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Schweden: Krebsfest in Östergötland

Foto: Torben Dietrich

Schalentier-Fest in Schweden Ein Krebs, ein Lied, ein Schnaps

Fischen und Feiern: Für die Menschen im schwedischen Östergötland ist die Krebssaison ab Anfang August die schönste Zeit des Jahres. Beim Fangen der Tiere und beim abendlichen Festessen ist einiges Geschick gefragt - noch wichtiger ist Trinkfestigkeit.
Von Torben Dietrich

Kräftige Scheren hat er. Wild zappelt der Krebs im Netz, der 13-jährige Simon Bergquist greift trotzdem beherzt hinein, um stolz seinen Fang zu zeigen. Zusammen mit seinen beiden älteren Cousins hat er hier im breiten Graben des Wasa-Schlosses von Vadstena 16 kleine Netze ausgelegt, um so viele Krebse zu fangen wie möglich.

Die Jugendlichen sind nicht die einzigen Krebsjäger hier. Es ist "Kräftskiva", ein traditionelles Sommerendfest. Ab dem 7. August ist an Schwedens zweitgrößtem See für vier Wochen Krebsfangsaison. Jeder kann seine Netze am Ufer oder von einem Boot in den See hängen und versuchen, für sich und seine Freunde genügend Schalentiere zu fangen - die dann feierlich mit Schnaps und Gesang verspeist werden.

Die Kräftskiva wird vor allem in Östergötland gefeiert, eine Region etwa 150 Kilometer südwestlich von Stockholm. Seine Ursprünge hat das Fest im 19. Jahrhundert, als man sich erlaubte, die Häutung der Krebse als Anlass für ein fröhliches Beisammensein zu nehmen. Zu feiern gab es sonst wenig, viele Menschen aus der Gegend verließen wegen Missernten und Hunger das Land in Richtung Amerika.

Heute verabschiedet man sich mit der Kräftskiva vom Sommer, dabei geht es bisweilen äußerst fröhlich zu. "Das sind die besten Tage des Jahres", sagt Richard Karlsson, der einige Jahre ältere Cousin von Simon. Zusammen mit seinem Bruder und seiner Freundin zieht er Netze hoch, kontrolliert und wirft sie wieder ins Wasser. Jedes Jahr stehen sie hier. Bei jedem Wetter. Im vergangenen Jahr regnete es zu Beginn der Krebssaison heftig. Doch um ihre ausgelegten Netze nicht alleine zu lassen, schliefen sie in der Nacht in einem abgestellten Bauwagen in der Nähe. Durch das undichte Dach tropfte es herein, aber das machte nichts. Als sie am nächsten Morgen mit der Sonne aufstanden, war ihre Beute dennoch weg - geklaut.

Ein Eimer Krebse pro Tag

Heute haben sich bis zum Mittag nur vier Krebse in die Netze verirrt. "Normalerweise fangen wir einen Eimer pro Tag", sagt Richard. Einen besonderen Erfolg feierte er in der vergangenen Saison. "Ich hatte bei einem Wettbewerb einen riesigen Krebs aus dem Wasser gezogen, mehr als 30 Zentimeter lang." Sein kleiner, quirliger Cousin nickt heftig und zeigt mit beiden Handflächen eine Länge, die eher zu einem Hund passen würde. "Doch weil man für den Wettbewerb höchstens 15 Jahre alt sein durfte, gab ich das Tier meinem kleinen Bruder, der hat dafür Ruhm und Ehre geerntet", sagt er und lacht.

Richard fischt auf dem Vättern, seit er acht Jahre alt ist. Würde er das am liebsten für immer machen? Er überlegt einen Moment. "Fischer werden", sagt er schließlich, "ja, das könnte ich mir vorstellen". Und wie schmecken sie nun, diese Schalentiere? "Weiß ich nicht." Zwar mag Richard es, sie zu fangen. "Aber essen möchte ich sie nicht."

Einige Kilometer entfernt, hinter weiten Weizenfeldern mit roten Holzhäusern, flachen Landschaften und mitten auf dem Borenssee sitzt Bengt Samuelsson in seinem Boot. Ende fünfzig, Haare nur noch auf dem hinteren Teil des Kopfes, dafür einen kräftigen, fast preußischen Schnauzer, unter dem er hervorlächelt. Er ist Fischer, wie es Richard gern werden möchte, und Landwirt. Zwei lange Stricke mit je 50 Reusen liegen auf dem Grund des Sees, der hier etwa acht Meter tief ist. Die Reihen sind mit je einer gelben Boje markiert, auf eine steuert Bengt jetzt langsam zu.

