Foto: Brusini Aurélien / hemis.fr / laif

Skagen in Nordjütland Ein Himmel, so hoch und hell wie nirgendwo

Wo Skagerrak und Kattegat aufeinanderprallen, wird das Licht trilliardenfach vom Meer zurückgeworfen. Die Stimmung faszinierte einst die Skagen-Künstler, ihre Werke und Anekdoten aus jener Zeit sind noch immer präsent.
Von Andrea Jeska

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Im Brøndums Hotel der Stadt Skagen hat man im vergangenen Jahr die Zimmer renoviert. Die blumigen Tapeten wurden ersetzt durch blau-weiß und rot-weiß gestreifte, die mehr nordische Nüchternheit ausstrahlen, ohne das dänische Gefühl von hygge zu verletzen. Die Keramikwaschbecken in den Zimmern blieben, und auch das Knarren der Stiegen in den oberen Stock wurde nicht unterbunden.

In einem der neu tapezieren Zimmer steht ein Porträtbild von Karen Blixen, jener Frau, die das Buch »Jenseits von Afrika« schrieb. Sie soll dort übernachtet haben und wurde, so will es die Hotelhistorie, von einer im Garten miauenden Katze von ihrer Nachtruhe abgehalten. Als sie sich am anderen Tag darüber beschwerte, soll Hotelinhaber Degn Brøndum das Tier kurzerhand abgeknallt haben. Blixen zog empört aus, doch sie fand kein anderes Hotel und kam zurück. Ob sie sich je wieder beschwerte, ist nicht überliefert.

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Skagen: Dänemarks leuchtende Spitze

Foto: Antje Blinda

Über den Himmel, der das Brøndums Hotel, Skagen und jene zwei Meere überspannt, die am Strand von Grenen zusammentreffen, sagt man, er sei höher und heller als andere Himmel, eine strahlende Wölbung über der leuchtenden See. Das ist eine Aussage, die zwar keinem wissenschaftlichen Faktencheck standhalten würde, und doch ist sie wahr: in der Kunst und im Auge des Betrachters.

Das Licht verhalf erst Peder Severin Krøyer dazu, Dänemarks berühmtester Maler zu werden. Und es machte aus dem abgelegenen und infrastrukturell unerschlossenen Fischerdorf Skagen ein ziemlich schickes Touristenstädtchen. Schließlich zog es auch die Blixen an, dieses Licht fällt ungehindert hinab und wird trilliardenfach oder wohl auch mehr vom Sand der Dünen und Strände, vom Wasser des Skagerraks und Kattegats zurückgeworfen.

Es flimmert in der Weite der nahezu baumlosen Landschaft, es gleißt den Schaum der Wellen, es färbt die Wolken in Pastelltönen. Die einzige Konkurrenz, der es je begegnet, sind die Lichter der Leuchttürme und die aus den Fenstern der gelben Häuser von Skagen.

Erst berühmt durch »Maler des Lichts«

Nicht faktenbasiert ist auch die Aussage, die Geschichte des nordjütländischen Skagens, des äußersten Zipfel Dänemarks, habe mit diesem Licht und den Malern, die es in Öl und Aquarell einfingen, begonnen.

Lange vor den Malern waren die Fischer da, erbauten niedrige Häuser mit kleinen Zimmern. Sie fischten mit Booten, deren Rumpf es ihnen erlaubte, auf dem Strand anzulanden. Sie zogen sie hinauf, ihre Netze voller Heringe, deren silbrige Schuppen ebenfalls im Skagenlicht leuchteten.

Bei Tag und bei Nacht bewachten sie die Küste, an der damals viele Schiffe verunglückten, sie retteten die Lebenden, bargen die Leichen, das Schiffsgut und die Schiffsbalken, von denen bis heute so mancher in den Skagenhäusern verbaut ist.

Und doch: In der Kunst und in der Bedeutung hat die Geschichte Skagens mit den Künstlern begonnen. Denn bevor jene, die später als »Maler des Lichts« bekannt wurden, Skagen entdeckten, gab es keine befestigten Straßen und keine Eisenbahnlinie. Wer in diese nördliche Abgelegenheit reiste, der musste über holprige Pfade oder am Strand entlang.

Schon 1859, da war an Kunst in Skagen noch nicht zu denken, unternahm der Schriftsteller Hans Christian Andersen diese T(ort)our und soll – auch das eine Anekdote aus der Brøndums-Geschichte – bei seiner Ankunft so misslaunig gewesen sein, dass er Frau Brøndum zusammenfaltete. Sie war hochschwanger, kam vor Aufregung und Stress in der Nacht darauf nieder und gebar jene Tochter Anna, die später den Künstler Michael Ancher heiratete und die wichtigste weibliche Malerin in der Runde war.

