

Corona und die Wintersaison in den Alpen Wann geht die Skisaison los?
Die ersten Lifte waren längst angelaufen. Die Gletscher im österreichischen Tirol erlebten bereits einen enormen Ansturm an Wintersportlern. Inzwischen stehen Gondeln und Schlepper angesichts steigender Corona-Infektionen aber wieder still: Frankreich, Italien, Österreich und Deutschland haben angeordnet, dass selbst die Hochgebirgslifte, die normalerweise schon früh in die Wintersaison starten, vorerst geschlossen bleiben. Nur in der Schweiz lockt der blaue Himmel etwa über dem Matterhorn in diesen Tagen Skifahrer und Snowboarder auf die Pisten – hier hofft man auf die Wirksamkeit des Abstandhaltens.
Doch wann wollen die EU-Alpenländer die Skisaison (wieder) eröffnen? Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte möchte dies angesichts der Corona-Pandemie mindestens bis zum 10. Januar verschieben – und sorgt für Streit. »Es ist nicht möglich, einen Winterurlaub zuzulassen, wir können uns das nicht leisten«, sagte Conte im Interview mit dem Fernsehsender La7.
Vor allem Österreich protestiert vehement. Dabei hatte sich im vergangenen Winter der für seine Après-Ski-Szene bekannte Tiroler Skiort Ischgl zu einem Corona-Hotspot entwickelt. Tausende Urlauber steckten sich dort zu Beginn der Pandemie an und verbreiteten das Virus dann auf der ganzen Welt.
Italien strebt laut Conte in Abstimmung unter anderem mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron einen europäischen Fahrplan zur schrittweisen Öffnung der Skigebiete an. Einigkeit herrscht unter den Regierungschefs Medienberichten zufolge darüber, dass unkoordinierte und zu schnelle Öffnungen wie im Sommer ein Fehler wären.
Italien: Wenn ein Skiverbot, dann für ganz Europa
Während unter dem Matterhorn die Lifte kreisen, stehen sie jenseits der Schweizer Grenze in Cervinia, auf der italienischen Seite des Gletschers, seit dem 25. Oktober auf unbestimmte Zeit still. Wenigstens eine länderübergreifende Regelung forderten auch die italienischen Regionen: Wenn Skipisten geschlossen würden, sollte das für ganz Europa gelten, sagte der Präsident der Region Venetien, Luca Zaia, der Zeitung »Corriere della Sera«. Man könne das Skifahren nicht im italienischen Südtirol verbieten, es aber im österreichischen Kärnten erlauben.
Rückendeckung bekam Conte von der italienischen Bergsteigerlegende Reinhold Messner. Bis Januar mit dem Öffnen der Pisten und Betriebe zu warten, wenn es bis dahin die Ansteckungswerte erlauben, sei keine Wahl, sondern ein Muss, sagte der 76-Jährige der Zeitung »La Repubblica«.
Italiens Skigebiete erwirtschaften einen Jahresumsatz von rund elf Milliarden Euro, ein Drittel davon stammt aus den Tagen, die Italiener normalerweise zu Weihnachten und Neujahr in den Alpen und Dolomiten verbringen. In Italien sind bislang mehr als 50.000 Menschen gestorben, die positiv auf Corona getestet worden waren. Damit zählt das Land weltweit zu den am stärksten betroffenen Ländern. Viele italienische Regionen sind derzeit in einem (zweiten) Lockdown mit Einschränkungen, die mindestens bis zum 3. Dezember bestehen bleiben.
Österreich: EU sollte für Schließung Milliarden zahlen
Österreich betont seit Monaten, die Skigebiete mit entsprechenden Vorkehrungen um jeden Preis öffnen zu wollen. Das Land bangt um milliardenschwere Einnahmen und hofft, die Wintersaison durch den derzeitigen harten Lockdown zu retten. Contes Vorschlag passt Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) gar nicht: Falls aber die Skilifte tatsächlich über die Weihnachtsferien stillstehen sollen, fordert er Entschädigungen von der EU von bis zu zwei Milliarden Euro.
»Wenn die EU das wirklich will, dann muss sie dafür auch bezahlen«, teilte Blümel mit. Österreich rechne mit einem Umsatzausfall von 800 Millionen Euro für jede der drei Ferienwochen. »Wir haben in Österreich für all jene Bereiche, die wir behördlich geschlossen haben, in kürzester Zeit einen Umsatzersatz auf die Beine gestellt. Wenn Skigebiete geschlossen bleiben müssen, dann muss die EU einen Skifahr-Ausfallsersatz leisten«, forderte Blümel.
