

Per Oldtimer-Bike zum Nordkap »Ich höre grundsätzlich nicht auf Menschen, die mir sagen, was ich zu tun habe«
SPIEGEL: Sie sind knapp 8500 Kilometer zum Nordkap und zurück gefahren – mit einem über 40 Jahre alten Motorrad, das Ihnen unterwegs viele Probleme machte. Warum haben Sie sich für eine so betagte Maschine entschieden?
Mike Dodd: Ich wollte das einfache, unverfälschte Abenteuer und so minimalistisch reisen wie möglich. Es hätte sich nicht richtig angefühlt, mit einem neuen, teuren Motorrad loszufahren. Ehrlich gesagt habe ich auf Hochglanz-Biker und all ihr teures Zubehör herabgeschaut, denen ich unterwegs begegnet bin. Ich war stolz auf meine alte, schlichte Mrs B.
SPIEGEL: Mrs B.?
Dodd: So heißt mein Motorrad, eine Honda Gold Wing, Baujahr 1979. Ich habe sie vor ein paar Jahren einem Motorrad-Rennfahrer aus Liverpool abgekauft, vor allem, weil ich ihren Sound liebte. Zuerst nannte ich sie nur »Bike«, bis eine Freundin meinte, das sei zu lieblos. Sie bräuchte unbedingt einen Namen. Also taufte ich sie Mrs B – B wie Bike.
SPIEGEL: Wie ist die Idee zur Reise entstanden?
Dodd: In meinem Arbeitsalltag fotografiere ich reiche Menschen in schnellen Autos, oft in atemberaubenden Landschaften. Auf meinem Trip wollte ich selbst am Steuer sitzen und die Abenteuer erleben. Und irgendwann hatte ich im Flieger einen norwegischen Film über ein Autorennen von Oslo bis zum Nordkap gesehen – die Landschaft hat mich fasziniert.
SPIEGEL: Wie haben Sie Ihre Strecke geplant?
Dodd: Ich folgte norwegischen Fotografen auf Instagram und strickte mir aus den besten Fotos meinen Trip zusammen. Dafür brauchte ich ein Jahr lang. Dabei entstand auch der Plan, nur das Nötigste mitzunehmen. Ich hatte dieses Bild vor Augen: ich ganz cool auf meinem Oldschool-Motorrad in einer Instagram-Landschaft mit Vintage-Filter. Funktionsjacken oder Regenhosen hätten da nicht reingepasst.

Von London zum Nordkap: Mit Mrs B. über den Polarkreis
SPIEGEL: Ist Ihre Rechnung aufgegangen: je schlichter die Ausrüstung, desto purer das Abenteuer?
Dodd: Nicht wirklich. Als Mrs B. kurz vor dem Nordkap drohte, ihren Geist aufzugeben, gab es Momente, in denen ich meine Prinzipien bereute und doch die Biker mit ihren neuen Maschinen beneidete. Letztlich konnte ich sie aber in Tromsø dank der Hilfe eines lokalen Motorradklubs reparieren. Auch als es nach Norden hin immer kälter wurde, ärgerte ich mich, dass ich statt einem dicken Pulli nur eine alte Lederjacke eingepackt hatte. Dabei hatte ich vorher im Reiseführer gelesen, dass es da oben eisig werden kann, vor allem nach Sonnenuntergang. Aber ich höre grundsätzlich nicht auf Menschen, die mir sagen, was ich zu tun habe. Das habe ich auf der Reise zum ersten Mal in meinem Leben bereut.
SPIEGEL: Ursprünglich wollten Sie sogar Ihre Kamera zu Hause lassen. Das klingt ungewöhnlich für einen Fotografen.
Dodd: Als Profifotograf bin ich viel unterwegs und reise an wunderschöne Orte. Aber ich bin nicht da, um die Landschaft zu genießen, sondern um gute Fotos zu schießen. Ich habe immer eine Stimme im Kopf: »Das ist ein super Motiv!« oder »Jetzt ist das Licht richtig gut!«. Auf dieser Reise wollte ich nicht darüber nachdenken, wie ich das perfekte Bild mache, sondern mein eigenes Abenteuer erleben. Der Gedanke, meine Kamera zu Hause zu lassen, war deshalb befreiend. Aber auch beängstigend.
SPIEGEL: Sie hatten Angst davor, ohne Kamera loszufahren?
Dodd: Ja, ich glaube, so würde es heutzutage vielen Menschen gehen. Wenn wir auf Reisen etwas Schönes sehen, machen wir mit unserem Handy ein Foto und schicken es per WhatsApp an Freunde. Was wir nicht fotografieren, existiert nicht. Ohne die Kamera hätte es die Reise nur in meiner Erinnerung gegeben. Aus dieser Unsicherheit heraus habe ich mich in letzter Minute doch noch dazu entschlossen, sie mitzunehmen.
SPIEGEL: Und – haben Sie es bereut?
