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Teneriffas Süden: Asphaltierte Träume

Foto: imago

Los Cristianos auf Teneriffa Paradies für Gewohnheitsmenschen

Los Cristianos auf Teneriffa ist ein Urlaubsort, wo man hin muss, wenn man weg will - etwa mit der Fähre auf die kleineren Kanaren. Für die einen ist es das Paradies, für die anderen die Hölle.
Von Oliver Lück

Wer am Strand steht und auf den Atlantik blickt, sieht die Welt in Blau. Wer sich umdreht, sieht Los Cristianos: Karaoke und All-you-can-eat. Zeitungsautomaten, die "Bild" oder "Sun" ausspucken. Nackte Körper in Bikinis oder ohne, auf Handtüchern gestrandet. Uta's Bar Bremen. Hiperdino Express Supermarkt. Bankautomat. Ein chinesischer Ein-Euro-Laden. McDonald's. Noch ein Bankautomat. Noch ein Supermarkt.

Frühmorgens platziert eine Frau aus Liverpool Handtücher auf den Liegen, die ganz vorne in erster Reihe stehen. Ein Mann mit mächtigem Bauch schleppt sich über den Strand. Er trägt eine zu kleine Badehose, einen zu großen Sombrero, ein zu enges T-Shirt mit der Aufschrift "In der Regel sind wir voll". Auf der breiten Uferpromenade stoßen zwei Senioren mit ihren elektrischen Rollstühlen zusammen.

Los Cristianos ist ein Stück Spanien, das längst nicht mehr zu Spanien gehört. Wie viele Küstenorte hat man auch diesen aufgegeben, um ihn an Touristen zu vermieten. Los Cristianos ist ein Ort wie Benidorm an Spaniens Ostküste, wie die gesamte spanische Südküste oder wie die Playa de Palma auf Mallorca.

"Auch auf den Kanaren gibt es Orte, die man besser nie besuchen sollte", sagt ein junger Mann aus Belgien mit großem Rucksack, "wo man aber hin muss, da es sich nicht vermeiden lässt." Er steht am Hafen und wird über Nacht bleiben müssen, da es am Abend keinen Anschluss mehr gibt. Morgen wird er die Fähre nehmen, wie viele andere, die auf die kleineren, ruhigeren Inseln wie La Gomera, Palma oder El Hierro wollen. Er sagt: "Das ist die Hölle hier. Ich bin froh, wenn ich wieder weg bin. Und jetzt betrinke ich mich."

Suche nach Bekanntem

Cafés und Restaurants haben bebilderte Speisekarten in 14 Sprachen. Alle Welt ist in Los Cristianos willkommen. Nur die Afrikaner werden nicht so gerne gesehen. Auch hier am Südzipfel Europas kommen immer häufiger mit Menschen überfüllte Holzboote an. Es gibt dieses Foto von Flüchtlingen, die entkräftet einen Strand erreichen, an dem Touristen in der Sonne baden und gucken. Das Foto ist schon ein paar Jahre alt und wurde am Hausstrand von Los Cristianos aufgenommen.

Eine Familie sitzt in der prallen Mittagssonne am Strand und verbrennt. Ein Mann aus Sierra Leone bewacht Strandliegen und Sonnenschirme. Ein anderer verkauft billige Sonnenbrillen. "In Los Cristianos auf keinen Fall die Sonnenbrille vergessen", heißt es im Reiseführer Lonely Planet, "nicht nur wegen der Sonne, sondern vor allem am Abend wegen der blendenden und blinkenden Leuchtreklamen."

Los Cristianos ist ein Paradies für sonnenhungrige Gewohnheitsmenschen. Wer hierher kommt, sucht nicht das Unbekannte, nicht das Abenteuer, sondern das, was er schon kennt. 20.000 Einwohner und mindestens doppelt so viele Hotelbetten. Angeblich sollen es mehr als 300 Bars und Restaurants sein. In manchen Prospekten der Urlaubsanbieter wird der älteste Ferienort Teneriffas tatsächlich noch als das unschuldige, verträumte Fischerdörfchen angepriesen, das es vor 50 Jahren einmal war.

Inzwischen hat man die Berghänge betoniert und asphaltierte Träume gebaut. Und gleich nebenan liegt der in Beton gegossene Albtraum Playa de las Américas mit noch mehr chinesischen Ein-Euro-Läden und noch mehr britischen Pubs, noch mehr verbrannten Körpern und noch mehr Sonnenschirmen. Viele Briten leben dort. Dauerurlauber. Ausgewandert, weil es billiger, wärmer und geselliger ist als in der Heimat - und dabei genauso britisch. Insgesamt zieht sich die Betonküste mit Uferpromenade bis hinauf nach La Caleta, fast 20 Kilometer sind das.

Vorzeigeort für barrierefreies Urlauben

Die Sonne scheint. Es regnet selten. Kaum Wellen, wenig Wind, der Strand fällt flach ab. Auch Familien mit Kleinkindern kommen gerne her. Der vorgelagerte Fischerhafen und der Fährhafen bieten der rund einen Kilometer langen Bucht Schutz. Der Montaña de Guaza hält den Nordostpassat ab. Heute können sich auf manchen Strandabschnitten Menschen mit Behinderung in Amphibienrollstühlen ins Meer schieben lassen. Los Cristianos will ein Vorzeigeort für einen "barrierefreien Urlaub" sein, wie es heißt.

Foto: imago

Und glaubt man der Frau in der Touristeninformation waren es Schweden, die den Besuch der Massen auf Teneriffa einläuteten. Eine Gruppe an Multiple Sklerose erkrankter Skandinavier landete 1957 auf der Suche nach einem passenden Urlaubsort im Süden der Insel. Das Wetter stimmte, nicht aber die Infrastruktur. Sie bauten eine eigene Wohnanlage und gründeten die Asociación Vintersol - den Verein für Wintersonne.

Und ihr Gesundheitszustand verbesserte sich offenbar stetig. Im Sommer 1962 zeigte das schwedische Fernsehen einen Dokumentarfilm über den abenteuerlichen Trip. Der Titel: Kann Sonne heilen? Der Beitrag löste einen regelrechten Gesundheitstourismus aus. Chronisch Erkrankte und ihre Familien kamen nun immer regelmäßiger.

Heute gibt es überall behindertengerechte Rampen, die überbreite Promenade bietet reichlich Platz zum Wenden und Überholen. Und es gibt die Bierstübchen, die vielen Menschen und keine Ruhe. Los Cristianos kann ein Paradies sein. Los Cristianos kann eine Hölle sein. Menschen im Wasser. Menschen an Land. Menschen im Sand.

Und am Ende bleibt - wie immer - die Frage, warum Menschen in den Urlaub fahren.

Zum Autor
Foto: Oliver Lück

Wer mit einem Hund im VW-Bus auf den Kanarischen Inseln ist, kann gute Geschichten finden. Oliver Lück ist Journalist zwischen den Meeren in Schleswig-Holstein.
Für diese Serie haben Lück und Locke  die sieben großen Inseln der Kanaren besucht.

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