
Urlaub im Allerwelts-Auto: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt
Wild campen in Schweden Ein Kofferraum am See
Kurz bevor ich einschlafe, blicke ich durchs Glasdach - und direkt in den Sternenhimmel. Durch das halb geöffnete Fenster dringt das sanfte Rauschen des Meeres, die Luft ist angenehm kühl, und das entfernte Quaken der Enten erinnert mich daran, wo ich bin. Oder daran, wo ich nicht bin. Kein künstliches Licht, keine Sirenen, keine grölenden Großstädter. Ich liege, weit weg von der Heimat Hamburg, sehr bequem in einem Auto irgendwo in Südschweden.
Der letzte, glückselige Gedanke vor dem Schlaf: Wohin wird es mich wohl morgen verschlagen? Das Gute: Ich weiß es nicht. Und das noch Bessere: Es wird ganz sicher wunderschön!
Jedes Jahr, wenn sich der Sommer ankündigte, habe ich mir eine Reise im Wohnmobil gewünscht. Umgesetzt habe ich sie aber noch nie. Das Problem an einem Wohnmobilurlaub ist schnell erfasst. Eines kaufen? Viel zu teuer. Mieten? Auch nicht gerade billig. Aber dieses Jahr weiß ich: Ich will Abenteuer, Natur, Unabhängigkeit. Die Lösung: ein Experiment.
Meine Freundin und ich leihen uns das Auto meines Vaters, einen Renault Scénic, Baujahr 2004, mit ausbaubarer Rückbank. Wir setzen uns zum Ziel, aus diesem Kompakt-Van das perfekte Minimal-Wohnmobil zu machen - und möglichst kein Geld auszugeben.
Mit einer Ladefläche von knapp 1,90 Meter Länge bietet uns der Wagen genug Platz zum Liegen. Auf einer Schaumstoffmatratze (1,40 mal zwei Meter), die man etwas biegen muss, bis sie passt. Das Bett ist fertig, der Rest ist Formsache. Kühlbox, Klapptisch, Campingstühle - alles vorhanden. Dazu kommt noch ein Campingkocher und - für Reparaturen aller Art - eine Rolle Panzertape, ein reißfestes Klebeband (Gold wert!). Macht zusätzliche Materialkosten von 22,40 Euro, jetzt ist unser Campingmobil einsatzbereit.
Die goldene Regel: Sei unauffällig und störe niemanden!
Unser Ziel ist Schweden, denn hier gilt das "Allemannsrät", zu Deutsch: Jedermannsrecht. Dieses Gewohnheitsrecht ist wichtiger Bestandteil der schwedischen Kultur und erlaubt es uns, fast überall unser Nachtlager aufzuschlagen. Kurz gesagt heißt es: Wir dürfen überall nächtigen, wo es nicht explizit verboten ist oder andere gestört werden.
Übernachten auf einem Parkplatz? Auf jeden Fall, denn ein schwedischer Parkplatz am See ist oft idyllischer als ein deutscher Seeplatz im Park. Wir werden in dieser Woche an atemberaubenden Orten campieren und müssen dafür keine Miete zahlen. Die Natur ist unser Zuhause und ebenso verhalten wir uns. Beim Jedermannsrecht gilt: nicht stören und nichts zerstören.
Keine Route, kein Internet und kaum Vorwissen - das ist unsere Strategie. Das Einzige, was wir haben, ist eine Karten-App, um die Orientierung nicht zu verlieren. "Ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt", singt meine Freundin und drückt aufs Gaspedal.
Wir befinden uns in Småland, der Heimat von Pippi-Langstrumpf-Erfinderin Astrid Lindgren. Die Sonne lacht, und der warme Fahrtwind haucht zur lauten Musik durchs Auto. Landschaften in magischem Licht, weiß-rote Holzhäuser und immer wieder freundliche Gesichter, die ein fröhliches "Hej Hej" rufen. Es ist, als wären wir in eines der Bücher unserer Kindheit gehüpft.
Eiskaltes Wasser an den idyllischsten Plätzen
Zur Feuerprobe wird die morgendliche Waschzeremonie, obwohl die Temperatur des Waschwassers so gar nichts mit Feuer zu tun hat. Wacher gehts nicht! Nach dem Frühstück an einem namenlosen See folgt das nächste Kapitel unseres Urlaubsabenteuers. Wir fahren zwischen 100 und 150 Kilometer pro Tag, suchen uns ein kleines Dorf zur Mittagspause und starten von dort die Schlafplatz-Suche. Erst werden mithilfe der Karten-App potenzielle Stellplätze direkt am Wasser ausfindig gemacht, dann fahren wir los.
Mal finden wir uns in den Tiefen eines Waldes wieder, mal schaukeln wir über wilde Schlaglochpisten, mal endet die Fahrt in einer nicht ausgeschilderten Sackgasse ohne Wendemöglichkeit. Mit einem klassischen Wohnmobil wären wir aufgeschmissen gewesen, mit unserem Normalo-Pkw aber geht es immer irgendwie weiter.
Wir schlafen an Orten, an die wir es mit einem größeren Fahrzeug nie geschafft hätten. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich überhaupt noch mit einem klassischen Wohnmobil Urlaub machen will. Die Urlaubsqualität bemisst sich nicht in Quadratmetern, sondern an der Umgebung. Nie würde ich einen unserer Lagerplätze gegen eine abgegrenzte Fläche auf einem Campingplatz eintauschen.
Getankt wird vor allem: positive Energie
Der Umbau des Autos zum Schlafzimmer wird schnell Routine. Er dauert kaum fünf Minuten: Fahrer- und Beifahrersitz umklappen, Gepäck nach vorn, Tisch und Stühle nach draußen - und das Lager ist perfekt. Oft ist es dann schon später Nachmittag, doch weil es erst gegen Mitternacht richtig dunkel wird, bleibt genug Zeit für eine Wanderung durch den Wald, ein Bad im See oder einfach nur, um in der Sonne zu liegen und die Seele baumeln zu lassen. Viel Sprit tanken wir in diesem Urlaub zum Glück nicht, umso mehr aber positive Energie, die uns dieses Land schenkt.
Derart vollgetankt stehe ich auf der Fähre von Trelleborg nach Rostock und blicke zurück. Während die schwedische Küste immer kleiner wird, denke ich an die vergangenen Tage. Was als Experiment begann, könnte eine Dauerlösung werden - und Schweden sowieso.