Tourismus in den Alpen So funktioniert Skiurlaub ohne Schnee

Weil in den Alpen immer weniger Schnee fällt, überbieten sich Hoteliers mit neuen Giga-Attraktionen. Der Kampf um die Gäste in den Ski-Resorts nimmt absurde Züge an.
Hotel Dachsteinkönig in Gosau, Österreich

Hotel Dachsteinkönig in Gosau, Österreich

Foto: Karlheinz Fessl / PAGE SEVEN IMAGES

Wer ein Paradies für Kinder verspricht, muss als Hotelier heute einiges auffahren. Eine Kartbahn etwa oder zwei Esel, Schafe und Ziegen, die die Familien schon in der Empfangshalle begrüßen - am besten hinter Glas, um entsprechende Gerüche zu vermeiden. So wie im Hotel Dachsteinkönig im oberösterreichischen Gosau.

Das im Dezember eröffnete Haus will das "wohl spannendste und innovativste Kinderhotel Europas" sein. Wobei der Begriff Hotel vielleicht etwas untertrieben ist: Die klobige Front des Komplexes aus etwa zwei Dutzend aneinandergereihten Wohneinheiten misst fast 300 Meter. Es gibt 480 Betten, 1000 Quadratmeter Wellnessbereich und eine leicht verwirrende Anzahl verschiedener Restaurantbereiche.

Das Dachsteinkönig ist der jüngste Superlativ in einem Bergtourismus, dessen Extreme mancherorts wie Verzweiflung wirken: Was oben oft an Schnee fehlt, muss unten in den Tälern durch Hyperaktivität kompensiert werden, so wohl die Devise. In Top-Destinationen wie Ischgl und Sölden verschulden sich die Hoteliers beruhigt und munter, weil der Partyirrsinn dort scheinbar immer irgendwie weitergeht.

Anderswo aber grassiert die Angst, die Gäste und damit den Anschluss zu verlieren: Dort wandern die Jungen ab, den Hoteliers fehlen die Nachfolger, und Liftgesellschaften kommen kaum noch über die Runden.

Doch der Alpentourismus lebt vom Winter. Von Dezember bis April wird das Geld verdient, da ist die Wertschöpfung stark, da bucht der Gast die Massage dazu, da lässt er es krachen. Gut 400 Euro muss eine Familie pro Tag etwa im Dachsteinkönig rechnen.

Skifahren ist teuer, der Markt nach Schätzungen von Experten gesättigt

Skifahren ist teuer, der Markt nach Schätzungen von Experten gesättigt

Foto: Karlheinz Fessl / PAGE SEVEN IMAGES

Das Problem: Aktuell gibt es in den Alpen pro Saison 48 Millionen Skifahrer - und viel mehr werden nicht hinzukommen. Das Hobby ist teuer, der Markt nach Schätzungen von Experten gesättigt. Das Gezerre um diese 48 Millionen nimmt daher groteske Züge an.

Am Kronplatz in Südtirol hat ein Hotelier einen "Skypool" bauen lassen, der wie ein Sprungbrett auf 20 Metern Höhe aus der Hotelfassade ragt. Vielerorts werden neuerdings Gruben für vermeintliche Naturbadeteiche ausgehoben, die ständig beheizt werden müssen.

Sie sollen ähnlich ökologisch sein wie das neue "Naturhotel", das ein Investor am einsamen Ufer des Obernberger Sees plant, nicht weit vom Brennerpass. Die Gäste sollen hier in umgebauten Stahltanks wohnen, die in den Berg verbaut werden sollen. Anders als die Landesregierung konnte der Umweltanwalt des Landes Tirol ein "öffentliches Interesse" an dem Projekt nicht erkennen. Zweimal bereits legte er Beschwerde ein, jetzt liegt die Sache beim Landesverwaltungsgericht.

Der alpinen Aufrüstung jedoch tun solche Bedenken keinen Abbruch, im Gegenteil: Der Hotelkoloss in Gosau im Salzkammergut etwa erschien den Menschen dort geradezu als Rettung. Das Skigebiet läuft mehr schlecht als recht, es reicht nur bis 1650 Meter, der Ort liegt nicht mal 800 Meter hoch.

Gosau drohte, unter die Räder zu kommen. Bis für 44 Millionen Euro ein neues Hotel gebaut wurde. Man könnte den Bau auch als überdimensioniertes Therapiezentrum für Eltern am Limit sehen. Neben Attraktionen wie schwitzenden Hotelmitarbeitern, die sich in Smiley-Ganzkörperkostümen als Animationsknechte verdingen, gibt es im Dachsteinkönig eine Softeismaschine, die Tag und Nacht läuft. Im Spa-Bereich werden Schokocreme-Massagen für Kinder angeboten. Dem Nachwuchs kann man sich hier von 8 bis 21 Uhr entledigen, der Babyclub nimmt Säuglinge ab dem siebten Lebenstag.

