
Wandern in Süditalien: Ab auf die Appia!
Von Rom bis Brindisi auf der Via Appia Italiens vergessener Pilgerweg
Er streifte durch hüfthoch gewachsenen Weizen, kletterte über Leitplanken und überquerte mehrspurige Schnellstraßen - und ja, er lief auch über gut zweitausend Jahre alte Pflastersteine: Paolo Rumiz ist die Via Appia entlanggewandert. Nicht nur das Vorzeigestückchen der legendären Route, das in Reiseführern angepriesen wird: ein ästhetischer antiker Straßenabschnitt am Stadtrand von Rom. Sondern die gesamte Via Appia, von Italiens Hauptstadt bis in die Hafenstadt Brindisi.
Nein, eine rekordverdächtige Wanderleistung ist das nicht. Und doch hat der 71-jährige Schriftsteller mit seinem Fußmarsch Aufsehen erregt. Er hat innerhalb von 29 Tagen eine historische Strecke zurückgelegt, die mehr als 500 Kilometer lang ist - und die seinen Aussagen zufolge seit 200 Jahren niemand mehr komplett gegangen ist. Wie auch? Viel ist ja nicht übrig von der einst so bedeutenden Straße, die Roms Konsul Appius Claudius Caecus im Jahr 312 vor Christus anlegen ließ.

Wandern in Süditalien: Ab auf die Appia!
Was Rumiz' Wanderung interessant macht, ist die Idee, die er von seiner Reise mitbrachte: Lässt sich die Appia wiederbeleben? Hat sie eine Zukunft als touristische Route? Als Ziel von Menschen, die sich die Welt am liebsten zu Fuß erschließen? "Es wäre mein Traum", sagt Rumiz. Und über diesen hat er ein Buch geschrieben, das kürzlich (im Folio Verlag) erschienen ist.
In "Via Appia. Auf der Suche nach einer verlorenen Straße" erzählt der Autor von seinen Etappen, die ihn bis zum Stiefelabsatz an die Adria führten. Er schildert idyllische Szenerien wie Almauftriebe und Dorffeste, er beschreibt die Farben der Natur (blau die Flachsblumen, violett der Knoblauch) sowie die Lebensumstände der Menschen, die er unterwegs traf - ob Bauern bei Capua oder einen Tonpfeifenhersteller in Gravina.
Doch er thematisiert auch die mafiösen Geschäfte der Kommunen, die Verfehlungen der Politik und den Alltag am Wegesrand.
" Eine Straße wie die Appia besteht nicht nur aus Meilensteinen und Pflaster. Sie besteht auch aus Frauen auf Balkonen, Pasta mit Auberginen, aus zerquetschten Kröten, Wind im Schilf, nach Norden ziehenden Immigranten, einem Fuchs, der uns über den Weg läuft, Aglianico und Sartù di riso, illegalen Steinbrüchen, Mamma and Padre Pio, Landbrot, Blumen an einer Leitplanke, Haselnusskaffee, Prozessionen, Maulbeeren und streunenden Hunden. Man könnte dem Asphalt auf steinigen abgelegenen Wegen ausweichen, doch dann ließe man sich all das entgehen." (Paolo Rumiz)
Rumiz hatte sich im Frühjahr 2015 auf den Weg gemacht, um zu sehen, wie es heute so ausschaut auf der Via Appia. Wo ist sie noch die Alte, wo ist sie versumpft, verbaut, überwuchert? Neugierig zog er zusammen mit drei Freunden und einer eigens für die Tour angefertigten GPS-Karte los - und stellte fest: Die Appia wurde in den vergangenen Jahrhunderten verunstaltet, demoliert - und vergessen.