In Österreich stehen die Skilifte und Gondeln in den Gletschergebieten wie etwa in Zell am See am Kitzsteinhorn aufgrund des Lockdowns vorerst bis zum 6. Dezember still. Sobald der Betrieb wieder aufgenommen wird, gelten strenge Regeln. So muss etwa beim Anstellen bei einer Seilbahn ein Abstand von einem Meter eingehalten und in den Gondeln ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden. Après-Ski-Partys wurden bereits vor Wochen verboten.
Der Tourismus macht rund 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes aus und sorgt allein im Winter für Hunderttausende Arbeitsplätze. Pro Wintersaison werden mehr als 59 Millionen Übernachtungen verzeichnet. Auch bei einer Öffnung der Skigebiete dürften in diesem Winter viele ausländische Gäste zu Hause bleiben.
Frankreich: Öffnung wohl nicht für die Feiertage
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich gegen eine rasche Öffnung von Wintersportorten ausgesprochen. Es laufe zwar dazu noch eine Abstimmung der Regierung, doch es erscheine ihm unmöglich, eine Öffnung für die Feiertage am Jahresende ins Auge zu fassen. Das sagte der Staatschef am Dienstagabend in einer Fernsehansprache.
Eine Wiedereröffnung im Januar »unter guten Bedingungen« sei vorzuziehen. »Wir werden uns zu diesem Thema mit unseren europäischen Nachbarn abstimmen«, fügte der 42-Jährige hinzu. Frankreich hat wichtige Wintersportzentren in den Alpen und in den Pyrenäen. Zurzeit hat sich die Corona-Lage in dem Land etwas verbessert. Sämtliche Skigebiete sind seit Ende Oktober geschlossen, darunter auch die Gletschergebiete wie Tignes oder Les Deux Alpes.
Deutschland: Skifahren ja, aber mit Regulierung
In Deutschland sieht der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß, ein generelles Verbot der Skisaison kritisch. Der CDU-Politiker sagte der Deutschen Presse-Agentur: »Sicherheit geht auch im Winter vor. Aber ich bin davon überzeugt, dass Skifahren in einem gewissen Umfang und unter klaren Kriterien wie zum Beispiel einer maximal erlaubten Anzahl von täglichen Skipässen ohne Probleme möglich ist. Wir sollten Dinge möglich machen, wo man Sicherheit schaffen kann. Ein generelles Verbot halte ich für falsch.«
Neben dem nachvollziehbaren Wunsch vieler Menschen, mal herauszukommen, sei die Skisaison auch für viele Regionen Deutschlands ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium.
Die gesamte Reise-, Tourismus- und Veranstaltungsbranche sei wirtschaftlich an einer Belastungsgrenze angekommen, so Bareiß. »Weitere Lockdown-Maßnahmen und Finanzhilfen müssen Hand in Hand gehen. Es wird eine finanzielle Herausforderung, aber die Menschen können sich darauf verlassen, wir lassen niemanden im Regen stehen.« Bund und Länder wollen den Teil-Lockdown in Deutschland voraussichtlich bis kurz vor Weihnachten verlängern. Der Bund plant weitere Finanzhilfen.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) unterstützte den italienischen Vorstoß. »Wenn wir Grenzen offen halten wollen, brauchen wir auch eine klare Übereinkunft, was das Skifahren betrifft. Ansonsten wird es eine schwierige Entwicklung«, sagte er am Dienstag in München. Wer in Risikogebieten Skifahren gehe, müsse zehn Tage in Quarantäne. »Mir wäre lieber, wir würden ein einheitliches Übereinkommen auf europäischer Ebene haben: keine Skilifte offen überall beziehungsweise kein Urlaub überall.«
Schweiz: Desinfektionsnebel in Gondeln
Die Schweiz lässt die Wintersportsaison anlaufen und hofft, dass Abstandhalten, die Beschränkung von Versammlungen und das Tragen von Masken an den Liften einen Tourismus möglich machen, ohne die Pandemie anzuheizen. Gerade erlebt das Land eine zweite Welle mit 5000 Infektionen pro Tag und steigender Zahl von Todesfällen.
Einige Schweizer Ferienorte, darunter Davos im Nordwesten, rühmen sich mit »Kaltnebel«-Geräten, die die Innenräume der Gondeln sprengen und »99,9% der Viren, Bakterien und Sporen in einer Minute abtöten«. Und der Landes-Tourismusverband hat das Motto »Sauber & Sicher« ausgerufen.
Schweizer Ferienorte wissen, dass die Zahl der Gäste aus Großbritannien, den Niederlanden, Deutschland oder Skandinavien unweigerlich weit unter dem Niveau einer normalen Saison liegen wird. Zermatts Bürgermeisterin Romy Biner-Hauser sieht die Zukunft dennoch optimistisch: »Die Menschen brauchen Urlaub«, sagt sie. »Die Menschen brauchen Berge.«