
Übernachten in Schottlands Wildnis Die Hütten der Highlander

Wer Kervaig gefunden hat, sieht vor sich: eine schmale Bucht, einen weißen Sandstrand, den meist rauen Atlantik und ein kleines Steinhäuschen. Die 2009 restaurierte Hütte, gelegen in der Nähe des nordwestlichsten Zipfels der britischen Insel , ist eine kostenlose Herberge. Für all jene, die willens ist, zweieinhalb Stunden zu wandern, und den Weg oder die Adresse im Schottischen Hochland kennen: Breitengrad 58.6085, Längengrad -4.9410.
Kervaig ist nur eine von circa 80 Wanderhütten oder sogenannten Bothies in Schottland. Der Name Bothy ist abgeleitet vom Gälischen bothan oder dem Walisischen bwthyn und bedeutet so viel wie kleine Hütte.
Lange waren diese kostenlosen Zufluchtsorte ein gut gehütetes Geheimnis der Schotten und einiger weniger wanderlustiger Touristen. 2009 erreichten einige Informationen über den Wanderhüttenverband das Internet. Jetzt legt der gebürtige Engländer Geoff Allan mit einem umfangreichen Wanderführer nach.
Der studierte Kartograf, der heute als Künstler und Autor in Edinburgh arbeitet, fuhr mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln kreuz und quer durchs Land, um in allen schottischen Bothies zu übernachten. Oft habe ihm das unberechenbare Wetter einen Strich durch die Rechnung gemacht, sagt Allan. Oder die berüchtigten kleinen Stechmücken, die "Midges", die im Juli und August in Schwärmen Wanderer piesacken.
"Man muss in Schottland Geduld haben", sagt der 47-Jährige. Fünf Jahre dauerte seine Recherche. Seine "Scottish Bothy Bible" hält, was der Name verspricht: Im Bildband finden sich detaillierte Informationen zur Ausstattung und Historie der Hütten, GPS-Daten, Sehenswürdigkeiten in der Nähe und natürlich Wegbeschreibungen.
Wale beobachten von The Lookout
Dass er mit dieser Offenlegung einen touristischen Ansturm auf die kostenlosen Unterkünfte lostritt, befürchtet der 47-Jährige nicht. "Würde es sich rentieren, wäre schon längst jemand auf die Idee gekommen, dort kommerzielle Unterkünfte zu bauen", sagt Allan. "Als Übernachtungsgast sollte man wissen, auf was man sich einlässt: Die Hütten sind abgelegen und nur über Wanderwege erreichbar. Es gibt keinen Strom, kein fließendes Wasser und nur wenige haben den Komfort von Plumpsklos."
Schlafsack für die Bettenlager, Essensvorräte für einen gedeckten Tisch und Holz oder Kohle für den Kamin müsse jeder selbst mitbringen, am besten auch ein Zelt, falls die Hütte voll ist. Für Allan schafft das eine Balance.
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26.02.2021 11.26 Uhr
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Die größte Chance auf Einsamkeit habe man in der Lochstrathy, sagt der Autor. Noch nicht einmal 20 jährliche Logbucheinträge zählte Allan bei seinem Besuch in der abgelegenen Hütte am Rande der Moorgebiete im Bezirk Highland. Beliebt bei Familien sei die Peanmeanach an der Küste, eine komfortable große Hütte, zu der man nur etwa sechs Kilometer wandert. Im The Lookout, die am Startpunkt des Fernwanderweg Skye Trail liegt und früher der Küstenwache als Station diente, könne man im September Wale oder Delfine beobachten.
Allans Lieblingshütte ist Staoineag. "Es ist ein schöner kurzer Ausflug, ich steige in Glasgow in den Zug, fahre bis zur Corrour-Station, wandere etwa 13 Kilometer und bin in zwei Stunden am Ende der Welt." Auf die Frage nach der perfekten Hütte für Romantiker hin lacht Allan. "Ja, da gibt es ein paar schöne. Aber lass es mal regnen, du stehst triefend nass da und fragst dich: Warum sind wir noch mal hier? Vielleicht aber ist es ein guter Test für Beziehungen."