Auch verloren geht hier niemand: In den "Clubs" sind die Kinder mit einem "Schutzengel" ausgestattet, so die Marketingchefin - einem Sicherheitspiepser, der wie bei einem Diebstahl Alarm schlägt, wenn jemand versucht, der Animation zu entkommen und die Lichtschranke am Eingang zu durchbrechen.

Gosau in Österreich: Das Geschäft läuft auch ohne Schnee

Gosau in Österreich: Das Geschäft läuft auch ohne Schnee

Foto: Karlheinz Fessl / PAGE SEVEN IMAGES

"Der Tourismus hat vielerorts die Erdung verloren", sagt Helmut Rainer. Der Rechtsanwalt engagiert sich im Innsbrucker Kreis, einer Denkfabrik, die sich für nachhaltige Regionalplanung einsetzt. Besondere Kopfschmerzen bereitet ihm Tirol. Baulich oszilliere die Fremdenverkehrsbranche dort zwischen wahnhafter Übertreibung und volkstümlicher Gefälligkeitsarchitektur. "Dazwischen ist fast nichts mehr zu erkennen."

Neue Impulse kämen anderswo her, sagt Rainer, aus Gegenden, die Durststrecken ausgestanden hätten, touristisch abgehängt waren. Aus dem Bregenzer Wald zum Beispiel: Junge Architekten entwickelten dort traditionelle Bauformen örtlicher Bauernhäuser weiter und gelten als Vorreiter einer neuen Alpenarchitektur. Derlei Weitblick und Fantasie sei in Tirol nicht in Sicht. "Bei uns geht es vor allem darum, dass die Geranien-Idylle stimmt", sagt Rainer.

Die allerdings inszeniert keine Alpenregion so erfolgreich wie Tirol. Dass der Winter sich oft in schmalen, weißen Kunstschneerinnen auf ansonsten braungrünen Berghängen erschöpft, scheint viele Gäste nicht zu stören. Tirol, und das ist das eigentliche Winterwunder, funktioniert inzwischen auch ohne viel Schnee, als Abziehbild von früher - gerade in wackligen, terrorträchtigen Zeiten wie jetzt.

"Die vergangene Wintersaison war trotz des rekordwarmen Dezembers mit fast 27 Millionen Übernachtungen die beste Saison aller Zeiten", sagt der Tourismusexperte Hubert Siller. Mehr als sieben Milliarden Euro generiert der Tourismus hier pro Jahr. Der Tiroler Erfolg gehe allerdings auf Kosten von anderen Regionen und Ländern wie der Schweiz.

"Unsere Umsatzgaranten sind die touristische Unterwürfigkeit und der Kitsch", sagt Vordenker Rainer. Nirgendwo sei das besser zu beobachten als bei den riesigen Gästeschaufeln in der Nähe der Grenze zu Deutschland - auf dem Mieminger Plateau, in Seefeld oder zwischen Kufstein und Kitzbühel. Die Hotelklötze dort seien geprägt vom "Ordinär-Barock der Achtziger- und Neunzigerjahre und der ewigen Wiederkehr des Gleichen". Überall gebe es ein Vitalbüfett, eine gratis Nachmittagsjause und riesige Wellnessanlagen.

Und häufig war der Tourismusberater Reinhard Schrott mit am Werk. Schrott, seit Jahrzehnten im Dienst der Qualität, Innovation und "Servisierung" unterwegs, will 1989 die ersten großen Wellnesshotels ins Leben gerufen haben.

Mit Zumthor in die Zukunft

Schrott ist jetzt in Wenns zugange, einem Ort im Pitztal, dem seit Jahren die Gäste abhandenkommen. Ein Investor will dort in einem kleinen Weiler ein Chaletdorf bauen. Chaletdörfer sind in Österreich stark im Kommen, die Vermietung bereitet weniger Stress als in Hotels, die Renditen scheinen fantastisch zu sein.

Schrott hat einen "Trend in Richtung individuellen Komforts" ausgemacht - was etwa bedeutet, beim Aufguss in der Privatsauna nicht die Hotelzimmernachbarn neben sich schwitzen sehen zu müssen. Für Wenns, so Schrott, seien die Chalets "ein Geschenk des Himmels".

