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Schiermonnikoog: Die Insel der Muschelsucher

Foto: TMN

Inselparadies Schiermonnikoog Schatzsuche am Strand

Viele Besucher der Insel Schiermonnikoog haben keinen Blick für Meer und Mitmenschen: Stattdessen suchen sie den 18 Kilometer langen Sandstrand nach Muscheln ab. Denn das beste Souvenir liegt hier häufig auf dem Boden - sogar ein eigenes Museum ist den Schalentieren gewidmet.

Schiermonnikoog - Auf dem oberen Deck tummeln sich bei der Überfahrt gerade ein Dutzend Passagiere. Die Hälfte davon ist mit wuchtigen Ferngläsern ausgestattet. Kaum kommt Schiermonnikoog in Sicht, springen sie auf und positionieren sich an der Reling der Fähre oder steigen sogar auf die Bänke, um noch besser zu sehen. Ihr Interesse gilt ganz den Seevögeln, die das Wattenmeer vor der kleinen niederländischen Insel bevölkern. Die Fahrt mit der "Monnik" ab Lauwersoog am Festland dauert gerade mal eine Dreiviertelstunde. Aber nicht nur die Ornithologen tauchen dabei in eine andere Welt ein.

Das Sonnenlicht lässt die Nordseewellen glitzern, es riecht nach Meer. Der Himmel ist hoch und weit. Ein paar Seeschwalben und etliche Möwen beanspruchen die Lufthoheit für sich. Und weil Ebbe ist, spazieren Dutzende von Austernfischern und Strandläufern über den schlickigen Meeresboden. Mehr als 340 verschiedene Arten leben auf Schiermonnikoog oder machen hier Halt - die Insel ist ein Paradies für Vögel. Aber auch für Menschen, von denen es in der kleinsten Gemeinde der Niederlande gerade einmal 950 gibt - mit einem Durchschnittsalter von 56 Jahren.

Beide Spezies können sich für den unglaublich breiten und 18 Kilometer lange Strand begeistern, die tollen Dünen, die auch im Sommer kühlen Wäldchen, die weiten Marschflächen. Letztere sind allerdings von Mitte April bis Mitte Juli für Menschen tabu, weil dort dann Tausende von Vögeln brüten. Allein bis zu 10.000 Silber- und Heringsmöwenpaare ziehen auf der Insel ihren Nachwuchs auf.

Enorme Vielfalt an Tieren und Pflanzen

Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier scheint auf Schiermonnikoog ungewohnt harmonisch. Und so passiert es nicht selten, dass Spaziergänger einem Hasen begegnen, der den Feldweg kreuzt, ein Fasan lärmend aus den Dünen auffliegt, ein Dutzend Gänse auf den Weiden landet, auf denen seelenruhig Kühe grasen. Und über den Dünen tanzen zwei Libellen, man weiß nicht, ob zusammen oder solo. Der Nationalpark Schiermonnikoog hat die größte Biodiversität aller niederländischen Schutzgebiete. Nur Füchse gibt es hier nicht - was die Vögel durchaus zu schätzen wissen.

Auch die Pflanzenvielfalt ist eindrucksvoll: Rund 600 Arten wachsen hier - mehr als ein Drittel aller, die in den Niederlanden überhaupt vorkommen, darunter acht Orchideenarten. Schafgarbe blüht an vielen Stellen, kaum, dass man das Dorf verlassen hat, die hellroten Beeren des Sanddorns sind ebenfalls inseltypisch. Strandflieder zeigt seine lila Blüten. Der Geruch des Strandbeifußes ist so intensiv, dass ihn viele Insulaner in den Schrank legen, um die Motten zu vertreiben. Und mehr als 500 wilde Apfelbäume wachsen hier inzwischen - wahrscheinlich dank der Urlauber, die Apfelreste weggeworfen haben.

Die kleine Insel lässt sich prima mit dem Fahrrad erkunden - Autos sind den Insulanern vorbehalten. Aber den Wagen vermisst auch niemand. Im lauschigen Inseldorf mit seinen kleinen hübschen Häusern aus früheren Jahrhunderten, als die Menschen hier oft als Seeleute zu Geld kamen, radelt man in fünf Minuten vom einen Ende zum anderen. Mit dem Rad kommt man auch sonst überall hin und fährt dabei auch noch durch eine ausgesprochen abwechslungsreiche Landschaft mit Wäldern und Dünen.

Schatzsuche im Sand

Wer am Strand liegt, braucht meist nicht zu lange warten, bis die ersten Muschelsucher auftauchen. Was gleich ins Auge fällt: Sie haben immer eine Plastiktüte bei sich, bewegen sich wie in Zeitlupe und lassen den Boden nicht aus den Augen.

Ein Vertreter der besonders gründlichen Sorte trägt Halbschuhe und eine weiße Basecap zum Schutz vor der Sonne. Ab und zu bückt er sich, hebt eine Muschel hoch, wirft die meisten wieder weg und begutachtet die anderen umso genauer. Und als wäre es einstudiert, macht eine Frau nur ein paar Meter weiter fast synchron die gleichen Bewegungen. Die bröseligen Reste eines Krabbenpanzers liegen da auf dem Boden, die Reste eines Tintenfischs und viele Herzmuscheln in ungewöhnlichen Farben von Graublau bis Gelborange.