Dodd: Am Anfang kam ich aus meiner Fotografenrolle nicht raus. Ich habe versucht, perfekte Fotos von mir und Mrs B. auf den gewundenen norwegischen Gebirgsstraßen zu bekommen, man könnte auch sagen: die Fotos nachzustellen, die ich auf Instagram gesehen hatte. Wenn du allein bist, kann das Stunden dauern: Ich musste das Motorrad abstellen, einige Kurven zurückwandern, einen guten Platz für die Kamera finden, den Timer stellen, zum Motorrad zurück hetzen und unzählige Male an der Kamera vorbeifahren – und trotzdem gibt's keine Garantie, dass ein guter Schuss dabei ist. Der ganze Prozess hat mir noch nicht mal Spaß gemacht! Als ich nach ein paar Tagen abgehetzt auf Mrs B. saß, fragte ich mich, was ich hier eigentlich mache – ich war weit entfernt davon, meinen lange geplanten Roadtrip zu genießen. Das war der Moment, in dem ich die Kamera weggelegt habe.
SPIEGEL: Sie haben keine Fotos mehr gemacht?
Dodd: Einige Tage. Ich fühlte mich total befreit, weil ich nicht mehr verkrampft nach Motiven suchte, sondern mich auf die Reise und die Landschaft konzentriert habe. Es gab keine Ablenkung, und ich versuchte nicht mehr, etwas darzustellen. Irgendwann überkam es mich trotzdem wieder, aber vor jedem Griff zur Kamera habe ich mich gefragt, was ich möchte: »Willst du mit dem Foto jemanden beeindrucken? Dann lass es. Willst du es als Erinnerung für dich? Dann mach’s.« Das hat gut funktioniert. Ich hatte mit dem Fotografieren meinen Frieden gemacht.
SPIEGEL: Haben Sie auf Ihrer Reise Norweger kennengelernt?
Dodd: Nicht viele. Ich habe im Zelt außerhalb von Orten übernachtet, nur am Nordkap war es zu kalt. Ich bin in die nächstgelegene Stadt Honningsvåg gefahren, habe mir ein Zimmer in einem Hostel genommen und habe in einer Kneipe die Nacht mit ein paar Einheimischen durchgezecht. Ich wollte auf dieser Reise aber auch allein sein, weil ich Zeit zum Nachdenken brauchte, über mich und meinen Job. Zu der Zeit war das genau richtig – beim nächsten Mal würde ich allerdings in Begleitung fahren, um schöne, aber auch traurige Momente zu teilen.
SPIEGEL: Wo fanden Sie es am schönsten?
Dodd: Die Lofoten sind wunderschön. Dramatische Berglandschaften, tiefe Fjorde, kleine Fischerorte. Dort habe ich mich ziemlich weit von der Zivilisation entfernt gefühlt. Am besten in Erinnerung geblieben ist mir aber eine relativ eintönige Landschaft in Mittelnorwegen. Durch sie fuhr ich kurz nach meiner Entscheidung, keine Fotos mehr zu machen. Ich war gezwungen, mir die Gegend selbst anzusehen, und habe sie so aufgesogen, dass ich mich noch an jedes Detail erinnern kann. Im Rückblick war das einer der schönsten Momente meiner Reise, weil ich mir keine Gedanken um irgendwas gemacht habe, sondern einfach nur da war.
SPIEGEL: Wie war es, nach über 4000 Kilometern am Nordkap anzukommen?
fjordwärts: Mit dem Motorrad zum Nordkap
Preisabfragezeitpunkt
28.03.2023 09.58 Uhr
Keine Gewähr
Dodd: Die letzten paar Hundert Kilometer vor dem Nordkap waren die schlimmsten des ganzen Trips. Es war kalt und regnerisch, ich war zu dünn angezogen und auf der Strecke lagen viele Tunnel, in denen es noch eisiger war. Nach diesem Abschnitt und den Kämpfen, die ich mit mir selbst und dem Motorrad ausgefochten hatte, war es ein tolles Gefühl, am Ziel zu sein. Ich war stolz, dass Mrs B. und ich es geschafft hatten. Aber als ich vor dem bekannten Globus-Denkmal stand, war ich fast ein bisschen enttäuscht. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, wohl so was wie einen Paukenschlag, wenn ich am nördlichsten Punkt Europas ankomme. Aber letztlich ist er auch nur ein Ort auf der Landkarte – und ich war immer noch derselbe. Ich fühlte mich ein bisschen verloren.
SPIEGEL: Haben Sie da ein Foto gemacht?
Dodd: Ja, sogar ein ziemlich aufwendiges. Ich wollte eins von Mrs B. und mir vor dem Globus. Dafür musste ich ziemlich oft zu einer Klippe und zurück laufen, wo ich die Kamera befestigt hatte. Ich wollte das Foto als Erinnerung für mich und habe es direkt vor Ort bearbeitet. Herausgekommen ist ein eher düsteres Bild, das gut die Stimmung wiedergibt, in der ich in dem Moment war.
SPIEGEL: Würden Sie anderen eine Reise zum Nordkap empfehlen?
Dodd: Auf jeden Fall, vor allem mit dem Motorrad, weil es auf dem Weg unendlich viele Serpentinen gibt. Mit einem größeren Fahrzeug oder einem Wohnmobil stelle ich mir das mühsam vor. Mein Tipp: Planen Sie mehr Zeit ein als ich. 24 Tage waren definitiv zu kurz.