
Schottland neu entdecken Kommt auf unsere Insel


SPIEGEL: Frau Webster, beim Trend "Island Bagging", übersetzt Insel-Erbeuten, geht es darum, auf möglichst viele der 706 Inseln Großbritanniens einen Fuß zu setzen. Die Natur wird zur sportlichen Showbühne. Ihr Buch heißt "Scottish Island Bagging" - aber Sie haben einen anderen Ansatz.
Helen Webster: Wir versuchen, mit unserem Buch den Begriff neu zu besetzen. Wir wollen unsere Leser zwar ermutigen, so viele verschiedene schottische Inseln wie möglich zu entdecken. Aber ohne Hast. Für uns bedeutet "Bagging" die Inseln richtig kennenzulernen - auf Berge zu klettern, Otter zu beobachten, lokales Essen zu genießen. Das ist eine Lebensaufgabe und keine To-do-Liste, die man schnell mal abarbeitet.
Helen Webster, 49, kommt aus Devon im Südwesten Englands und lebt seit 16 Jahren in Schottland. Seit 2006 betreibt sie mit ihrem Ehemann Paul das Portal "Walk Highlands". Den Ausschlag dafür gab eine Rucksackwanderung 2003 durch Europa. Circa 6000 Kilometer lief das Paar zu Fuß von der spanischen Westküste bis zur griechischen Insel Kreta. Im Oktober veröffentlichte das Paar das Buch "Scottish Island Bagging", einen Wanderguide zu 154 schottischen Inseln.Webseite Walk Highlands
SPIEGEL: Was fasziniert Sie so an diesen Inseln?
Webster: Wenn man den Ozean zwischen sich und den Alltag legt, kann man besser abschalten. Als ich die ersten ein, zwei schottischen Inseln gesehen hatte, wurde ich süchtig. Jede ist einzigartig. Genauso wie auf dem Festland kannst du dich dort überall in der Natur frei bewegen - das nennt sich in Schottland "right to roam". In England oder Wales gibt es dagegen mehr ausgeschriebene Wanderwege, auf denen man laufen sollte.
SPIEGEL: Wie erreicht man sie am besten?
Webster: Auf 99 der im Buch beschriebenen Inseln gelangt man relativ einfach mit der Fähre. Die Überfahrten dauern im Schnitt ein bis zwei Stunden. Die circa 160 Kilometer vom Festland entfernten Shetlandinseln dagegen erreicht man nur per Übernachtfähre - im Sommer kann man bei der Überfahrt sogar Delfine und Wale beobachten. Andere Mini-Inseln sind wiederum nur zu Fuß bei Ebbe zu erreichen.
SPIEGEL: Welche davon hat Sie am meisten beeindruckt?
Webster: Die sonnige Insel Erraid in der Nähe der Insel Mull. Es ist spannend, zu beobachten, wie sich das Meer langsam zurückzieht und einen Fußpfad zur Insel freigibt. Dort ist eigentlich nur Platz für eine Leuchtturmstation, Schafe, Gemüsegärten und ein paar Cottages. Das Eiland ist auch bekannt als einer der Schauplätze des Romans "Entführt" des schottischen Schriftstellers Robert Louis Stevenson.
SPIEGEL: Der Winter kommt. Machen jetzt alle Unterkünfte dicht?
Webster: Nein, die Inseln sind auch in der kälteren Jahreszeit fantastisch. Sie können bei Ceilidhs mitfeiern - traditionellen lokalen Festen -, es gibt Literatur- und Musikfestivals, auf Skye im Februar sogar ein Winterfestival für Kletterer. Man sollte im Winter nur ein wenig voraus planen, da die Fähren nicht so oft fahren.
SPIEGEL: Wollen die Einheimischen nicht wenigstens im Winter ihre Ruhe vor Touristen?