Dieser Sammeltrieb ist Thijs de Boer mehr als vertraut - nur, dass er nicht erst an den Strand geht, wenn dort Hunderte von Urlaubern liegen und die besten Funde schon weg sind, sondern früh am Morgen. "Gesammelt habe ich schon in der Grundschule, Seesterne, Krebse und Muscheln", erzählt er. "So hat es angefangen und nie wieder aufgehört." De Boer war eine Zeitlang Lehrer in der Karibik und später bei einer Großbank in Friesland angestellt. Heute arbeitet er für das Besucherzentrum der Insel und macht unter anderem Naturführungen. Es gibt wenig, was er über die Insel nicht weiß - über Muscheln weiß er alles.

Und er gibt sein Wissen gerne weiter, in seinem Muschelmuseum im Inseldorf zum Beispiel, das ganzjährig geöffnet ist. "Außer, wenn wir im Urlaub sind", sagt de Boer. Er und seine Frau Annelies reisen leidenschaftlich gern. "Aber nur in Länder mit Strand." Schließlich ist der Urlaub die beste Zeit zum Muschelsammeln. In Japan war er schon, in Argentinien, Venezuela, Costa Rica, Südafrika, auf Mauritius und an etlichen anderen Zielen.

Vorsicht vor den Austern!

Seine Funde sind in seinem "Schelpen-Museum" zu sehen, genauer gesagt, ein kleiner Teil davon - immerhin 1500 verschiedene Arten, darunter 140 von der Insel selbst. De Boer fährt mit seinem Fahrrad samt Korb regelmäßig über den Strand. Tausende von Muscheln hat er gefunden, unzählige Wellhornschnecken. "Drei- bis viermal im Jahr finde ich eine Flaschenpost. Einmal habe ich gedacht 'Die Handschrift kenne ich doch'. Und tatsächlich: Vom gleichen Absender hatte ich schon eine."

De Boer liebt das Wattenmeer. Und es ist ein Vergnügen, ihn auf eine Wattwanderung zu begleiten. Gummistiefel kann man sich im Besucherzentrum leihen. Barfuß zu laufen, sei ein Risiko, warnt Thijs: "Es gibt im Watt seit ein paar Jahren Japanische Austern." Deren Schalen sind so scharf, dass man sich leicht den Fuß daran aufschneiden kann. "Wir hatten schon fünf Zentimeter tiefe Wunden."

Im Schlickwatt kurz hinter der Küste geht es nur langsam voran, weil man sofort mindestens knöcheltief im Matsch versinkt. Um Fuß samt Gummistiefel wieder rauszuziehen, ist manchmal eine kleine Kraftanstrengung nötig. Und dann zahlt es sich aus, wenn man die richtige Größe getroffen hat - sonst bleibt der Stiefel stecken, und der Fuß rutscht raus.

Aber schon wenig später knirscht es geradezu unter den Sohlen, als de Boer über lauter Muschelschalen vorangeht, die unter der Stiefelsohle zersplittern. Beim Aufbruch am späten Morgen war es noch kühl und sogar etwas neblig. Aber jetzt klart es auf, die Sonne kommt heraus. Und die weiten Wattflächen glitzern. Eine dicke Silbermöwe hockt auf dem Boden, guckt aufs Meer, nimmt Anlauf und fliegt dann in Richtung Dünen davon.

Käferschnecke, Strandkrabbe, Sandklaffmuschel

De Boer hat eine Strandkrabbe - acht Beine, zwei Scheren - entdeckt und tippt sie mit dem Finger an, aber das macht ihr Angst, und schnell buddelt sie sich ein. Mit der Grabegabel legt Thijs nun eine Sandklaffmuschel frei. "Es gibt sie erst seit etwa 1200 hier in Europa, vorher kam sie nur in Grönland und Kanada vor." Auch eine Käferschnecke hat Thijs gefunden: "Die sind so alt wie Kellerasseln - 400 Millionen Jahre." Und als er wenig später mit dem Kescher durchs Wasser zieht, zappeln darin ein paar Garnelen. Miesmuscheln hat er auch erwischt. Man könnte stundenlang mit de Boer durchs Watt marschieren - das geht aber schon wegen der Flut leider nicht.

Eine ganz andere Stimmung lässt sich abends am Strand erleben, wenn die große Mehrzahl der Badegäste längst in ihren Hotelzimmern und Ferienwohnungen ist. Die Rettungsschwimmer, die tagsüber mit ihrem Wasserscooter über die Wellen gleiten oder von ihrem Stelzenhaus aus die Badenden im Blick behalten, haben längst Feierabend. Am Wasser ist es dann deutlich ruhiger - und es fällt noch mehr auf, wie gigantisch breit der Strand ist.

Das Meer rauscht noch kräftig, vielleicht hört man die Brandung abends sogar deutlicher, das Licht ist weicher. Ein einsamer Radfahrer ist am Strand unterwegs. Bei Ebbe läuft man dann entspannt über den weichen Boden bis zum ersten Priel. Möwen trippeln über den Boden.

Offensichtlich war hier ein Muschelsucher unterwegs. Seine Fundstücke hat er einfach liegen lassen, einen ganzen kleinen Berg davon. Muscheln gibt es in Schiermonnikoog einfach im Überfluss - und manchmal macht das Sammeln so viel Spaß, dass es gar nicht wichtig ist, sie mit nach Hause zu nehmen. Auch wenn Thijs de Boer das sicher anders sehen würde.

Andreas Heimann/dpa/sto
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