Luxemburg Finanzmetropole im Modellbahn-Look

Die Europäische Kulturhauptstadt 2007 ist weltoffen, multikulturell – und ein bisschen spießig. Wer im Jobparadies Luxemburg nach Brüchen mit der Tradition sucht, wird jedoch an einem unerwarteten Ort fündig – beim Abendessen in der Innenstadt.
Von Susanne Strätz

Es ist voll hier. Jeder Tisch ist besetzt. "L’eau plate ou gazeuse?", fragt der Kellner. Man hört ihn kaum durch das vielsprachige Stimmengewirr. Rechts sitzen Engländer – oder sind es Schotten? Links spricht man Italienisch. Die Leute zwei Tische weiter sprechen Spanisch, sie scheinen aus Südamerika zu kommen. Doch wenn sich der Kellner an sie wendet, sprechen alle Gäste Französisch.

15 Minuten zuvor war das Bistro noch ebenso leer wie die Straßen. Es ist ein Wochentag in einer Stadt, in der die Arbeitslosenrate bei vier Prozent liegt. Gegen zwölf Uhr füllen sich die Straßen innerhalb weniger Minuten. Die meisten Männer tragen schwarze oder blaue Anzüge, die Frauen Kostüm. Vom Boulevard Royal, der Ringstraße um die Altstadt, kommen sie, wo eine Bank neben der anderen ihren Sitz hat. Sie kommen über die große Place d’Armes, biegen in die Grande-Rue ein, die Haupteinkaufsstraße und Flaniermeile Luxemburgs.

Mittagspause für die ganze Welt: Elf Prozent der Arbeitnehmer in Luxemburg-Stadt arbeiten im Finanzwesen und gut 44 Prozent kommen aus dem Ausland, die meisten aus dem europäischen Ausland. Doch nur ein Bruchteil wohnt auch hier. 85.000 Einwohner hat Luxemburg, unter der Woche tummeln sich tagsüber 200.000 Menschen in der Stadt. Die zusätzlichen 115.000 kommen aus den umliegenden Städten und Dörfern oder aus dem nur 20 Zugminuten entfernten Frankreich, aus Belgien oder Deutschland. Die Löhne und Jobs sind besser in Luxemburg.

Ohne die Ausländer wäre die Stadt nicht, was sie ist: eine sehr kleine und zugleich sehr kosmopolitische Metropole. Fremde, Ausländer, Anderssprachige gab es in Luxemburg schon immer. Denn die alte Festungsstadt wurde immer wieder von fremden Mächten besetzt. Um den ewigen Kampf um die Stadt zu beenden, verfügte schließlich 1867 der Londoner Vertrag, die Festung des von da an unabhängigen Staates zu schleifen. Kurz darauf kamen die ersten Banken. Aber erst mit den Wachsen der EWG wurde das Land seit den sechziger Jahren internationaler Bankenplatz.

Extrovertiert, sprachbegabt, brav

Eine Ausbildung als Banker ist in Luxemburg so normal wie anderswo die Friseurlehre. Deshalb schlug auch Thorunn Egilsdottir zuerst diesen Weg ein, bis sie merkte, dass sie lieber Takte zählte als Scheine. Die strohblonde Luxemburgerin mit isländischen Eltern bewarb sich beim Fernsehen. Ein guter Entschluss, denn da passt das sympathische, sprachbegabte Plappermaul viel besser hin – isländisch, französisch, deutsch, englisch, italienisch, spanisch und serbokroatisch – alles kein Problem für Thorunn. Auf Lëtzebuergesch moderiert sie für RTL eine Musiksendung. Und das liegt ihr besonders, denn die 32-Jährige macht selbst gut hörbare Popmusik, mit der sie in Luxemburg auch Erfolg hat.

Eigentlich müsste sie umziehen, nach Frankreich oder England, der Karriere wegen. Aber sie will nicht weg. "Ich fühle mich hier so sicher, alles ist klein und überschaubar. Außerdem habe ich meine Pferde hier." Nach Island zu gehen, wo sie als Teenager ein paar Jahre lang lebte, kommt auch nicht in Frage. Auch wenn sie die Menschen dort lieber mag, weil sie weniger negativ sind. "Die Luxemburger sagen meist erst einmal ,das geht nicht‘."