8000 Einwohner, 100.000 Urlauber

Mit so einer Historie hat man es leicht, ein bekannter Touristenort zu werden. Und zugleich schwer, sich zu lösen aus dem Korsett des Vergangenen und es nicht als Souvenirkitsch und einzige Identität zu vermarkten. Das haben auch die anderen Künstlerkolonien erfahren, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts in ganz Europa bildeten, als die Künstler und Künstlerinnen, Schriftsteller und Schriftstellerinnen ausbrachen aus der Enge der Stadt, um in der freien Natur und im Zusammenleben mit den »einfachen« Menschen neue Inspiration zu finden.

Als Armut ein Sujet, authentisch und realistisch in Mode war und man Modelle aus der echten Welt wollte, dazu wilde und raue Landschaften. In Deutschland boten das Worpswede und Ahrenshoop, in Frankreich Fontainebleau, in Italien Capri. Heute ist, Fluch der Berühmtheit, an diesen Orten perdu, was die Künstler damals suchten: Unberührtheit, Einsamkeit, ein einfaches Leben.

Auch nach Skagen, 8000 reguläre Bewohner und Bewohnerinnen, kommen jeden Sommer 100.000 Menschen, und der größte Teil der Häuser sind Ferienunterkünfte. Die einstigen Fischerhäuser mit ihren niedrigen Decken sind auf dem Immobilienmarkt inzwischen ein Vermögen wert.

Brøndums Hotel, das damals lediglich ein Gasthof war, als 1870 erst Holger Drachmann und Michael Ancher, schließlich Peder Severin Krøyer und etliche andere dänische und norwegische Maler dort logierten und das Zentrum ihrer gesellschaftlichen Vergnügungen fanden, ist heute das beste Haus am Platz, vollgepackt mit Erinnerungen und Geschichten an die damalige Zeit.

Denn ohne das Brøndums und seinen späteren Besitzer Degn hätten sich die Kunst, das Licht und das bohemienhafte Leben nicht so gut zusammengefügt. Degn Brøndum führte seinen Gästen die Fischer als Modell zu und sorgte dafür, dass es stets gutes Essen, reichlich Alkohol und Gründe zum Feiern gab. Und weil die malenden Gäste zwar feierfreudig, aber mittellos waren, ließ Brøndum sich in Kunst bezahlen, täfelte mit den Bildern schließlich den Speisesaal.

Sie malten sich und ihre Frauen – und die endlosen weißen Strände

Die Kunst der ersten Generation von Skagenmalern war impressionistisch und post-impressionistisch, bisweilen karg, bisweilen kurz vor Kitsch. Die Maler fingen die Schönheit einer Mittsommernacht, die eigenen ekstatischen Gelage im Brøndums-Speisesaal und das Leben und Sterben der Fischer ein, sie malten sich und ihre Frauen – und immer wieder die endlosen weißen Strände und den leuchtenden Himmel.

In diese Fußstapfen zu treten, gelingt heute nur schwer. Das Genre der kernigen Fischerporträts und Strandspaziergangmotive ist zu ausgelutscht, als dass es noch zu Größe taugen würde. Doch das Licht um und über Skagen zieht weiterhin Künstler an, allerdings schätzen diese mindestens genauso die Kaufkraft der Urlauber und Urlauberinnen.

Die Malerin Gitte Toft kam vor drei Jahren für eine Ausstellung nach Skagen. Als sie am Ende der Tage das Geld der Bilderverkäufe zählte, war es so viel, dass sie beschloss, ganz in die Stadt zu ziehen und fortan Wasser zu malen. Ihre Bilder vom Meer, von Wolken und Dünen gehen weg wie die berühmten warmen Semmeln. Für Toft ist Skagens Faszination mehr als nur der Effekt der Lichtspiegelungen in zwei Meeren. Sie schätzt die Ruhe, die, so sagt sie, die Landschaft den Menschen auferlegt. »Hier muss man einfach still sein.«

Peter Munk dagegen hat radikal mit der Skagen-Romantik gebrochen, nur für Geld malt er manchmal noch die tiefgelben Häuser der Stadt. In seiner eigentlichen Kunst findet man davon nichts. Munk hat sein Atelier am Hafen von Skagen in einem alten, ziemlich muffig riechenden Schuppen, den er einmal für wenig Geld anmietete – und seither nicht wieder verließ.