Webster: Überhaupt nicht. Die Leute sind unglaublich freundlich und freuen sich über jeden, der kommt. Auf Foula, der am weitesten westlich gelegenen Shetlandinsel mit nur zwölf Einwohnern, haben wir einen zwölfjährigen Jungen kennengelernt, der gerne Familien aus dem Ausland die Insel zeigt und Aktivitäten mit Kindern plant. Wie viele Leute er dabei schon getroffen hat, ist erstaunlich.
SPIEGEL: Ihr schönstes Wintererlebnis auf einer der Inseln?
Webster: Das Feuerfest "Up Helly Aa" auf der Hauptinsel der Shetlands im Januar. Es soll an die Zeit erinnern, als Shetland noch eine Hochburg der Wikinger war. Über 40 Stunden lang wird gesungen und getanzt, ein nachgebautes Wikingerschiff geht am Ende des Tages in Flammen auf. Natürlich wird auch viel Whisky konsumiert. Danach schläft die Insel für mindestens zwei Tage.
"Die Äußeren Hebriden. Blitzweißer Sand, und im Frühling leuchten eine bunte Blüten dahinter. An den Stränden kannst du kilometerweit entlanglaufen, ohne eine Menschenseele treffen. Aber Vorsicht: Es sieht zwar tropisch aus, aber sobald man seinen Fuß ins Wasser streckt, realisiert man, wie eiskalt das Wasser ist. Meine Lieblingsinsel darunter ist Harris."
"Skye. Eine unglaublich facettenreiche Landschaft mit vielen Bergen zum Klettern und schönen Küstenabschnitten zum Klippenspringen im Neoprenanzug. Und natürlich Arran. Eine Insel im Westen Schottlands mit einer lebhaften Pub- und Cafészene und vielen Outdoorangeboten. Die Insel eignet sich auch für einen Tagesausflug: Von Glasgow fährt ein Zug in circa 40 Minuten direkt zum Fährenterminal in Ardrossan, von dort geht es mit der Fähre in 55 Minuten nach Brodick."
"Ich hab mein Herz an Colonsay verloren. Es gibt auf der circa 40 Quadratkilometer großen Insel der Inneren Hebriden erstaunlich schöne Strände, eine historische Kirche mit keltischen Artefakten, eine Gin- und Bierbrauerei und seit 2014 ein Reservat für die Dunkle Europäische Biene, die vom Aussterben bedroht ist. Du kannst die Imker dort kennenlernen, den Honig kosten oder einen Imker-Workshop besuchen."
"Eigentlich sind alle geeignet. Mein Favorit ist allerdings die unberührte Insel Jura nordöstlich der größeren Insel Islay, die auch bekannt für ihren Whisky ist. Es gibt wenige Besucher und Einwohner, dafür umso mehr Otter. Und viel Rotwild und Seeadler. Wer Wale beobachten will, sollte im Sommer auf Skye oder die Insel Mull. Schwertwale kann man auf den Shetlands oder dem Orkney-Archipel gut beobachten."
SPIEGEL: Viele Inseln haben ein empfindliches Ökosystem. Sollte man für noch mehr Besucher werben?
Webster: Natürlich muss man mit der Natur achtsam umgehen. Abgesehen von Arran oder Skye sind die meisten Inseln jedoch nie wirklich überlaufen, das Wetter und die aufwendige Anfahrt schreckt viele ab. Es ist aber wichtig, den Leuten die Flora und Fauna zu zeigen und ein Bewusstsein für die Fragilität des Ökosystems zu schaffen. Erst dann sind die Menschen auch bereit, für ihren Erhalt zu kämpfen. "Kommt auf unsere Insel", sagen zum Beispiel die Eigentümer der Insel Eigg auf den Inneren Hebriden, eine Gemeinschaft, die überwiegend aus Farmern und Fischern besteht. "Wenn ihr die Insel aus unserer Perspektive kennenlernt, können wir sie besser für die Zukunft bewahren." Man kann auf der Insel auch als Freiwilliger bei Projekten mit anpacken, zum Beispiel die Strände von Müll säubern.
