
Insel Tabarca: Geheimtipp an der Costa Blanca
Spanische Insel Tabarca Small Talk mit dem Wind
Das Schiff wankt und schwankt. Die "Kontiki II" taumelt auf dem Wasser wie die Blase in einer Wasserwaage. Salvador Díaz steht in seiner Kajüte, in einer Hand den Steuerknüppel, in der anderen eine Zigarette. Die Wellen tragen weiße Schaumkronen, immer wieder spritzt die Gischt über Deck in die Kabine. "Passiert nichts", sagt Díaz mit seemännischer Ruhe. Der Kapitän der "Kontiki II" macht seinen Job, so lange er denken kann. "Vielleicht seit 1970, vielleicht auch noch länger." Seitdem hat er viele Wetter kommen und gehen sehen, so eine müde Brise kann ihn da nicht aus der Fassung bringen.
Seit mehr als 40 Jahren steuert Díaz, dunkle Hornbrille, warmes Lächeln, mit seinem Transportunternehmen Cruceros Kontiki von seiner Heimatstadt Alicante regelmäßig die Insel Tabarca an. Elf Seemeilen entfernt ist das Eiland, das wie ein Goldstück im Meer vor der Küste der Costa Blanca liegt. Sie ist die einzige bewohnte Insel der Provinz Alicante, doch viele Einheimische gibt es nicht. Um 1920 lebten auf Tabarca noch tausend Menschen, heute sind es gerade einmal 70 - zumindest im Winter, wenn die Insel frei von Touristen ist.
Zwischen Mai und September fallen vor allem spanische Familien aus der Region ein. Mehrere hundert Besucher zählt die Insel in der Hochsaison jeden Tag: Sie alle kommen mit dem Schiff. Und alle suchen die goldgelben Sandbuchten und das kristallklare Wasser. Heute ist der Tourismus auf Tabarca der wichtigste Wirtschaftszweig noch vor der Fischerei. Aber es gibt noch keine Bananenboot-Fahrten wie im nahe gelegenen Benidorm, keine kerzengeraden Reihen von Sonnenschirmen, keine Flugzeuge, die mit Werbebannern den Strand entlang fliegen.
Schutz gegen Piraten
Im Licht des Vormittags liegt Tabarca so flach da wie ein Badetuch. Die Restaurants platzen aus allen Nähten. "Anfang der siebziger Jahre brachten wir 50 Leute am Tag auf die Insel, heute sind es 500 und mehr", sagt Díaz. Dennoch ist Tabarca mit seiner unverbauten Küste und den kleinen Badebuchten im Vergleich zu den überlaufenen Küstenstädten noch ein Geheimtipp. Seit 1986 gehören die Gewässer um die Insel zum ersten geschützten Meerespark Spaniens.
Wer Tabarca besichtigt, der ist schnell durch mit seinem Programm. Der Rundgang führt vom Hafen in wenigen Minuten zur 28 Meter hohen Torre de San José im Herzen der Insel, einst Wachturm und Gefängnis. Von dort geht es weiter über eine baumlose Ebene vorbei am Leuchtturm zum Friedhof, auf dem Mitglieder der genuesischen Fischerfamilien begraben liegen.
Sie waren 1768 auf die Insel übergesiedelt, nachdem König Karl III. sie aus der Gefangenschaft in der tunesischen Stadt Tabarka befreit hatte. Der Grund dafür: Er wollte die Insel befestigen lassen, zum Schutz gegen berberische Schmuggler und Piraten, die die Küste unsicher machten. Die Genueser bauten einen rechteckig angelegten Ort mit hohen Mauern, die noch heute nahezu unverändert stehen. Und noch immer tragen viele Familien genuesische Namen wie Buzo, Capriata, Colomba, Chacopino und Parodi. Eine Straße heißt Carrer Genova.
Durch die Puerta de Levante, das von Palmen flankierte Stadttor, gelangt man nach dem kaum 45-minütigen Fußmarsch schließlich in die Altstadt des einzigen Ortes der Insel. Um die zentrale Plaza scharen sich eine Handvoll Restaurants. Über allem thront die mächtige Iglesia de San Pedro. Die weiß gekalkten Fassaden in den rechtwinklig angeordneten Gassen sind mit Geranien geschmückt. Mit ihren kleinen Fenstern sehen die Häuser aus wie Wehrhäuser - kein Wunder, bedenkt man ihren ursprünglichen Zweck.
Schwarzer Reis, honiggelbe Dächer
Tabarca gibt einem das Gefühl, schnell alles gesehen zu haben, und so kann man sich, satt von der immerwährend scheinenden Sonne, bald kulinarischen Genüssen hingeben. Auf der Insel gibt es keine glamourösen Restaurants wie an den Hafenmeilen von Torrevieja, Alicante, Dénia und Moraira. Doch von den Fischtavernen geht ein ganz eigener Charme aus: Vom Meer weht eine salzige Brise herüber. Es riecht nach Fisch und Olivenöl.
Im La Alambrada empfiehlt der Kellner eine Spezialität der Region: arroz negro, schwarzen Reis, der seine Farbe durch den Tintenfischsud erhält, in dem er köchelt. Eine Viertelstunde später steht eine Pfanne von der Größe eines Wagenrads auf dem Tisch, sein Inhalt dunkel wie die Nacht und mit Artischocken garniert.
Am Nachmittag ist das Meer flach wie ein Spiegel, die "Kontiki II" gleitet ruhig aus dem Hafen. An Bord ist es jetzt voll, alle wollen mit dem letzten Boot des Tages zurück ans Festland. Der Himmel zerfließt honiggelb über den Dächern der Insel. Díaz steckt sich eine Zigarette an und blickt hinüber zum Kirchturm, der sich wie eine Fata Morgana über dem Wasser erhebt. "Tagsüber weißt du oft nicht, wohin du vor lauter Menschen gehen sollst", sagt er. "Wenn du die Insel für dich allein haben willst, musst du über Nacht bleiben."
Er nennt Tabarca ein Juwel, das glitzert, wenn das letzte Schiff den kleinen Hafen verlassen hat. Doch leben will der Kapitän hier nicht. Das, sagt Díaz, wäre ihm dann doch zu einsam. "Dann müsste ich mich ja ein halbes Jahr lang mit dem Wind und den Wellen unterhalten."