Er schaltet den Motor aus und zieht die Reusen nun einzeln hoch. In den kleinen Käfigen krabbeln viele Seekrebse, eine olivdunkle, harte Masse. "Besonders die Kleinen können ganz schön zubeißen", sagt Bengt und greift mit der bloßen Hand hinein, um die nassen, zappelnden Schalentiere aus dem Netz zu entfernen. Ihre Scheren sind nach oben gerichtet, manche schnappen auf und zu.

Import aus den USA

Die meisten Krebse, die für Kräftskiva-Partys gefangen werden, stammen heutzutage ursprünglich gar nicht aus Schweden. "1953 starben alle einheimischen Tiere hier aus", sagt Bengt. "Der Grund war ein Virus, den eine Krebsart aus Nordamerika mitgebracht hatte. Den Trägern schadet er nicht, doch in dem gleichen Gewässer können keine anderen Krebsarten mehr leben." Also importierte er mit seinem Vater in den sechziger Jahren Seekrebse aus den USA nach Östergötland uns setzte eine Population aus. Als Nahrungsquelle dient das Seegras, das auf dem Grund wächst.

Reuse für Reuse zieht Bengt den Fang aus dem See und schüttet ihn in eine schwarze Plastiktonne. Ein schmatzendes, krabbelndes Geräusch ist zu hören. "Das sind ihre Münder", sagt er, "sie schnappen nach Luft". Unangenehm klingt das, immer stärker schwillt es an, je höher die Tonne sich füllt. Ein weiblicher Krebs legt etwa 140 Eier im Jahr. "Wir müssen hier so viel wie möglich fischen", sagt Bengt, "sonst ist zu wenig Seegras für alle Tiere da und sie werden kleiner." Jeder Krebs, der kleiner als neun Zentimeter sei, wird wieder ins Wasser entlassen. "So will es der Brauch".

Fast 500 Kronen pro Kilo bekommt Bengt von einem Stockholmer Restaurant, das sind etwa 50 Euro. Ein Preis, der auch für andere Leute interessant ist. Genauso wie die Jungen aus Vadstena hat auch Bengt mit Krebs-Wilderern zu kämpfen.

Für Anfänger nicht ganz einfach

Die Seeoberfläche glänzt und strahlt in der Abendsonne, an seine Ufer brandet Wald, von allen Seiten. Wenn er mal in den Ort muss, fährt Bengt mit dem Boot, das geht dann schneller. Jetzt steuert er auf eine Anlegestelle im Wald zu und wuchtet die schwarze Tonne auf den Steg.

Einige Zeit später serviert er mit seinem Sohn zwei große Schüsseln roter Krebse, dazwischen ein paar Dillsträucher. Die Tiere werden in einer Soße mit Dill, Honig, Bier und Salz gekocht und ohne weitere Komponenten gereicht. Allerdings gibt es zuvor, um hungrige Gäste nicht zu quälen, eine frische Waldpilz-Pastete.

Dann kann es endlich losgehen, das Knacken, Saugen und Pulen. Für Anfänger nicht ganz einfach, schnell kann ein Stück Schale beim Nachbarn landen. Das Fleisch in den Scheren ist das Beste. Weich und schmackhaft. Bald bietet der Teller ein martialisches Bild und der erste Schnaps ist fällig. Der gehört zum Festschmaus dazu wie die Servietten und Tischdecken mit Krebsmotiv - und die Trinklieder. Eine alte Regel lautet: Ein Krebs, ein Song, ein Schnaps. Diese Formel ist so einfach, dass man sie sich auch nach mehreren Krebsen merken kann.

Einige Schnäpse stehen zur Auswahl: Ein Aquavit aus Schonen, ein Stockholmer Wodka und ein Holunderschnaps sind am beliebtesten, vor allem der letztgenannte ist überraschend mild. Die Auswahl an Liedgut ist ebenfalls groß und vergleichbar mit deutscher Trinkpoesie. Bengt macht ein feierliches Gesicht, auch sein Sohn kennt jede Zeile auswendig:

Helan gar
Sjung hoppfallerallanlej
Och den som inte helan tar
Han heller inte halvan far
Helan gar!

Das heißt so viel wie: "Das ganze Glas muss weg! Und wer das ganze Glas nicht schafft, ist auch das Halbe nicht wert." Eine Aufforderung, welcher der höfliche Gast gerne nachkommt. Bei der Kräftskiva gibt es eben keine halben Sachen.

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