren, um vernünftig tanzen zu gehen? Da sei noch einiges zu tun. Zumindest in Sachen ligurisches Nachtleben.

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