Das sehen dort nicht alle so. Im betroffenen Weiler Bichl haben sich Bürger gegen das Projekt zusammengeschlossen. Sie glauben nicht an die versprochenen neun Vollzeitstellen, sie fürchten die spätere Umwandlung in Zweitwohnsitze, die fast das ganze Jahr leer stehen würden.

Etwa 70 Prozent Auslastung müssten solche Resorts haben, wenn sie gut laufen, sagt Schrott. Zahlen, die die Investoren präsentierten, prognostizierten allerdings nur rund 37 Prozent Auslastung. Man müsse auf den "Aha-Effekt" setzen, riet Tourismusguru Schrott bei einer Infoveranstaltung - die Schweizer Nachbarn werden schon kommen.

Pius Truffer kann derartige Prophezeiungen nicht mehr hören. Ja, die Schweiz sei nicht billig, und ja doch, Schweizer buchten inzwischen oft woanders ihren Skiurlaub. Mit dem österreichischen Massentourismus brauche sich die Schweiz gar nicht erst messen, da sei man machtlos. Dennoch: "Touristische Totenstarre kann nicht die Antwort sein."

Truffer kommt aus Vals, einer Gemeinde, die in einem Talende des Kantons Graubünden liegt, wo ein Großteil der Hotellerie inzwischen in Schwierigkeiten steckt. Vals ist so mühsam erreichbar, dass es touristisch eigentlich chancenlos war. Truffer, der dort Quarzgestein abbaut, wollte das aber nie akzeptieren.

Der drahtige, kahlköpfige Mann begann, seine Mitbürger zu beschwören - und die Menschen folgten ihm: Erst kaufte die Gemeinde aus Bankerhänden einen großen Hotelkomplex am Ortseingang zurück, dann baute man mit dem Architekten Peter Zumthor eine Therme aus grauem Valser Gneisgestein - ein Meisterwerk kühler, reduzierter Baukunst.

Therme in Vals: Ein Meisterwerk kühler, reduzierter Baukunst

Therme in Vals: Ein Meisterwerk kühler, reduzierter Baukunst

Foto: imago

Nun sollen die Menschen Truffer wieder folgen. Gemeinsam mit dem Valser Investor Remo Stoffel plant er einen 381 Meter hohen Hotelturm. 25.000 Franken (rund 23.300 Euro) soll der Aufenthalt in den oberen Stockwerken kosten. Pro Nacht. Für die Valser würden immerhin Arbeitsplätze abfallen.

Die Menschen dort scheint das Projekt nicht so zu schrecken wie die im Unterland. Was vielen allerdings missfällt, ist die Machtfülle der Investoren. Warum Truffer und Stoffel das halbe Dorf zusammenkaufen, werden sie etwa gefragt. Stoffel, der seinen Reichtum einem glücklichen Immobiliendeal rund um die Insolvenz der früheren Swissair verdankt, spricht in einem Interview in der Turm-Infobox von "Auffrischung", ohne wirklich eine Antwort zu geben.

Therme in Vals: Vorzeigebau und Quantensprung

Therme in Vals: Vorzeigebau und Quantensprung

Foto: imago

Truffer sieht in dem Luxusturm eine Möglichkeit, "dem defizitären Tourismusrummel zu entkommen". Der Steinbrecher von Vals, früher politisch ziemlich links zu verorten, setzt nun auf die Nobelklientel. "Wir sind noch zu billig", glaubt er. Truffer haben die Projekte in seinem Ort nicht geschadet. Die Therme etwa ist aus seinem Stein.

Nächtelang saß er dafür mit dem Architekten Peter Zumthor zusammen. Einmal habe dieser überlegt, wie er die Dampfbäder möglichst naturnah gestalten könne. "Wir sind dann in ein Kieswerk gefahren und haben uns da in Badehose eingegraben und einer hat von der Seite heißen Dampf reingeblasen", erzählt Truffer, "angenehm war das nicht". Zumthor habe sich dann etwas Neues überlegt.

Für die Gemeinde war der Vorzeigebau nicht billig. Vergleicht man aber die heutige Therme und das angrenzende Hotel mit dem, was da vorher war, mit den Fotos des überbelegten kleinen Pools und der muffigen Bar, dann hat Vals einen Quantensprung geschafft.

Einen Sprung, der die Geranien-Idylle weit hinter sich lässt. Vals hat gezeigt, wie Tourismus funktionieren könnte, ohne seine Seele zu verkaufen.

Nur: Die Faszination scheint flüchtig zu sein - und der Ort dazu verdammt, sich wieder neu erfinden zu müssen. Zuletzt brach die Zahl der Übernachtungsgäste empfindlich ein.

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