
Vintage-Radrennen L'Eroica: Alte Rennräder, extravagante Outfits
Vintage-Radrennen L'Eroica Britannia Abgefahren in die gute alte Zeit
Bakewell - Das Tretlager krächzt, die Schaltung hakelt - und von den Bremsen wollen wir besser gar nicht erst reden. Ich sitze auf einem klapprigen Rennrad aus den Siebzigerjahren und quäle mich durch die Hügellandschaft der englischen Midlands. L'Eroica Britannia heißt das Rennen, das am Wochenende Radler aus der ganzen Welt in den Nationalpark Peak District nahe Manchester gelockt hat.
Die Eroica-Idee stammt aus Italien : Man verzichtet auf die Segnungen moderner Fahrradtechnik und möglichst auch auf asphaltierte Straßen. Statt 20 Gänge hat ein Rad höchstens zehn oder zwölf. Mit ihrer Kleidung versuchen die L'Eroica-Teilnehmer an die großen Zeiten des Radsports anzuknüpfen, als die Fahrer noch als wahre Helden galten und nicht als potenzielle Doper. Sie tragen Wolltrikots.
Die Premiere von L'Eroica Britannia können die Veranstalter als vollen Erfolg verbuchen. Sonniges Wetter sowie rund 2000 Teilnehmer und Tausende, teils aufwendig kostümierte Besucher sorgten für beste Stimmung.
Zeiten werden nicht gestoppt - es zählt das Ankommen
Adam Rodgers aus Manchester sagt, was viele denken: "Das ist ein großer Spaß. Alte Räder sehen einfach gut aus." Dabei gehe es eigentlich gar nicht um die Bikes, was zähle, sei das Gefühl. "Auf so einem alten Rad will man nicht der Erste sein, man will damit entspannt radeln." Dementsprechend wurden bei der L'Eroica Britannia auch keine Zeiten gestoppt, es zählte allein das Ankommen.

Eroica-Teilnehmer Adam Rodgers: Zwischendurch absteigen ist erlaubt
Foto: SPIEGEL ONLINERodgers absolvierte die mittlere Distanz von 90 Kilometern auf einem Pashley Guvnor mit nur einem Gang - ambitioniert angesichts der insgesamt 1800 Höhenmeter. "Ohne Absteigen geht das natürlich nicht - aber das ist nicht weiter schlimm", sagt er.
Seine Frau Jillian ist ebenfalls nach Bakewell im Peak District gekommen. Auch sie steht auf altmodische Räder, an der Rundfahrt hat sie aber nicht teilgenommen: "Das war mir zu hügelig." Stattdessen hat sie sich gekleidet, als ginge es zum Pferderennen. Knallroter Hut, rotes Tuch, elegantes Kleid. "Vintage - das ist seit Jahren in Großbritannien ganz groß", sagt sie. Kurioserweise gibt es für Vintage keine passende Übersetzung ins Deutsche. Mit ihrem extravaganten Outfit gewann Jillian Rodgers zur eigenen Überraschung den Eroica-Wettbewerb der bestgekleideten Frau auf dem Festival.

Jillian Rodgers feuert an: Bestgekleidete Frau des Festivals
Foto: SPIEGEL ONLINEÄhnlich auffällig präsentiert sich Bill Coughlan aus London. Am Tag vor der Rundfahrt stolziert er in Tweed über das Festivalgelände, den eleganten Stahlrenner immer neben sich herschiebend. "Wir sind eine Gruppe von Freunden, die gern auf alten Rädern unterwegs sind." Am Wochenende macht er immer wieder Touren - zum Beispiel von Dover nach London - das sind hundert Meilen. "Seit Jahren reden wir darüber, zur Eroica nach Italien zu fahren. Jetzt findet sie quasi um die Ecke statt, das war die Gelegenheit für uns."

Bill Coughlan mit seinem Stahlrennrad: Bike und Biker harmonieren
Foto: SPIEGEL ONLINEDie Rundfahrt durch den Peak District hat auch Deutsche angelockt wie Jürgen Völtzke und Alexander Pfeil aus Köln. "Das ist eine tolle Chance, England auf eine andere Weise kennenzulernen." Die entspannte Rundfahrt, das Zelebrieren der guten alten Zeit, das Verkleiden - all das gefällt den Kölnern sehr gut.

Alexander Pfeil und Jürgen Voltzke: Aus Köln angereist
Foto: SPIEGEL ONLINEDie Sache mit den alten Rädern sehen sie freilich ambivalent: "Man ist ja verwöhnt durch moderne Technik", sagt Pfeil. "Die alten Räder haben ja eigentlich überall Nachteile: beim Bremsen, beim Steuern, bei der Schaltung. Aber sie sehen gut aus."
Die Rundfahrt erfordert Kondition, zumindest wenn man sich für die mittlere (90 Kilometer) oder lange Distanz (180 Kilometer) entscheidet. Es geht durch Tunnel einer stillgelegten Eisenbahnstrecke, über Nebenstraßen und Schotterwege. An drei Verpflegungsstationen unterwegs gibt es regionale Spezialitäten - und das eigens gebraute Festivalbier.
Auch wenn es den Anschein einer fröhlichen Herrenausfahrt hat: Spätestens am ersten kilometerlangen Anstieg mit über zehn Prozent wird allen untrainierten Teilnehmern klar, warum die Veranstaltung L'Eroica Britannia heißt. Wer es ohne abzusteigen bis nach oben schafft, darf sich als Held der Straße fühlen.