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Newcastle upon Tyne: Englands Partymonster

Foto: Corbis

Newcastle upon Tyne Jägerbombs im britischen Ballermann

Harte Drinks, schnelle Liebe und das längste Wochenende der Insel: Für manche ist Newcastle eine Zweigstelle von Sodom und Gomorrha, für andere einfach nur das größte Partymonster Englands. Die alte Kohlestadt lebt für den Exzess.
Von Rainer Schäfer

Mittwochs gönnt sich Newcastle eine kurze Verschnaufpause. Das muss dieser Stadt reichen, die schneller und gieriger leben will als andere. Das Wochenende nimmt schon am Donnerstag Tempo auf, die letzten Rausschmeißer-Songs hatten die DJs am Dienstagmorgen aufgelegt.

Abends erobern Gruppen von Jugendlichen die Plätze in der Innenstadt. Junge Männer klatschen sich gegenseitig geräuschvoll ab, einige fassen sich in den Schritt - Macho-Gesten. Junge Frauen tragen ihre Highheels in den Händen, damit sie schneller vorankommen, von Club zu Club. Immer wieder landen sie dabei auf dem Bigg Market, einem zentralen Platz in der Innenstadt. Früher wurde auf dem Markt Gemüse verkauft, heute ist es ein Umschlagsplatz der Lust und des Abenteuers.

Newcastle upon Tyne hat den Ruf einer Stadt mit nächtlicher Erlebnisgarantie: Wer hier nicht auf seine Kosten komme, der schaffe das nirgendwo, heißt es. Auf einer Liste der weltweit besten Partymetropolen belegte Newcastle den achten Platz - noch vor London. Diese Stadt im grauen Nordosten Englands mit knapp 270.000 Einwohnern wird seitdem in einem Atemzug genannt mit Rio de Janeiro oder Las Vegas.

Dabei war ihren Bewohnern gar nicht nach Feiern zumute, nachdem Newcastle seine Stellung als Bergbauhochburg verloren hatte. Der Kohle hatte die Stadt ihren Wohlstand zu verdanken. In den siebziger Jahren schlossen die großen Zechen, Arbeitslosigkeit und Resignation machte sich breit, bis sich Newcastle auf seine Feier- und Trinkkultur besann und begann, diese zur neuen Geldquelle auszubauen.

Sparen für den Rausch

Newcastle und der Alkohol - das ist eine lange Geschichte: Am Freitag war einst Zahltag, die Männer aus den Zechen trafen sich dann in den Pubs und bestellten stoisch ein Pint nach dem anderen. Viele Geordies, wie die Newcastler sich nennen, verloren den klaren Blick und büßten den aufrechten Gang ein. Vor allem auf der Südseite des Tyne, in Gateshead, hat sich die proletarische Geordie-Kultur erhalten. Männer ohne Jobs in grauen Jogginghosen stehen an der Metrostation im Regen und rauchen. Auch heute noch, obwohl sich Newcastle längst den Kohlenstaub abgewaschen und sich zur Ausgehstadt gemausert hat.

Endlich ist der Freitagabend da. Dann feiern alle, Manager im Anzug können sich ihm genau so wenig entziehen wie Arbeitslose. Kent ist einer von ihnen, er spart darauf, um sich in den Pubs sehen lassen zu können wie im "Central".

Kent ist Anfang 50, seinen letzten Job als Hilfskraft im Zoo hat er vor 20 Jahren verloren. Im "Central" mischen sich Junge und Alte, es wird gelacht und geflachst, die rechte Hand fest am Bierglas. Nach ein paar Gläsern wandert man weiter, pub crawling sagen die Newcastler dazu, wenn sie von einem Pub zum anderen ziehen. Es geht leicht bergauf zum "Crown Posada". Über dem Zapfhahn liegen Kapitänsmützen, die Gitarre von Jack Bruce heult direkt aus einem Grammofon.

"Keine Zeit zum Randalieren"

Es dauert nicht lange, bis sich John, ein IT-Fachmann Mitte 40, an den Tisch setzt und von den Unruhen erzählt, die England im vergangenen Sommer erschütterten. Von London ausgehend, griffen sie auf Liverpool, Birmingham, Manchester und Bristol über. Aber vor Newcastle machten sie Halt, obwohl es auch hier Viertel gibt, in denen die Unzufriedenheit hätte umschlagen können in Krawalle. "Die haben keine Zeit zum Randalieren, die müssen ja feiern", urteilt John fast ein wenig verächtlich über die junge Generation. "Newcastle lebt sich im Exzess aus."

Vom Bigg Market allerdings, der nur wenige Straßen entfernt ist, hält man in den gemütlichen Pubs nicht viel. Britischer Ballermann, das ist sein Ruf. "Ein Menschenzoo, es geht zu wie im Neandertal", sagt John. Bigg Market ist das enthemmte Extrem des Newcastler Nachtlebens, das überall in der Stadt aufflackert und sich ausbreitet.

Von dort aus ziehen die Nachtschwärmer weiter, über die Brücken nach Gateshead. In den Sommermonaten werden die Nischen auf den Brücken oft zu Liebesnestern umfunktioniert, in Newcastle stört sich niemand dran. Gentlemanlike geht man vorbei. Newcastle kann so großzügig sein.

Fleischbeschau, jeden Samstag

Am nächsten Morgen spült ein zorniger Platzregen die Spuren der Nacht fort, am Bigg Market liegen Münzen auf der Erde, achtlos weggeworfen oder schlicht verloren. Aus Lastwagen werden Bierfässer gerollt, die Stadt wird gegen Abend wieder durstig sein.

Es wird Samstagnacht. Bigg Market zieht auch viele Partygänger aus anderen Städten an. Auch wenn es kalt ist, tragen Frauen Miniröcke. Zitternd huschen sie über die Straßen, bibbern sich zum nächsten Club. Es ist eine Fleischbeschau in Leichttextilien, an der auch ältere Frauen teilnehmen. Wer in Newcastle alleine bleibt, der muss das wollen.

Auf dem Bigg Market werden gläserweise Jägerbombs getrunken, ein schnell wirkender Mix aus Red Bull und Jägermeister. Kurz nach Mitternacht taumeln sie zu Hunderten durch die Straßen. Immer wieder stürzen Betrunkene aus den Clubs, erbrechen sich und tasten sich zurück auf die Tanzfläche.

In den Clubs geht es in die Verlängerung, mit flinken Händen wirbeln die DJs hinter ihren Pulten. Unter den Brücken stehen Angler im Nieselregen, Kapuzen über den Köpfen. Als ließe sie der ganze Trubel kalt.

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