Vergraben unter der Mülldeponie
Teer und Asphalt waren auf die alten Steine geschüttet worden, vielerorts wurden Privathäuser, Supermärkte und Parkplätze gebaut. Immerhin: Bei Itri sorgte eine Mülldeponie auf der Appia dafür, dass sie besonders gut erhalten blieb - was die Italiener freilich erst merkten, nachdem sie den Müll abgetragen hatten. Man habe der Straße so viel Schaden zugefügt, dass sie heute bestenfalls als heruntergekommen zu bezeichnen sei, sagt Rumiz, doch größtenteils sei sie gar nicht mehr sichtbar. "Für mich war das ein Schock."

Via Appia: Ab Benevent teilt sie sich in zwei Routen
Foto: CartomediaEr wartete nicht lange und begann, für die wiedergefundene Appia zu werben: mit der Wanderausstellung "L'appia ritrovata", mit TV-Interviews und dem Kontakt zum Fußvolk. Die inzwischen nicht mehr amtierende Mitte-links-Regierung überzeugte er sogar, 20 Millionen Euro lockerzumachen, um die Appia unter anderem mit Wegweisern auszustatten. "Das Geld wurde uns zugesagt", sagt Rumiz. Aber ob die aktuelle Regierung aus rechten Parteien es für die Appia ausgeben wird, sei unklar. "Sie interessiert sich mehr für Flüchtlinge."
Inzwischen sei jedoch eine richtige Bürgerbewegung entstanden, sagt Rumiz. Wandervereine öffneten ständig neue Strecken und stießen auf großes Interesse. Kürzlich seien Norweger zu einer Appia-Wanderung aufgebrochen, ein australisches Paar sei dort auf Hochzeitsreise gewesen. "Und ich weiß von einer Gruppe von Antike-Fans aus den Niederlanden, die die gesamte Strecke kostümiert absolvieren wollen."
Auch eine "Invasion deutscher Wanderer" erwartet Rumiz. Was diese hier erleben würden: ein gänzlich untouristisches Italien, in dem die Gastfreundschaft Gesetz sei. Gegenüber seinen Landsleuten spart Rumiz hingegen nicht mit Kritik. Er spricht vom Desinteresse der Politiker, aber auch von einer Ignoranz der Bürger. "Vielen Leuten, die auf der Appia wohnen, ist das nicht mal bewusst." Die Italiener hätten ohnehin eine "beschädigte Beziehung zur Landschaft" - sie wiederherzustellen, hält Rumiz für denkbar.
"Die irdischste und zugleich visionärste Reise"
Seine Zeilen lesen sich mal wie die des poesiebegeisterten Literaten, der Rumiz ist - und mal wie die eines kämpferischen Aktivisten. "Es gibt Zigtausende Italiener, die den Jakobsweg gehen, aber kein Mensch nimmt sich die Via Appia vor." Dabei bedeute sie viel mehr als der wohl berühmteste Pilgerweg der Welt - gerade für seine Landsleute.
In der Antike trug die Via Appia den Beinamen Regina Viarum - die Königin der Straßen. Sie war einst das Zentrum des Mittelmeerraumes, Route für Legionäre, Gewürzhändler und Pilger zugleich. "Heute ist sie Peripherie", sagt Rumiz. Doch das könnte sich nun ändern.
Via Appia: Auf der Suche nach einer verlorenen Straße (Transfer Bibliothek)
Preisabfragezeitpunkt
25.03.2023 01.51 Uhr
Keine Gewähr
Besonders reisepraktisch ist Rumiz' Buch nicht aufgebaut. Es gibt keine konkreten Hinweise auf sehenswerte Orte, keine Tipps für schwierig zu findende Passagen, ganz zu schweigen von Koordinaten. Aber einen Reiseführer wollte Rumiz auch nicht schreiben. Vielmehr ist "Via Appia" der Erlebnisbericht eines Wanderers, der mithilfe von Horaz, Cicero und anderen Dichtern zum Appia-Aktivisten wurde.
"Gewiss war das die irdischste und zugleich visionärste Reise, die ich je unternommen habe", schreibt er in seinem Buch. "Während das Gewicht des Rucksacks mich zu Boden drückte, flog der Kopf wie ein Adler in den Wolken."