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Kronplatz: Zankapfel Ried-Abfahrt

Foto: Kronplatz Seilbahn

Ried-Abfahrt am Kronplatz Eine Piste, ein Zug, viel Streit

Klimaschonend zum Skilift: Die Planer einer neuen Piste am Kronplatz wollen mit einer Zugverbindung zwischen Talstationen die Staus auf den Straßen eindämmen. Doch Kritiker werfen ihnen Augenwischerei vor - die Bahn sei nur gebaut worden, um ungestraft 20 Hektar Bäume abholzen zu können.

Stellen Sie sich vor, Sie haben den Ski-Vormittag im Hochpustertal verbracht, wollen nun aber noch ein paar andere Pisten erleben. Sie schwingen an der Talstation ab, marschieren ein paar Meter zum Bahnhof und besteigen den Regionalexpress Richtung Bruneck, dem Hauptort des Pustertals. Auf dem Weg passieren Sie Staus, beobachten durch das Fenster des sanft dahingleitenden Zugs die vielen Autos auf der Landstraße. Der "Stop and Go"-Verkehr an den Ampeln lässt jene Blechlawinen erahnen, die sich gerade zu den Talstationen der Kronplatz-Gondeln in Reischach wälzen.

Kurz darauf hält der Zug mit quietschenden Bremsen im Weiler Percha. Schnell holen Sie die Skiausrüstung aus dem Gepäckfach, denn hier müssen Sie umsteigen: Aus dem Abteil geht es quer über den Bahnsteig direkt in die beheizte Kabine einer Zehnergondel. Weitere zehn Minuten später steigen sie auf dem Gipfel des Kronplatzes aus. 2275 Meter Seehöhe, Sie atmen klare Höhenluft, blicken auf das Panorama der Dolomiten und schnallen die Skier an. Am Nachmittag geht es über Piste und per Zug zurück zur Ausgangsstation.

Diese Vision wird in diesem Winter im Südtiroler Pustertal Wirklichkeit. Mit dem Projekt Ried soll am Kronplatz ein neues Kapitel in der Geschichte des Wintertourismus aufgeschlagen werden. Eine neue, sieben Kilometer lange Piste schlängelt sich vom Gipfel des wohl am besten erschlossenen Skibergs der Alpen über 1355 Höhenmeter hinab bis zur eigens errichteten Haltestelle an den Gleisen der regionalen Eisenbahn. Die Schienenverbindung soll den Kronplatz im Halbstundentakt mit den Skigebieten im Hochpustertal verbinden. Darüber hinaus sind mit der Bahn die Pisten in Osttirol erreichbar, mittelfristig will man auch die Metropolen Bozen und Innsbruck vernetzen.

20 Hektar Wald mussten weg

Die Verantwortlichen bei den Kronplatz-Seilbahnen erhoffen sich von ihrem Konzept eine Reduzierung des Verkehrsaufkommens im Tal um 20 Prozent. Bahnreisende Wintersportler können sich in der Gewissheit wiegen, der Umwelt im Vergleich zu den Autofahrern einige Kilogramm Kohlendioxid zu ersparen. Sie sollen hier das Gefühl haben, damit ein wenig zur Eindämmung des Klimawandels beizutragen, der sich laut Prognosen in den Alpen durch höhere Temperaturen und ein Ansteigen der Schneefallgrenze bemerkbar machen wird.

Der Bau der Anlage allerdings hat der Natur einiges abverlangt: Um die neue Abfahrt schneesicher zu machen, hat man geklotzt. Andreas Dorfmann, Ingenieur und Direktor der Kronplatz Seilbahn AG, konzipierte an Rechner und Reißbrett ein Rundum-Sorglos-Paket mit Wasserleitungen, leistungsstarken Schneekanonen auf Türmen und Drainagegräben zum Auffangen des Schmelzwassers.