SPIEGEL: Eigg hat also private Eigentümer - kann denn jeder in Schottland Inseln kaufen?
Webster: Ja, allerdings sind die Käufer meistens Gemeinden. Die schottische Regierung unterstützt dies seit etwa zehn Jahren. Voraussetzung ist, dass die Käufer ein Interesse daran haben, den Ort nachhaltig zu bewirtschaften und Einkommen für die Einheimischen zu generieren. Junge Familien zieht es mehr und mehr wieder zurück auf die Inseln. Es gibt auch Initiativen, die dafür werben, die Leute dort zu halten, und die Förderung wirkt. Die Einwohnerzahlen gehen beständig nach oben.
SPIEGEL: Was war Ihr schönster Moment auf einer der Inseln?
Webster: Wir zelten gerne. Das ist für uns ein schönes Mikroabenteuer. Auf der Insel Muck (Innere Hebriden) haben wir einmal in einer mongolischen Jurte übernachtet. Mitten auf einem Feld und umgeben von Schafen, mit Blick auf den Strand und die Berge der Nachbarinsel. Zum Sonnenuntergang sprangen Delfine aus dem Wasser. Das war magisch!
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01.03.2021 18.33 Uhr
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Insel Barra im Süden der Äußeren Hebriden: Helen und Paul Webster haben einen Wanderführer über schottische Inseln geschrieben.
Kisimul Castle auf Barra: Die Websters wollen mit ihrem Guide "Scottish Island Bagging" anregen, die Inseln ohne Hast und Ehrgeiz zu entdecken.
Weißer Strand: Jede der schottischen Inseln ist einzigartig, sagt Helen Webster. Nach den ersten Besuchen sei sie süchtig geworden.
Fähre: Auf viele der schottischen Inseln gelangt man per Schiff, die Überfahrten dauern im Schnitt ein bis zwei Stunden.
Insel Colonsay: "Es gibt auf der circa 40 Quadratkilometer großen Insel der Inneren Hebriden erstaunlich schöne Strände, eine historische Kirche mit keltischen Artefakten, eine Gin- und Bierbrauerei und seit 2014 ein Reservat für die Dunkle Europäische Biene."
Hafen von Scalasaig: "Ich hab mein Herz an Colonsay verloren", sagt Webster und empfiehlt die winzige Insel als Ziel mit wenig Besuchern.
Eigg: Die Insel gehört einer Gemeinschaft aus überwiegend Fischern und Bauern, die sich über Besucher freuen.
"Singender Sand" von Eigg: "Man kann auf der Insel auch als Freiwilliger bei Projekten mit anpacken, zum Beispiel die Strände von Müll säubern", sagt Webster.
Foula: Auf der am weitesten westlich gelegenen Shetlandinsel leben nur zwölf Einwohner - einer davon ist ein Junge, der Besuchern gerne seine Insel zeigt.
Rousay: Die Insel gehört zu den nördlichen Orkney. Der höchste Berg ist immerhin 250 Meter hoch, in den Natur- und Vogelschutzgebieten gibt es viele seltene Vögel.
Broch von Midhowe: Der recht gut erhaltene Turmbau auf Rousay stammt noch aus der Eisenzeit, aus der Jungsteinzeit wurden zahlreiche Megalithgräber entdeckt.
Skye: Webster ist ein Fan der größten Insel der Inneren Hebriden. "Eine unglaublich facettenreiche Landschaft mit vielen Bergen zum Klettern und schönen Küstenabschnitten zum Klippenspringen", sagt sie, besonders auch für junge Abenteurer geeignet.
Harris: Weiße, menschenleere Strände und leuchtende Blüten im Frühling machen die Insel der Äußeren Hebriden laut Webster zu einem Ziel für Strandfans.
Blick auf die Insel Erraid vor Mull: Die Gezeiteninsel ist bei Ebbe zu Fuß zu erreichen. Sie spielt eine Rolle in dem Roman "Entführt" von Robert Louis Stevenson.
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