Und man ist hier ein bisschen spießiger als in anderen Städten – ausgeflipptes Äußeres ist nicht gern gesehen in Luxemburg, selbst wenn man Popmusik moderiert.

In der Tat, Jugendliche mit verrückten Klamotten oder bunten Frisuren sucht man in Luxemburg vergebens. "Naja, ein paar Punks gibt es schon, im Sommer sitzen sie meist im Park hinter dem Boulevard Royal", sagt Mireille Rahmé. Dass sie irgendwann wieder hier in dieser "Kleinstadt" wohnen würde, hätte sich die 48-jährige Geschäftsfrau nicht träumen lassen, als sie zum Studium ihre Stadt verließ, nach Paris und später nach Saudi-Arabien ging. "Es war mir alles zu eng und klein." Jahre später kehrte sie mit ihrem Mann, einem libanesischen Arzt, und ihren drei Kindern nach Luxemburg zurück. Heute lebt Mireille Rahmé wieder gern hier. "Alle sind so normal."

"Märklin-Stadt" für Banker und Anwälte

Ähnlich geht es auch Xavier Bettel, dem Alleskönner im Luxemburger Rathaus. Der smarte Anwalt mit dem ordentlich zurückgekämmten dunklen Haar ist Vizebürgermeister, zuständig für Ausländerfragen, und Abgeordneter im Parlament. Er hat seine eigene wöchentliche Talkshow "Sonndes em 8" auf dem Privatsender T.TV und seine Kanzlei. "Ich liebe meine Stadt, deshalb bin ich auch in die Lokalpolitik gegangen", sagt der 34-jährige Luxemburger mit russischen Wurzeln – Familie Rachmaninow mütterlicherseits. "Märklin-Stadt" nennt er Luxemburg.

Wenn man an der Corniche, dem Aussichtsplateau am Rande der Altstadt, steht und den Fels hinunter in die Vorstädte Grund und Clausen blickt, kann man beobachten, wie in der Ferne ein Zug über die Brücke fährt, im gegenüberliegenden Felsen verschwindet, um eine Minute später wieder auf der nächsten Brücke zu erscheinen. Bettel hat Recht: eine Spielzeuglandschaft.

Von seinem Büro im Rathaus sieht Xavier Bettel auf die Place Guillaume mit der imposanten Reiterstatue – auch eine Aussicht, die er liebt, hier sieht man Luxemburger und Touristen und manchmal auch den Regierungschef oder den Großherzog flanieren. Im Großen und Ganzen, sagt Bettel, gebe es für ihn keinen besseren Ort zum Leben. Trotzdem will er noch einiges verändern in seiner Stadt. "Wir brauchen wieder mehr Wohnraum in der Innenstadt, sie ist ja nachts fast tot. Und ein Freibad wäre schön. Und man müsste kleine Boote auf der Alzette fahren lassen. Und …" Sein Telefon klingelt, er wird zur Sitzung der Demokratischen Partei erwartet.

Am Abend wird es ruhig in Luxemburgs Innenstadt. Um sechs schließen die Geschäfte und die Banken, nur in den Restaurants ist noch etwas los. In der Apoteca bei Damien Klein etwa, nur wenige Meter vom Bockfelsen entfernt. Hier schwingt der 26-Jährige zu harten Rhythmen seine Kochlöffel: Rock-Küche nennt er seinen Stil, dabei sieht er mehr aus wie ein Hip-Hopper, mit den weiten Hosen, dem spitzen Kinnbärtchen und den verwuschelten schwarzen Haaren. "Beim Kochen lasse ich meiner Phantasie freien Lauf", sagt er. Und dann zaubert er schon mal ein Kaninchen in Lakritzsoße aus dem Hut. Das würde sich kaum ein anderer trauen. Schon gar kein Landsmann.

Trotzdem scheint sein Stil den Nerv der Zeit zu treffen, die Apoteca ist jeden Abend voll. Das Kaninchen in Lakritzsoße ist der Renner, bei den Engländern am Nachbartisch – oder sind es Schotten? –, bei den Italienern, den Spaniern.

Nur etwas ist anders als am Mittag: Ein wenig hat sich die internationale Welt zurückgezogen, und von manchen Tischen klingt es exotisch: Man spricht Lëtzebuergesch.

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