
Schwimmwanderung: Zug für Zug über den See
Schwimmwanderung in Slowenien Finde den Flow
200 Meter vom Seeufer entfernt geht mir die Puste aus. Das Wasser ist kalt, die Muskeln sind schlaff, die Arme schwer. "Come on, Philipp", ruft John Lester von seinem Kajak, "es sind nur noch hundert Züge!" Ich japse nach Luft und pruste: "Ich zähle mit!" Dann ist mein Kopf schon wieder unter Wasser.
Wie kam ich nur auf die Idee, die größten slowenischen Seen durchschwimmen zu wollen? Bei meiner Anmeldung zu dieser Schwimmwanderung dachte ich, ein wenig sommerliches Planschen im See könnte eine feine Sache werden. Doch das, was wir hier gerade machen, ist Ausdauersport: Täglich schwimmen wir drei bis vier Kilometer weit.
Guide John, der mit seinem weißen Seebärbart und dem Kopftuch ein wenig wie Hulk Hogan aussieht, hat mich an der Ehre gepackt. Ich versuche, so kraftvoll und geschmeidig wie möglich durch das moosgrüne Wasser zu gleiten. Und plötzlich wird es klarer; ich kann die Kiesel am Seegrund erkennen, Äste, Schlingpflanzen. Noch zwei, drei Züge, dann endlich fester Boden unter meinen Füßen - geschafft.
"98! Ich habe gezählt! Glaub mir!" 98 Züge, John hat gut geschätzt - er jubiliert. Und ich? Mir ist schwindlig, ich krabble auf allen Vieren ans steinige Ufer. Aufrecht gehen ist gar nicht so leicht nach der langen Zeit in der Waagerechten. Dann setze ich mich ins Gras, hole tief Luft und blicke zurück. Auf den spiegelglatten See von Bled, der sich zwei Kilometer weit vor mir erstreckt: rechts die Burg, die hoch über dem Ufer thront, hinten links die Insel mit der Marienkirche - dazwischen unsere Schwimmstrecke. Noch nie bin ich so weit am Stück geschwommen. Ich bin stolz.
Bei Muskelkrämpfen bitte wild winken
Am Tag zuvor hatten wir alle noch Bammel. Wir, das sind Louise Chung, eine junge Bankerin aus London. Außerdem Caroline Brennan aus Irland und Jonathan Pugsley, ebenfalls Brite, die vor ein paar Jahren das Schwimmen in Seen für sich entdeckt haben und im Gegensatz zu mir schon meisterlich kraulen. Dennoch sind wir alle Anfänger, die das offene Meer mit seinem Wellengang noch scheuen.
Es ist kein Zufall, dass ich von Engländern umgeben bin. Zum einen ist der Veranstalter ein Brite. Zum anderen hat das Langstreckenschwimmen in Großbritannien Tradition: Matthew Webb aus Shropshire schwamm 1875 als Erster durch den Ärmelkanal. Und schon 1810 hatte der Dichter Lord Byron schwimmend die Dardanellen durchquert und sein Erlebnis in Gedichtform festgehalten.
Als es der Londoner Simon Murie vor zehn Jahren dem Lord gleichtat und durch die türkische Meeresenge schwamm, musste er zuvor mehrere Tage bei den Behörden für eine Genehmigung kämpfen. "Da war mir klar" sagt Murie, "dass man es in einer Gruppe leichter haben würde." Er gründete SwimTrek , mit Sitz in Brighton. Im Programm: Schwimmwanderungen in europäischen Seen und im Mittelmeer, aber auch auf den Malediven oder dem Galapagos-Archipel.
Am Abend bevor die Schwimmwanderung im Bleder See startet, bekommen wir ein Sicherheitsbriefing. Wir lernen, dass unser Zeigefinger, senkrecht von oben auf unseren Kopf gerichtet, ein "Okay" signalisiert. Wildes Winken hingegen, dass man Hilfe braucht. Angebracht zum Beispiel bei Muskelkrämpfen oder Problemen mit der Schwimmbrille.