Baumaschinen rückten der Bergflanke zu Leibe, fällten, schütteten auf und planierten, damit sich Familien auf der weitläufigen, rot markierten Piste ebenso wohlfühlen wie Carving-Experten. Üppige 20 Hektar Wald mussten den Liftstützen und der Abfahrt weichen. Die windet sich größtenteils auf einem Bergrücken entlang und wird eine großartige Aussicht über das Pustertal bis hin zur Südflanke der Zillertaler Alpen bieten. "25 Millionen Euro haben wir für dieses Projekt investiert", sagt Dorfmann. Dank seiner Expertise kamen die Pläne durch die Umweltverträglichkeitsprüfung - dabei war die Tatsache, dass die Wintersportler an der Talstation nicht ihre Autos, sondern die Waggons der Pustertal-Eisenbahn besteigen werden, ein wesentlicher Erfolgsfaktor.

Mammut-Vorhaben wie das Projekt Ried gibt es in den Alpen mittlerweile nur noch selten. Nur in Einzelfällen werden heutzutage noch große unberührte Bergflanken mit schwerem Gerät für den Massentourismus hergerichtet. Warum das so ist, weiß Werner Hunglinger, beim Südtiroler Planungs- und Architekturbüro Plan Team zuständig für die Beratung von Wintersportorten. In Europa seien die Ausbaumöglichkeiten vielerorts ausgereizt, Schutzgebiete und "ein gewandeltes Umweltbewusstsein" setzten dem Wachstum Grenzen. "Die Pisten in den Alpen sind gut ausgebaut, nur in Einzelfällen lässt sich noch was machen, etwa bei der Breite", sagt Hunglinger. Doch müsse man Rücksicht auf die Menschen nehmen. "Hier sind Berge und Skigebiet auch ein Stück Heimat."

Bürgerproteste gegen das Großprojekt

Das zeigte sich auch an der Reaktion vieler Pustertaler auf das Großprojekt Ried: Unter den Bürgern von Bruneck und Umgebung sorgte der Bau von Bahn und Piste für Aufruhr. Viele kritisierten die Abholzung des Bergwalds und die Verschandelung der Landschaft. Zudem sind die Initiatoren einer Bürgerbewegung überzeugt, dass das neue Verkehrskonzept nur entwickelt wurde, um den Neubau im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung durchzudrücken.

Eine Volksbefragung im November 2010 ergab, dass 90 Prozent der Unterzeichner das Projekt ablehnten. Ein Referendum, in dem ein völliges Erschließungsverbot an der Nordostflanke des Kronplatzes gefordert wurde, scheiterte an der geringfügig zu niedrigen Wahlbeteiligung: 33,67 Prozent der Bürger trugen sich in die Listen ein, 40 Prozent wären nötig gewesen.

Tatsächlich beschert die Abfahrt den Seilbahnern handfeste wirtschaftliche Vorteile. Sie können nun eine große Zahl von Gästen zufriedenstellen, die sich bislang von den beiden ruppigen, schwarz markierten Talabfahrten auf der eisigen Nordflanke des Bergs überfordert fühlten. Die Ried-Piste dagegen dient mit ihrer sanften Neigung als Spielwiese für fortgeschrittene Fahrer - und die stellen die Mehrheit der Gäste.

Mehr Geld vom Skipass-Verbund

Zudem soll das Projekt dazu beitragen, die vielen kleinen Skigebiete des Pustertals zu einer einzigen Tourismusregion zu vernetzen. Ein weiterer Vorteil für die Betreiber der Seilbahnen am Kronplatz dürfte darin liegen, dass sie mehr Geld vom riesigen Liftverbund Dolomiti Superski erhalten. Nach der komplizierten Finanzarithmetik dieser Skipass-Kooperative erhalten jene Betreiber größere Teile des Kuchens, deren Lifte von möglichst vielen Skifahrern frequentiert werden. Den Nachteil der bislang peripheren Lage hofft man am Kronplatz mit der Bahnanbindung zumindest teilweise zu revidieren.

Die Zukunft wird zeigen, ob die Planer mit ihren Verkehrsprognosen recht hatten oder ob diese nur ein Mittel waren, um die Pläne für eine Hightech-Piste zu verwirklichen. Die Kritiker dagegen werden genau beobachten, ob die Betreiber an der Talstation in Percha langfristig auf einen Parkplatz verzichten werden - und ob die Urlauber die Bahn tatsächlich intensiv nutzen.

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