
Restaurant Caru' cu Bere Der Bierpalast von Bukarest
Die Bukaresterin Steliana, David aus Cincinnati und zwei junge israelische Paare blicken begehrlich auf die voll besetzte Terrasse. Mindestens eine halbe Stunde warten sie schon auf den kühlen Steinbänken gegenüber vom Caru' cu Bere, was man mit "Bierkutsche" übersetzen könnte. Wer an lauen Sommerabenden in Bukarests berühmtestem Restaurant speisen will, muss Geduld mitbringen.
Die Plätze sind rar, draußen und erst recht drinnen, hinter dem schweren Eingangsportal. Die hübschen Mädchen am Eingang machen ihren Job sorgsam. Wer Glück hat, wird hineingeleitet und findet sich in einer Halle mit einem prächtigen Gewölbe und gedrechselten Balustraden wieder.
Über zwei Stockwerke erstreckt sich der mit Holzschnitzereien und Fresken ausgekleidete Raum. Die Gäste sitzen zwischen vergoldeten und marmorierten Säulen auf schwerem Holzgestühl, bunt leuchtende Glasfenster im Blick. Seit 1879, dem Gründungsjahr der Bierhalle, misst eine mit Holzgiebelchen verzierte Standuhr die Zeit.
"Stumm vor Staunen" seien da sogar schon italienische Freunde gewesen, als sie zum ersten Mal den Prunkbau betraten, berichtet Niculae Mircea, der Besitzer des Caru' cu Bere. "Sie fragten, ob das hier früher eine Kathedrale war", sagt der bärtige Mann Mitte 80.
Vom Treffpunkt der Intellektuellen zum miefigen Staatsbetrieb
Mircea machte sein Abitur auf dem deutschen Gymnasium in Hermannstadt, dem heutigen Sibiu, und war als Bauingenieur in Heidelberg und Mannheim tätig. Dann belebte er das Erbe seines Großvaters neu. Nach der Revolution von 1989 dauerte es sieben Jahre, bis ihm das Restaurant zurückgegeben wurde. Dabei machten ihm die Behörden eigentlich keine Schwierigkeiten, sagt Mircea. "Ah, da habe ich mit meinem Vater das erste Bier getrunken", habe es oft geheißen, wenn es Formalien zu erledigen gab.
Bis zum letzten Löffel war die historische Bierschwemme nach dem Zweiten Weltkrieg beschlagnahmt worden. "Wie in einem Mausoleum" sei die Stimmung im ehemals quirligen Treffpunkt rumänischer Intellektueller und Politiker gewesen, sagt Mircea. Widerwillig servierten die Kellner im Staatsbetrieb trockene Schnitzel und sauer eingelegte Paprika. Der sozialistische Mief hielt sich noch lange - erst 2006 kam mit der Neueröffnung fürs Caru' cu Bere die echte Wende.
Der alte Herr möchte sein Gasthaus lieber mit den Prager Bierhallen als mit dem Münchner Hofbräuhaus verglichen sehen. Im Lande von Weintrinkern war das Restaurant einst ein Unikum. Erbaut wurde das Caru' cu Bere von einem polnischen Architekten in der Blütezeit der rumänischen Hauptstadt, Ende des 19. Jahrhunderts.
Die Lage ist prominent: Gegenüber befindet sich das orthodoxe Stavropoleos-Kloster, das als schönstes Baudenkmal der Hauptstadt gilt, auch die prächtige Nationalbank und das Historische Museum, ehemals Postpalast, sind nur wenige Schritte entfernt. An der Strada Lipscani, die einst Leipziger Handelsleute besiedelten, gehen nun nach Jahren die letzten Restaurierungsarbeiten zu Ende.
Die Schickeria speist in Bukarest woanders
Hier, inmitten des historischen Zentrums, das Fußgängerzone ist, drängeln sich in immer neuen Cafés und Kneipen die Gäste. In die Gassen ragende Terrassen reihen sich aneinander, besetzt von der jungen rumänischen Schickeria und ausländischen Gästen. Im Caru' cu Bere indes tickt die hohe Standuhr unverändert.
"Wir bleiben würdig und konkurrenzlos", sagt Besitzer Mircea. Er ist akribisch im Kleinen wie im Großen: Vor dem Restaurant wird regelmäßig jedes Fetzchen Müll vom Pflaster aufgelesen, hinter den Planen überwacht der Ingenieur die noch nicht abgeschlossene Restaurierung der Fassade, die an venezianische Palazzi erinnert.
Zwischen den Tischen servieren die zahlreichen jungen Kellner mit den grünen Schürzen zum Bier vor allem traditionelle rumänische Speisen. Mici zum Beispiel, auch Mititei genannt, das Nationalgericht aus Hack, gegrillte fingerlange Röllchen. Das Stück kostet 4,50 Lei, umgerechnet etwa einen Euro - laut Steliana Stoica gut investiertes Geld.
"Hier gibt es die besten", sagt die 84-Jährige, rotlackierte Nägel, rotes Kleid, pechschwarzes Haar, und tunkt ihre Mici in die Knoblauchsauce. Die alte Dame, eine frühere Stewardess, war schon als Kind mit ihrem Vater hier. "Das war immer ein schöner Spaß", sagt sie und lacht. "Schon als Kleine hab' ich gerne Bier getrunken."
Mitteleuropäische Bierstube mit südöstlichem Charme
Zum Nachtisch gibt es für sie heute Clatite, dünne, gefüllte Pfannkuchen, vergleichbar mit französischen Crêpes. Pensionäre und Studenten bekommen in dem Restaurant zu bestimmten Zeiten Menüs zum Sonderpreis von etwas mehr als zwei Euro. Auch die soziale Ader hat der aktuelle Besitzer von seinem Großvater geerbt. Der Gründer bewirtete Studenten aus seiner Heimat Siebenbürgen sogar kostenlos, Niculae Mircea hat ihre alten Dankesbriefe aufgehoben.
Ein paar Tische weiter tafelt eine Gruppe deutscher Wissenschaftler. Vom Ausgrabungsort Pietrele in der Walachei, wo sie seit Jahren jeden Sommer die Steinzeit erkunden, zieht es die Forscher vom Deutschen Archäologischen Institut in Berlin regelmäßig zum Ausflug ins Caru' cu Bere. "Das hier ist eine einzigartige Symbiose," sagt Agathe Reingruber - "eine mitteleuropäische Bierstube mit südöstlichem Charme."
Dieser entfaltet sich vollends zu fortgeschrittener Stunde, mit knallbuntem Kitsch: Eine akrobatische Tanzgruppe legt einen Bukarester Tango aufs Parkett, und auch so mancher Gast lässt sich gerne zum Mitmachen animieren. Im ruhigeren Kellergewölbe spielt indessen Radu Simeon, Meister der Panflöte, rumänische Volksweisen.
Für die beiden Paare aus Israel hat sich das Warten am Ende gelohnt. Mit "amazing place" - großartiger Ort - kommentieren sie ihren Besuch später im aufgeschlagenen Gästebuch. Darunter hat David aus Cincinnati sein Fazit gesetzt: "Ain't nobody ever gonna reach this." Die Bukarester Bierkutsche ist eben unerreichbar.