Puppenspieler in Prag Alles läuft am Schnürchen
Pavel Truhlar hat eine einfache Methode, Menschen zu faszinieren. Er braucht bloß seine Finger zu bewegen. An ihnen hängen Fäden, und an diesen seine hölzernen Freunde. "Du musst die Puppen fühlen", sagt Pavel Truhlar, "dann sprechen sie mit dir." Leicht gebeugt steht er über seinem Theater.
Jetzt spricht er mit der zerbrechlichen Stimme einer alten Dame, im nächsten Moment flucht er virtuos als raubeiniger Seemann vor sich hin. Dabei dirigiert er die alte Dame und den Seemann mit seinen Händen. Er zupft an den Schnüren wie an den Saiten eines Instruments. Und immer wieder, für einen kurzen Moment, sieht es so aus, als würde er zaubernd wie ein Magier seine Hände über seine Figuren ausbreiten.
Seine Finger erzählen Geschichten von hässlichen Prinzessinnen, die Kinder kriegen wollen. Von tapferen Reitern im wilden Westen, denen lebendige Tote begegnen. Es sind gesungene Erzählungen und gesprochene Märchen, die Truhlar mit seinen Marionetten seit nun schon 18 Jahren aufführt.
Und schnell vergisst das Publikum, dass es sich bei den Darstellern um Holzfiguren handelt. Die Puppen entwickeln Persönlichkeit. "Du kannst mit der Marionette alles ausdrücken", sagt Pavel Truhlar, "ein bisschen schauspielerisches Talent, ein bisschen Fingerfertigkeit das ist alles. Den Rest kann man lernen. Alles, was ich kann, habe ich mir selbst beigebracht."
"Fabrik, Kneipe, schlafen"
Truhlars eigene Geschichte beginnt in Pacov, seinem Heimatdorf, rund 100 Kilometer südlich von Prag, in dem 5000 Menschen leben. Nach seinem Dienst in der Armee arbeitet er fast zwei Jahre in einer Metallfabrik. "Ich hätte meinen Lebtag in dieser Fabrik verbringen und meinem Bart beim Wachsen zusehen können", sagt der heute 39-Jährige, "Fabrik, Kneipe, schlafen. Fabrik, Kneipe, schlafen so ging das sechs Tage die Woche."
Doch er entschließt sich, dem öden Alltag in der südböhmischen Provinz zu entfliehen und sich eine Arbeit in Prag zu suchen. Dort studieren bereits viele seiner Freunde, einige an der Hochschule für Schauspiel, andere an der Schule für Puppentheater. Nur ein Jahr zuvor hat die Prager Studentenrevolution das Tor zum Westen aufgestoßen.
Pavel Truhlar spielt Theater, findet aber keine Arbeit. Mehr und mehr faszinieren ihn Marionetten: "Also habe ich mich hingesetzt und geschnitzt. Nächtelang." Er fragt Freunde und guckt anderen Puppenspielern auf die Finger. Die Bewegungen übt er vor dem heimischen Spiegel. Am nächsten Tag schmerzt ihm das Kreuz. Doch er lernt schnell, bald sogar zwei Puppen in jeder Hand zu dirigieren. In Cafés spielt er für Kinder und ihre Eltern, in Kneipen für Betrunkene und ihre Wirte.
Es ist immer dasselbe Stück: Die Geschichte von "Kapitän Kleinhaken", der lossegelt, um sein Glück und Gold zu finden, doch dem überall nur Unheil begegnet. Kein Gold, aber sein Glück findet er schließlich zu Hause. "Hunderte Mal habe ich das aufgeführt, und es kam überall gut an", sagt der Puppenspieler, "denn Menschen lieben Marionetten. Sie fühlen sich an ihre Kindheit erinnert und spielen in ihrer Phantasie mit."
"Das Glück hatte mich geküsst"
Einige Stunden am Tag setzt er sich mit seinen handgefertigten Puppen neben die Porträtzeichner und Schmuckverkäuferinnen auf die Karlsbrücke. Das Geschäft läuft gut. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus strömen mehr und mehr Touristen aus dem Westen nach Prag. "Die haben alles gekauft. Auch meine Puppen", sagt Truhlar.
An einem eisig kalten Februartag will er bereits nach Hause gehen, als eine alte Frau, die Enkeltochter an der Hand an, ihn anspricht. Ob es nicht zu kalt sei, ob er seine wunderschönen Puppen nicht in einem Laden verkaufen wolle. Sie hätte da einen sehr günstig zu vermieten, gleich hier unterhalb der Karlsbrücke. "Das Glück hatte mich geküsst", sagt Pavel Truhlar heute, wie in einem seiner Märchen, "meine Geschichte klingt ja selber wie ein Märchen."
Stumm baumeln sie an ihren Schnüren an den Wänden und von der Decke und warten darauf, dass sie jemand in die Hände nimmt und zum Leben erweckt. Die zierliche Prinzessin hängt gleich neben dem Tod, stumpfsinnig glotzende Holzköpfe neben schicken Damen mit schwanenhaften Hälsen. Gnome, Pinocchio, eine Blaskapelle. Furchteinflößende Gestalten neben Clowns und zahnlosen Greisen.
Inzwischen stellt Truhlar in seinen Galerien Hunderte, handgefertigte Marionetten von rund 60 tschechischen Künstlern aus. 1992 eröffnete er seinen ersten Laden, 2004 den zweiten. Seit zwei Jahren hat er zudem ein Studio, in dem jeder seine eigene Marionette schnitzen und bemalen kann.
"Du bist ein Künstler"
Wenn Besucher in seine Läden kommen, betreten sie eine bunte Welt. Eine Welt, in der Hexen, Elfen und Fabelwesen leben und keine Geschichte zu phantastisch ist, um sie nicht zu erzählen. Viele flüstern, wenn sie bei ihm im Laden sind, selbst wenn sie die einzigen Besucher sind. "Sie fühlen sich beobachtet", sagt Truhlar, "es gibt Dinge, die ihren Zauber nie verlieren. Marionetten gehören dazu."
Der Zauber hat mittlerweile auch seine Familie ergriffen. Eines Tages sagte er zu seinem drei Jahre jüngeren Bruder: "Daniel, auch du gehörst in keine Fabrik, du bist ein Künstler mach gemeinsam mit mir Marionetten." Am nächsten Tag kündigte der Bruder seine Stelle in der Fabrik und richtete eine Werkstatt in der heimischen Garage ein.
Sieben Jahre ist das her. Heute schnitzt Daniel Truhlar die kompliziertesten Marionetten, aus Lindenholz lässt er zauberhafte Charaktere entstehen. Oft braucht er drei Wochen oder länger für eines seiner Unikate, die in den brüderlichen Shops ausgestellt und verkauft werden. Und auch Pavel Truhlar Senior arbeitet seit zwei Jahren in der Puppenproduktion seines Sohnes.
"Meine Familie, meine Frau, meine drei Töchter und einige Freunde können inzwischen ganz gut davon leben", sagt Pavel Truhlar und bewegt die Finger, als spiele er gerade eine Marionette. "So eine wunderbare Geschichte hätte ich mir nie ausdenken können."