
Málaga: Boquerones und ein guter Roter
Málaga in Spanien Touristen in der eigenen Stadt
Vom kleinen Platz an der Ecke Puerta del Mar und Herrería del Rey in der Altstadt von Málaga ist der transparent-blaue Himmel zu sehen. Die Temperaturen sind auch im Spätherbst mild, viele Touristen und Einheimische wandeln in der Altstadt mit den schmuck restaurierten Kolonialstil-Fassaden der Jahrhundertwende durch die engen Gassen und genießen die Ruhe und den Müßiggang.
In dem Traditions-Frühstückslokal Casa Aranda sitzt man auf quietschenden Aluminiumstühlen und isst süße Churros aus einem Teig, der in heißem Fett ausgebacken wird. 45 Cent kostet das Stück, man tunkt es in dicke, herbe Trinkschokolade und trinkt dazu einen kleinen starken Milchkaffee, den Cortado.
"Wenn man hier sitzt, denkt man, es gäbe keine Krise", sagt Margarita Gimenez. Alle Terrassen-Plätze sind besetzt, fünf Kellner flitzen von Tisch zu Tisch, bringen Gebäck und Kaffee. "Man muss genauer hinsehen", sagt die 62-Jährige, die in Málaga geboren ist. Mehr Losverkäufer als früher seien unterwegs, auffallend viele Mittzwanziger, die nichts zu tun haben, und Bettler. Manche erklären auf einem Karton mit umständlichen Worten ihre Misere, andere schreiben nur zwei Worte: "Habe Hunger."
"Die Älteren arbeiten, die Jüngeren nicht", erklärt Margarita. Ihre beiden Kinder leben noch zu Hause, die 27-jährige Tochter hat Englisch auf Lehramt studiert, und findet keine Anstellung, der 25-jährige Sohn macht Fortbildungen für Stellen, die es kurz danach nicht mehr gibt. "Diese Generation wird den Boomjahren geopfert." Margarita weiß auch, dass ohne den Bauboom und die Tourismusmillionen die Stadt den Wandel vom verkehrsinfarktbedrohten Moloch zur Metropole der Costa del Sol mit einer Verdopplung der Einwohner auf 700.000 nicht geschafft hätte.
"Es war wie Monopoly"
Margarita berichtet davon, wie die Stadt als Drehkreuz für den Massentourismus der Costa del Sol in den neunziger Jahren systematisch herausgeputzt wurde. Die verfallene Innenstadt, deren Grundmauern auf Phönizier, Römer und Mauren zurückgehen, mit Dutzenden kleiner Gassen, Plätze und Straßen wurde Haus für Haus renoviert und saniert. Viel Geld brachten die Touristen seit den achtziger Jahren in die Stadt mit der gewaltigen, eintürmigen Kathedrale. Im vergangenen Jahr wurden mehr als neun Millionen Besucher gezählt, eine Steigerung von mehr als drei Prozent.
Seit den neunziger Jahren sorgten Bauboom und Immobilienspekulation für eine beispiellose Goldgräberstimmung. Die Quadratmeterpreise für Eigentumswohnungen stiegen und stiegen. 2007, kurz vor dem Platzen der Immobilienblase, lagen sie im Zentrum bei 7000 bis 10.000 Euro. "Jeder kaufte Wohnungen, es war wie Monopoly."
Viele von Margaritas Bekannten gaben ihre Arbeit auf und begannen Jobs im Wohnungsbau, wo sie das Doppelte wie vorher verdienten. "Jetzt sind sie arbeitslos, können die Raten für ihre Wohnungen nicht bezahlen und werden zwangsgeräumt. Es ist ein Drama", erzählt sie. Noch immer seien die Preise für Wohnraum viel zu hoch. "Es wird noch mehr Tränen geben", ist Margarita sicher.
In ihrer Freizeit versucht Margarita, der Krise Positives abzugewinnen: Sie unternimmt mit ihren Kindern, die nun mehr Zeit als vorher haben, Ausflüge in die Stadt. "Wir besichtigen Málaga wie Touristen", sagt sie, "die Kinder informieren sich und führen mich dann." Zum Beispiel in das im vergangenen März eröffnete Museum Carmen Thyssen, das in einem restaurierten Renaissance-Palast und in einem modernen Erweiterungsneubau hochkarätige spanische Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts vereint.
Ausländische Touristen halten die Stadt am Leben
Zehn Fußminuten entfernt befindet sich das Picasso-Museum. Der Jahrhundertkünstler wurde 1881 in Málaga geboren, auch sein Geburtshaus ist inzwischen zu besichtigen. Zweimal pro Woche begleiten die Kinder die Mutter zum Einkauf in den vor eineinhalb Jahren restaurierten Zentralmarkt im Jugendstil, dessen Besuch in jedem Stadtführer zu den touristischen Höhepunkten gehört.
Mittag essen sie günstig im Restaurant El Chinitas, wo man lokale Spezialitäten wie Cazuela de Fideos, sämige Meeresfrüchtesuppe mit Nudeln, serviert, und klassische Tapas wie gegrillte Boquerones, Sardinen, Meeresfrüchte und preiswerte Fischgerichte. "Zum Glück haben wir noch immer so viele ausländische Touristen", sagt Chef Angel Sanchez Rosso, der das vor 27 eröffnete Lokal mit seinem Vater betreibt. Noch traditioneller ist die Antigua Casa de la Guardia, in der preiswerte Málagaweine aus dem Fass und kleine Tapas angeboten werden.
Auch für die Historie der Stadt interessiert Margarita ihre Kinder. Bei vielen Neubauten in der Altstadt wurden Reste der römischen und arabischen Schutzmauern, Stadttore und unterirdische Lagerhallen entdeckt. Die wichtigsten Funde wurden konserviert. Besichtigen kann man sie zum Beispiel im Keller des Luxushotels Vincci Selección Posada del Patio, fünf Fußminuten vom Zentralmarkt entfernt. Reste des römischen Amphitheaters finden sich am Fuß der beeindruckend restaurierten, mächtigen Alcazaba, dem Verwaltungskomplex der Mauren, der von den Einwohnern Málagas "Kleine Alhambra" genannt wird.
Margaritas Sohn töpfert im besetzten Kulturzentrum "La Casa Invisible" und hofft, dass der kreative Freiraum nicht neuen Bauprojekten weichen muss. Nach Sonnenuntergang füllen sich die Gassen der Altstadt mit Malageños und Urlaubern, die in einem der vielen neuen Lokale speisen, deren Angebot von traditionellen Tapas bis zur Avantgarde-Küche reicht. "Wir versuchen, nicht dauernd an die Krise zu denken und lenken uns ab, indem wir gemeinsam die Stadt neu entdecken", sagt Margarita Gimenéz, "als Touristen in der eigenen Stadt."