

Fischerpfad an Portugals Küste Alle Sinne im Einsatz
Der Weißstorch hält kurz den roten Schnabel in die Luft, als wollte er die Windsituation ausloten. So ein riskanter Start muss wohl vorbereitet sein. Vor allem, wenn der Flugplatz keine Start- oder Landebahn hat, sondern 15 Meter freier Fall vor dem Vogel liegen. Dann springt er mit Schwung aus dem Nest, fällt in die Tiefe. Kurz über der Meeresoberfläche breitet er die Flügel aus und gleitet über die tosende Gischt.
An der 80 Kilometer langen Küste des Naturparks Costa Vincentina im Südwesten Portugals ist so eine Flugkunst Grundvoraussetzung, um einen der ausgesetzten Nistplätze auf den steilen Felsen zu ergattern. Über Tausende von Jahren haben die Wellen des Atlantiks eine schroffe und einzigartige Küstenlinie geformt, die nun Dutzenden Storchfamilien - und anderen Vogelarten - als exklusives Winterdomizil dient.

Fischerpfad in Portugal: Ein Weg, drei Freundinnen, viel Spaß
Fasziniert beobachten wir drei Wanderinnen die An- und Abflüge auf den dunklen Klippen. Seit Jahren zeichnet sich ein Trend ab: Immer mehr Weißstörche verzichten auf den alljährlichen Zug von Nordeuropa nach Afrika. Stattdessen bleiben sie hier. Milde 25 Grad und wilde Natur, so weit das Auge reicht.
"Hier würde ich auch gern den ganzen Winter verbringen", sagt meine Freundin Barbara. Bereits nach ein paar Stunden auf dem Fischerpfad, einem insgesamt 226 Kilometer langen Fernwanderweg, kann sie gut nachvollziehen, weshalb die Klippenbewohner auf die Weiterreise verzichten. Sie schließt die Augen und genießt die Sonne, "ein Traum!".
Nach fast 20 Jahren haben wir - drei Freundinnen, die zusammen in einem Vorort von München aufgewachsen sind - es endlich geschafft, mal wieder gemeinsam auf Reisen zu gehen. Kinder, Alltag und Stress am Arbeitsplatz bleiben zu Hause, wir wollen bei sanfter Meeresbrise, wohliger Wärme und ein bisschen Wandern entspannen. So der Plan. Doch schnell wird klar: Entspannung sieht anders aus.
"Warum ist das so verdammt anstrengend. Vielleicht hätte ich doch weniger packen sollen. Oder sitzt der Hüftgurt vom Rucksack nicht richtig?", sagt Jutta und stapft fluchend den steilen Weg die Klippe hinauf. Von der Fitness, die wir während unserer aktiven Zeit als Basketballerinnen in der Jugend mehr als genug hatten, ist nach Jahren des Schreibtischdaseins nicht mehr viel übrig.
Hätten wir vielleicht doch auf Balthasar hören sollen? Der Besitzer der Tres Marias, einer kleinen Pension im Hinterland von Porto Covo, in der wir die letzte Nacht verbracht haben, hatte uns beim Abendessen noch informiert: "Es gibt einen Gepäcktransport entlang der ganzen Route. Ihr müsst mir nur sagen, wo ihr die nächste Nacht verbringt, und ich organisiere es für euch!"
Blase am Zeh, sonnenverbrannte Nasen - aber glücklich
Das brauchen wir nicht! Dachten wir. Unsere Überheblichkeit straft uns ab Kilometer zwölf. Wer konnte schon ahnen, dass der Fischerpfad uns entlang einer Küste führt, die es dermaßen in sich hat. 21 Kilometer Fußmarsch und ein stetiges Auf und Ab durch steile Klippenlandschaft zwischen den Orten Porto Covo und Vila Nova de Milfontes - so sieht der erste Tag aus.
Die Erkenntnis, dass Sand die ideale Struktur zum Liegen hat, aber beim Gehen Schwierigkeiten verursacht, kommt zu spät. Zwei Schritte vor, einer zurück - die Durchquerung der nicht enden wollenden Dünen zehrt an den Kräften. Die Folgen der unerwarteten Anstrengung bemerken wir am Abend: eine Blase am großen Zeh, ein gezerrter Rücken, sonnenverbrannte Nasen - und alle drei sind wir zwar müde, aber glücklich. An diesem Abend verschwinden wir schon kurz nach 21 Uhr unter der Bettdecke.
Ein Freundinnen-Urlaub mit fast 40: Statt wie früher bis in die Nacht zu feiern, liegen wir frühzeitig im Bett. Lauschen den Grillen, die in der wilden Landschaft um uns herum zirpen und lassen die müden Knochen zur Ruhe kommen. Wohl wissend, dass uns am nächsten Morgen weitere 20 Kilometer anstrengende Wegstrecke erwarten. Party? Das wäre im Monte do Zambujeiro, einem abgelegenen Landhaus auf einer Korkplantage mit Blick auf den Fluss Mira, gar nicht möglich. Doch genau das ist es, was den Reiz dieser Gegend ausmacht.