Kletterer kümmern sich um den Erhalt
Vieler Hütten sind während der sogenannten Highland Clearances entstanden, eines dunklen Kapitels in Schottlands Geschichte: Um die Schafzucht flächendeckend einzuführen, vertrieben die Gutsherren und Landbesitzer aus dem Tiefland ab dem späten 18. Jahrhundert die ansässige gälische Bevölkerung im Hochland, teils mit Gewalt. Einige der Hütten stammen noch von den früheren Bewohnern oder den Pächter, andere wurden im Zuge der Bewirtschaftung für die Schafhirten gebaut.
Landflucht ab Ende des 19. Jahrhundert und Motorisierung im 20. Jahrhundert machten viele der Arbeiterunterkünfte obsolet. In den Dreißigerjahren entdeckten Wochenendausflügler die verlassenen Häuser neu für sich. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgten die "Munro-Baggers", die Bergbesteigungen mit einer Höhe von mehr als 3000 Fuß sammelten - ein neuer Volkssport in Schottland.
Viele der Hütten verfielen zunehmend. Eine Gruppe von Kletterern gründete deshalb 1965 die Mountain Bothies Association (MBA), die sich seitdem für die Instandhaltung der Hütten auf Spendenbasis engagiert. Das Netzwerk arbeitet eng mit den Land- und damit auch Hüttenbesitzern zusammen.
Jede der Bothies hat einen "Maintenance Officer", einen freiwilligen Helfer, der mindestens zweimal im Jahr den Zustand seiner Hütte überprüft. Auch Allan betreut eine, die Dibidil Rum auf der Hebrideninsel Rum. "Ich wechsle mal eine Dachplatte aus oder einen Türgriff, doch um die größeren handwerklichen Aufgaben kümmert sich ein Profi-Netzwerk der MBA." Das Durchschnittsalter der freiwilligen Helfer läge mittlerweile bei 60, sagt Allan. Eine neue Generation von Enthusiasten sei notwendig, um das Netzwerk zu erhalten. Seine Veröffentlichung könnte helfen.
Meet the Queen
Hüttenbelegung nach Handtuchprinzip ist in den Bothies verpönt. "Jeder macht Platz für Neuankömmlinge", sagt Allan "Zudem gilt das ungeschriebene Gesetz, dass jeder nur für ein oder zwei Nächte bleiben sollte." Das gehört zum sogenannten Bothy-Kodex der MTB - für Geoff Allan eine Selbstverständlichkeit. "Das gehört doch zu jeder guten Reisemaxime weltweit: Hinterlasse nur deine Fußspuren, nimm deinen Abfall mit, heiße Neuankömmlinge mit einem heißen Tee oder einem Glas Wein willkommen."
Oder einem kostenlosen Konzert. "Ich traf einmal eine Folkband aus Edinburgh in einer Bothy - ein großartiger Abend!" Fragt man Allan nach seiner erstaunlichsten Begegnungen, erinnert er vor allem ein Erlebnis bei der Gelder Shiel Stable im August 2015. "Plötzlich hielt ein brandneuer Land Rover an der dazugehörigen Lodge. Drei Männer stiegen aus. Einer von ihnen klopfte und fragte, ob wir so diskret sein könnten, in der Hütte zu bleiben, hier würde bald eine private Dinnerparty stattfinden", sagt Allan. "Wir spähten aus dem Fenster und sahen einen weiteren Konvoi. Aus einem der Wagen stieg schließlich die Queen mit einer kleinen Entourage Urenkeln."
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Geoff Allan: 1988 zog der gebürtige Engländer ins schottische Edinburgh. Nun ist ein Bildband des Fotografen und Autoren erschienen: "The Scottish Bothy Bible: The Complete Guide to Scotland's Bothies and How to Reach" im Verlag Wild Things Publishing. In seinem Blog "Bothies on a Bike" hält Allan seine Erlebnisse fest.
Kinbreack im westlichen Hochland: Fünf Jahre lang hat Allan für den Bothy-Führer die Hütten im Norden Schottlands per Rad und zu Fuß erkundet.
In diesem idyllischen Häuschen am Meer können Wanderer umsonst übernachten: Von einem Bootssteg im Westen der Bucht Kyle of Durness im nördlichen Hochland geht es 2,5 Stunden auf einem Wanderweg zur Kervaig-Hütte - früher einmal ein Jagdhaus.
Auf Recherche: In seiner "Bothy Bible" gibt Allan auch die GPS-Daten und historischen Hintergründen zu den einzelnen Hütten an. Im Bild ist die Shenavall-Hütte zu sehen.