In der Broschüre, die wir erhalten, lautet der erste Punkt unter den Sicherheitstipps "Schwäne": "Zu Schwänen mit Jungen immer einen Abstand von mindestens sieben Metern einhalten." (Caroline muss laut lachen: "Ist das euer Ernst? Wir sollen bald vier Kilometer schwimmen und alles, worüber wir uns Gedanken machen müssen, sollen wütende Mutterschwäne sein?")
Bei Schilf, das knapp unter die Wasseroberfläche reicht: Brustschwimmen, nicht kraulen. Wehre meiden. Tee trinken und nach längerem Schwimmen Mütze auf den Kopf und schnell aufwärmen. Die letzten Hinweise erscheinen uns überflüssig. Denn das Wetter ist großartig: keine Wolke am Himmel, abends noch immer 25 Grad Celsius, genauso viel wie die Wassertemperatur des Bleder Sees - es ist Hochsommer in den Julischen Alpen.
Der Flow
Am nächsten Morgen starten wir mit einer Schwimmtour im smaragdgrünen See von Bled - zum Eingewöhnen und als Test: Unsere Guides wollen sehen, wie es um unsere Schwimmfähigkeiten bestellt ist. Unsere Guides, das ist neben John auch Kelly Gentry aus Kalifornien, Typ blondes Surfer-Girl. Sie schwimmt, seitdem sie vier ist, und hat vor Kurzem den 27 Kilometer langen Apache Lake in durchquert. John stammt von der rauen Küste Northumberlands in Nordengland, im März kraulte er noch durch die aufgepeitschte Nordsee.
Nach unserer Teststrecke bin ich außer Atem. Kelly erinnert mich, immer lange und gleichmäßig auszuatmen, wenn mein Kopf unter Wasser ist. John rät mir, mich lang zu strecken und die Gleitphase auszunutzen. Das ist wichtig, denn so oft wie ich im Oma-Modus schwimme - immer mit dem Kopf über Wasser -, habe ich das schon fast vergessen. Im Gegensatz zu allen anderen in der Gruppe, ziehe ich das Brustschwimmen dem Kraulen vor: So sehe ich mehr von der tollen Umgebung und wo ich hinschwimme, außerdem schlucke ich so beim Atmen kein Wasser.
Während sich mein Kopf auf einer Sinuskurve zwischen Wasser und Luft bewegt, wird mir klar, was das wirklich Tolle am Seeschwimmen ist: Ich habe Platz. Den Raum, meine Arme auszubreiten. Ich muss nicht schneller schwimmenden Kraulern ausweichen oder Rückenschwimmer, die gemächlich ihre Bahnen ziehen, in anstrengenden Manövern überholen. Ich kann meinen eigenen Takt finden und halten. Das ist großartig. Zudem dringen keine Gerüche von Chlor oder Deos in die Nase, nur der etwas schlammige Odeur des Seewassers.
Am letzten Tag kommt die große Prüfung: Der relativ schmale See Bohinj ist der größte See Sloweniens und vier Kilometer lang. Schon zu Fuß braucht man dafür über eine Dreiviertelstunde. "Wir teilen uns den See in drei Etappen ein", erklärt Kelly, machen dazwischen jeweils 20 Minuten Pause. Wir steigen ins Wasser. Am Anfang zweifle ich noch, ob ich den See packe. Dann stellt sich ein ruhiges Gefühl ein. Jetzt ist er da, der Flow. Ich denke nicht mehr nach, sondern gleite einfach dahin. Fantastisch.
Als Louise und ich nach mehr als zwei Stunden wieder am Ufer stehen und zurückblicken, können wir es nicht glauben. Wie haben wir das geschafft? "Der Zusammenhalt in der Gruppe war es" sagt Louise. Und Kelly, die erfahrene Schwimmerin: "Sicherlich - ihr habt euch viel unterstützt. Und ihr wisst ja: Wasser verbindet. Immerhin ist es zirka tausendmal dicker als Luft."