

Ohne Auto zum Wintersport Entspannt auf die Piste
Eine der ersten Erkenntnisse eines Zugezogenen in München ist, dass die Stadt nicht an den Alpen liegt. Zwar sind die Berge bei Föhn-Wetterlagen in Sichtweite, aber doch Dutzende Kilometer entfernt. Als zeitraubendes Hindernis südlich der bayerischen Landeshauptstadt entpuppt sich zum Beispiel der Irschenberg, an dem sich die Ausflügler im Stau auf der A8 treffen.
Der einzige Ausweg: Zugfahren, im Sommer zum Wandern sowieso. Geht aber auch für den Skiurlaub, als vierköpfige Familie mit voller Ausrüstung. Man braucht dazu nur den Willen zu etwas Verzicht und viel Begeisterung für Lift-Panoramen und Fahrpläne. Besonders in Österreich und der Schweiz kann man sich auf die sogar einigermaßen verlassen.
Angefangen haben wir in München mit Tagestouren nach Lenggries. Also rein in den Bus vor der Haustür zur U-Bahnstation, am Hauptbahnhof mit den Skiern durch die Halle zur Bayerischen Oberlandbahn und am Zielort per Ski-Pendelbus zum Lift. Am Abend dann wieder zurück, dauert pro Weg ungefähr zwei Stunden.

Schienenklassiker: Bahnhof Wengen im Berner Oberland
Foto: Cultura RF/ Getty ImagesUm 6.30 Uhr aufzustehen reicht, zumindest von München aus. Zug-Ski-Tagestouren werden dann erholsam, wenn man nach der morgendlichen Rallye mit Sonntagszeitung und Kaffee in der Hand im Großraumabteil sitzt und auf die Berge zufährt.
Inzwischen sind wir in der fortgeschrittenen Disziplin angelangt: per Bahn mit Skikleidung am Leib und kleinem Rucksack zum Startpunkt und von dort durch die Skischaukel an den Zielort zum Übernachten. Das geht zum Beispiel von Zell am Ziller nach Krimml. Oder von Kitzbühel nach Mittersil. Es kommen immer mehr Optionen hinzu, weil sich immer mehr Skigebiete durch Verbindungsgondeln zusammenschließen.
Auf meiner unvollständigen Empfehlungsliste fürs Zug-Skifahren stehen außerdem: Wilder Kaiser, Saalfelden, Klosters, Scuol im Engadin, der Bregenzerwald. Alles wunderbar zu erreichen. St. Anton am Arlberg ist immer ein Schienenklassiker, genau wie Grindelwald oder Wengen. Südtirol, Lienz und das Gasteinertal habe ich in Planung - andere Tipps sind jederzeit willkommen.
Skibus schlägt SUV
Zug-Skifahrer wurde ich zunächst nicht aus Klimaschutzgründen. Die ersten Zugfahrten mit Skiern in der Hand habe ich von unserem damaligen Wohnort Hamburg aus unternommen, als Greta Thunberg noch nicht im ICE-Gang saß. Ich habe noch nie den CO2-Abdruck meines Skistiefels gemessen. Es kommt wahrscheinlich insgesamt für das Hobby Alpinsport nichts Gutes dabei heraus. Es hat sich eher so ergeben, als die Kinder größer wurden. Sie sind jetzt 15 und 12 Jahre alt.
Früher hatten wir auch noch ein Auto, das ist inzwischen abgeschafft. Mit dem Zug ist es billiger, wenn man rechtzeitig bucht. Für den Preis eines Autodach-Skisargs - das ist das Zubehörteil, an dem bemitleidenswerte Familienväter sonst immer mit klammen Fingern herumnesteln müssen - lässt sich einige Strecke machen. Triumphal wird es, wenn man mit dem Skibus vor dem SUV der Nachbarn auf den Parkplatz der Talstation einbiegt.

Verdiente Hüttenpause: Der Skitag hat zeitig begonnen
Foto: Roman Babakin/ Getty ImagesWichtiger als der ewige Vergleich mit dem Auto: Die Bahnanreise entschleunigt den Urlaubsstart. Kartenspiele wie Uno oder Skat kommen zu ihrem Recht. Es gibt nette Gespräche mit anderen Fahrgästen ("Wo fahrt ihr hin? Ja, geht das denn?").
Leider funktioniert das WLAN in vielen Zügen mittlerweile ziemlich gut. Daher bin ich auf Ski-Zugreisen der Einzige in der Familie, der sich für verschneite Gipfel im Zugfenster begeistern kann. Für die nahende Bergkette heben die Kinder kaum noch den Kopf ("Wir haben es doch schon gesehen").
Prinzip Feuerwehr
Zug-Skifahren entlastet gezwungenermaßen von Ballast. Ich mag diese Reduktion aufs Notwendige. Überflüssiges bleibt zu Hause oder wird erst gar nicht angeschafft, statt Haben zählt eher das Sein. Für den Mehrtagestrip heißt das: Skiausrüstung anziehen, im Rucksack Wäsche für ein paar Tage, Hose, Hemd, Turnschuhe. Keine Winterstiefel, kein iPad, keine Wurstdosen, kein Monopoly. Duschzeug gibt es in der Pension, einen Supermarkt in fast jedem Urlaubsort. Essengehen ist sowieso schöner.
Schon am Vorabend des Trips muss nach dem Prinzip Feuerwehr alles für den Einsatz bereit liegen. Ich bilde also vier Kleiderstapel samt Helm-Topping, ab dann trägt jeder seine Ausrüstung selbst. Schal vergessen heißt, Schal bleibt zu Hause - der Zug wartet nicht.

Fortbewegungsmittel gewechselt: Aussicht immer noch top
Foto: Tatyana Tomsickova/ Getty ImagesEs gibt zwei Schulen unter den Zug-Skifahrern: Skischuhe am Fuß oder Skischuhe tragen. Ich gehöre zur ersten Gruppe und trete am liebsten schon so aus der Haustür, als verkehre dort der Skibus. Die Sohlen raspeln sich mit der Zeit ein wenig ab, aber die Rolltreppe zur U-Bahn bin ich bislang noch nicht hinuntergefallen. Die Kinder finden den Spleen peinlich, auch meine Frau trägt die Skischuhe lieber am Klettriemen oder im Rucksack.
Schwierig kann es am Zielort abends werden, wenn die Busse nicht mehr fahren. Denn die sollen zumeist nur die Skifahrer von und zur Talstation bringen, danach geht nicht mehr viel. Regnet oder taut es, ist das nächste Schwimmbad oder Museum meist weit entfernt. Bei Sturm ist womöglich der Rückweg durch die Skischaukel versperrt. Aber abenteuerlich wird es beim Ski-Zugfahren selten. Manchmal muss man ein bisschen rennen, manchmal irgendwo auf einem Bahnsteig im Inntal einen Kaffee trinken, während die Güterzüge vorbeibrausen.
Hat man einmal mit dem Zug-Skifahren angefangen, entdeckt man viele Gleichgesinnte. Durch die Halle des Münchner Hauptbahnhofs schleppt sich jeden Wochenendmorgen ein kleiner Treck. Letzten Winter habe ich dort einen Snowboarder gesehen, der die Füße in Espadrilles gesteckt hatte. Das fand ich nur konsequent, das ideale Schuhwerk.