Hütte mit Panoramafenstern: The Lookout liegt am Startpunkt des circa 128 Kilometer langen Wanderwegs Skye Trail und war früher eine Wachstation der Küstenwache.
Mit etwas Glück kann man dort im Herbst Wale, Delfine oder Kegelrobben sichten.
Allans Lieblingshütte ist Staoineag im zentralen schottischen Hochland: "Es ist ein schöner kurzer Ausflug. Ich steige in Glasgow in den Zug, fahre bis zur Corrour-Station, wandere etwa 13 Kilometer und bin in zwei Stunden am Ende der Welt."
Die Staoineag-Hütte ist über eine Bahnstation einfach zu erreichen, auch im Winter. "Ich gehe lieber im Winter wandern als im Sommer", sagt Allan. "Es sind die schönsten Momente. Allein durch so ein Winterwunderland zu stapfen, mit Kohle oder Holz im Gepäck für den Kamin, gibt dir viel Energie!"
Raue Schönheit: Hier sollte man ein Zelt mitnehmen: Die Shenavall gehört zu den beliebtesten Hütten im nördlichen Hochland - da kann es schon mal voll werden. Sie liegt in der Nähe einer Gipfelkette, die als Fisherfield Six bekannt ist.
Unter den Top 5 der Hütten, die für ihre Geschichte und Legenden bekannt sicn, befindet sich auch ein ehemaliges Schulhaus (The Schoolhouse) im nördlichen Hochland mit insgesamt drei Räumen, darunter einem restaurierten Klassenzimmer.
Eine der schönsten Hütten für Familien: Mit zwei Räumen im Erdgeschoss mit jeweils zwei Kaminen und einem großen Dachgeschoss bietet Peanmeanach genügend Platz. Sie liegt in einer Bucht an der Westküste in der Nähe von Sky und ist in circa eineinhalb Stunden über einen Wanderpfad zu erreichen.
Als Geoff Allan in der Gelder-Shiel-Stables-Hütte eincheckte, kam überraschend die Queen vorbei: Das Steinhäuschen mit Platz für sechs Leute liegt direkt neben einem königlichen Jagdsitz. Auf dem cica einstündigen Weg zur Hütte kreuzt man auch das königliche Schloss Balmoral in Aberdeenshire.
Gelder Shiel Stables hat sogar einen Kamin. Ein besonderer Komfort, das Interieur der Hütten ist ansonsten sehr einfach: Es finden sich Stühle, ein Tisch und oft auch Matratzenlager. In Allans "Bothy Bible" wird die Ausstattung der Hütten und die Anzahl der Schlafplätze detailliert beschrieben.
Idyllisch gelegene Cadderlie-Hütte: Über den Fjord Loch Etive im schottischen Argyll and Bute blickt man direkt auf die Berge Ben Cruachan und Ben Starav.
Manche Hütten erzählen Geschichten: In dieser namens Strathchailleach lebte 32 Jahre lang der Einsiedler James MacRory-Smith. Von den Einheimischen wurde er Sandy genannt.
Ein Bild von James MacRory-Smith hängt als Andenken im Wohnzimmer der Strathchailleach: "Sandy" wurde 1926 als eines von 16 Kindern in Dumbarton geboren, seine Mutter starb, als er 17 war. Als Soldat zog er in den Zweiten Weltkrieg. Später heiratete er und wurde Vater von zwei Kindern. Als seine Frau bei einem Verkehrsunfall starb, kam er darüber nie hinweg und wurde zum Einsiedler.
Alle zwei Wochen holte MacRory-Smith sich seine Rente von der Post in Balchrick. Er sammelte Torf aus dem Moor, um im Winter zu heizen und malte Bilder an die Wand. 1999 starb er.
Die größte Chance auf Einsamkeit hat man in der Lochstrathy. Knapp 20 jährliche Logbucheinträge zählte Allan bei seinem Besuch in der abgelegenen Hütte am Rande der Moorgebiete im Norden.
Jede der Hütten hat einen "Maintenance Officer", einen freiwilligen Helfer, der mindestens zweimal im Jahr den Zustand seiner Hütte überprüft. Auch Geoff Allan betreuet eine, die Dibidil Rum auf der Hebrideninsel Rum vor der Westküste Schottlands.
"Gerade Deutsche und Niederländer lieben in Schottland das 'right to run'", sagt Allan. "Du kannst einfach überall hinlaufen. Das macht auch die Anziehungskraft Schottlands aus."
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