Im Inneren sieht es aus wie eine Mischung aus Flohmarkt, Abstellraum und Abenteuerspielplatz, an der Tür hängt ein Schild, darauf steht übersetzt: »Es ist verboten, ins Hafenbecken zu urinieren«, und Munk selbst erscheint einem wie ein Mann, der mit seiner Künstleridentität spielerisch umgeht. Wie Spiel sehen auch seine Bilder aus, sie sind monumental und bunt. »Koloristisch«, nennt er das.

Mit den Skagenmalern von einst verbindet ihn die Freundschaft zu den Fischern, die gleich vor seinem Atelier anlanden und in den Schuppen drumherum ihre Gerätschaften aufbewahren. Einer von ihnen, der Ausflugsfahrten anbietet, führt die Touristen hinterher gern ins Atelier. »Dann sagt er ihnen: Ich weiß zwar nicht, was genau dieser Mann macht, aber er verdient fantastisch.«

Wo Kattegat und Skagerrak aufeinanderprallen

Nach Skagen kann man in der Saison reisen, wenn man die Sommerfreuden genießen will und sich am Rummel nicht stört. Was die Künstler in diesem Ort sahen, findet man aber erst, wenn die 40 Kilometer lange Landzunge Skagen Odde, an deren Ende sich die Meere treffen, nahezu verwaist ist und die am Strand ruhenden Robben ungestört bleiben. Wenn selbst der so hohe Himmel von tiefen Wolken verhangen ist und das Licht nicht mehr strahlend, sondern von Melancholie durchzogen.

Information zu Skagen

Auf alle Fälle in einem Ferienhaus, entweder in den Dünen zwischen Heide und Strandhafer oder direkt in Skagen. Zu buchen etwa über https://www.toppenferienhauser.de/ 

Für alle, die der Kunst und der Historie so nahe wie möglich sein wollen: das Brøndums Hotel. 

Das Meer ist so wild, dass es den von den Nationalsozialisten geschaffenen Atlantikwall schleift. Einzelne Teile davon, die einst auf den Steilküsten standen, liegen inzwischen wie monumentales Strandgut im Wasser, weil die Natur in steter Bewegung ist, die Steilküste abbricht, die Dünen verschiebt. Sand kommt und Sand geht. Rund 100 Millionen Kubikmeter weht der Westwind im Jahr an.

Denn auch wenn das Meer und der Sand ewig sind, die Geografie ist es nicht. Zwar rechnet die Natur in Skagen in Jahrtausenden, nicht in Menschenleben, doch was sie gab, das nahm sie stets auch wieder. Und umgekehrt. Den Steilküstenabbrüchen fallen Häuser und Leuchttürme zum Opfer, dafür bringt der Wind an anderer Stelle neues Land.

Bestes Beweisstück allen Wandels ist die Düne Råbjerg Mile, fast schon eine kleine Sandwüste, die der Wind zwischen Skagerrak und Kattegat hin und her treibt, bis zu 20 Meter pro Jahr. Vielleicht war es neben dem Licht diese Vergänglichkeit, die Skagen zum Herzstück der Künstlersehnsüchte und Inspirationen machte. Denn wo lässt sich das Leben besser feiern als dort, wo es auch von seinem Ende umgeben ist?

In den 1930er-Jahren war der Einfluss Skagens auf die Kunst vorbei, dafür wurde spätestens nach dem Krieg der Tourismus neben der Fischerei zum wichtigsten Wirtschaftszweig der Stadt und ist es bis heute geblieben. Die Brøndum-Familie gibt es nicht mehr, doch Degn Brøndum vermachte seine gesammelten Bilder dem Skagens Museum  – und das war ein Glück, denn so blieb der größte Teil der Werke in der Stadt.

Anna Ancher erlangte zwar nie die künstlerische Größe der Worpswederin Paula Modersohn-Becker – dafür fehlt ihren Bildern die Tiefe, die Beckers Porträts des kargen Torfstecherlebens haben – aber sie führte ein zufriedenes Leben mit einem Mann, der sie stets unterstützte.

Die Unterdrückung in der Ehe, die zu Paula Modersohns Tragik wurde, ereilte in Skagen Marie Krøyer, die ebenfalls künstlerisch tätig war. Peder Severin Krøyer war jähzornig und zeitweise psychotisch. Er verweigerte ihr die Anerkennung so lange, bis Marie ihn und das Licht von Skagen für einen weniger berühmten Künstler, einem Komponisten, verließ.

Anmerkung zur Transparenz: Andrea Jeska ist freie Autorin des SPIEGEL. Diese Reise wurde von Visit Denmark  unterstützt.

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