Aktiv unterwegs sein, den Körper fordern und spüren. Diese Art des Urlaubs ist für Marta Cabral, Sprecherin des regionalen Tourismusvereins Rota Vicentina, mehr als nur ein Trend. "Viele Menschen verspüren das Bedürfnis, sich stärker mit der Natur zu verbinden. Es ist eine der natürlichsten Aktivitäten: Alle Sinne sind auf einer Wanderung im Einsatz. Dieses Gefühl zu teilen, kann viel befriedigender und intensiver sein als eine durchfeierte Nacht."
Ungestörte Tierbeobachtungen, einsame Wanderwege, leere Strände - in diesem Fall nicht das traurige Resultat einer vom Touristenstrom abgeschnittenen Region im Corona-Jahr. Vielmehr entspricht das genau dem, was sich Marta Cabral mit dem 2012 gegründeten Verein zum Ziel gesetzt hatte. "Die grundsätzliche Idee lag immer darin, die Region auch als Reiseziel für die Nebensaison zu stärken. Dazu gehört es, ein Erleben dieser Gegend in einer für den Menschen so natürlichen Weise zu ermöglichen, wie es das Wandern ist", sagt sie.
So weit die Füße tragen
Kern des Rota-Vicentina-Konzepts ist das insgesamt 740 Kilometer lange Wanderwegenetz. Ein Netz, das sich primär aus zwei Hauptstrecken zusammensetzt: dem Fischerpfad, die über 13 Etappen von 15 bis 22 Kilometer Länge an der Küste entlangführt. Und dem sogenannten Historischen Weg, einem 263 Kilometer langen Fernwanderweg, auf dem das Hinterland - samt dschungelartiger Flussdeltas - erkundet wird. Dazu kommen einige Rundwege. Statt großer Hotelburgen und Ferienklubs gibt es hier familiengeführte Landgasthäuser.
Es ist ein einzigartiger Weg. Der Großteil der Wanderstrecke führt uns durch die größte und bevölkerungsärmste Region Portugals, den Alentejo. Immer am rauschenden Meer entlang, den kleinen Wegen in den Dünen folgend, so kamen und kommen die Einwohner dieser Gegend zu Fuß zum Angeln ans Meer - und verpassten dem Pfad so seinen Namen. Autos und Straßen gibt es so gut wie keine. Das Motto für diesen Urlaub: so weit die Füße tragen!
Während uns anfangs noch schmerzende Glieder, anstrengende Passagen und überraschend hohe Temperaturen ablenken, kommen wir die nächsten Tage in einen angenehmen Trott. Kilometerzählen wird zur Nebensache. Hinter jeder Düne erwartet uns etwas Neues. Weißer Sand bildet einen schroffen Kontrast zu leuchtend rot-orangen Felsen. Klippen, Buchten, Strände wechseln sich ab - immer ähnlich und trotzdem anders.
Auch im Winter sind die Temperaturen angenehm
"Irgendwie komisch, dass es nicht langweilig wird. Immer wenn ich denke, der Weg hat sich optisch eingependelt, dann kommt wieder eine andere Farbe dazu", sagt Barbara und sucht weiter nach Wildkräuter- und Blumenarten am Wegesrand. Die Konzentration auf den anspruchsvollen, ausgesetzten Weg und die Landschaft lässt uns den Stress zu Hause vergessen.
Unsere Gedanken kreisen eher um die Fragen: "Wo kann ich meine Wasserflasche auffüllen?", "Gibt es einen Weg hinunter zu diesem einsamen Strand?" und "Ist das Rosmarin- oder Thymian-Duft?". Alle paar Kilometer macht der Pfad einen Schlenker hinein ins Hinterland und lässt uns erahnen, was der andere Abschnitt der Rota Vicentina, der Historische Weg, zu bieten hat: mediterrane Pinienwälder, Korkeichen-Plantagen und Blütenmeere.
Nach rund 80 Kilometern und vier Tagen haben wir unser Ziel - den kleinen Ort Odeceixe am Fluss Ribeira de Seixe - erreicht. Schweigend stapfen wir die letzten Meter am ruhig dahin mäandernden Wasser entlang. Ob es das "drohende Ende" ist, das uns die schmerzenden Muskeln zurück in die Erinnerung ruft und uns verstummen lässt. Oder das fehlende Meeresrauschen, von dem wir uns bereits an der Flussmündung verabschieden mussten? Schwer zu sagen.
Offiziell führt der Fischerpfad noch über hundert Kilometer weiter bis an den südwestlichsten Punkt des europäischen Kontinents, das Cabo de São Vicente. Doch die Zeit haben wir dieses Mal nicht. Da ist er wieder: der Faktor Zeit, der auf den 80 Kilometern kaum eine Rolle spielte. Wie gut, dass der Weißstorch es vormacht: Eine Rückkehr als Winter-Stammgast ist an der Costa Vicentina jederzeit möglich.
Anmerkung zur Transparenz: Barbara Meixner ist freie Autorin beim SPIEGEL. Zudem ist sie in der PR-Branche tätig, diese Tätigkeit steht in keinerlei inhaltlichen Zusammenhang mit dem Inhalt dieses Textes. Diese Reise wurde unterstützt vom Tourismusverband Portugal.
Anmerkung der Redaktion: Wir haben Schreibweisen portugiesischer Namen korrigiert.