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Picasso in Südfrankreich: Alterswohnsitze eines Ausnahmekünstlers

Foto: Rolf Haid/ dpa

Wohnhäuser des Künstlers in Frankreich Zu Besuch bei Picasso

Farbflecken auf dem Fußboden, handbemalte Stühle: An wenigen Orten kann man dem Jahrhundertkünstler Pablo Picasso so nah kommen wie in seinem Schloss in Südfrankreich. Jetzt kann es besichtigt werden - allerdings nur für begrenzte Zeit.
Von Helge Sobik

Es ist still geworden in den Gassen von Vauvenargues. Und es ist wieder leicht, einen Tisch im Restaurant zu bekommen, es ist einfach, in der Nähe zu parken. Zwei Katzen spielen diesen Morgen auf einer Steinstufe in der Sonne. Die Ruhe ist zurück, die Pablo Picasso gesucht hatte und weswegen er vor einem halben Jahrhundert hierher gezogen war.

Im vergangenen Sommer war das anders, denn da war das 400-Seelen-Dorf mit dem mittelalterlichen Schloss  zu Füßen des Montagne St. Victoire in der Provence plötzlich zum Pilgerziel geworden: Picassos Stieftochter Catherine Hutin, Erbin des Schlosses, hatte es unter zahlreichen Auflagen und zeitlich begrenzt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht - das Atelier mit Farbflecken auf dem Fußboden und den von Picasso bemalten Stühlen, das schlichte Bad mit seinem Wandgemälde, sogar sein Schlafzimmer. Vauvenargues war im Ausnahmezustand, die Marketing-Welle war Schuld. Die Fans kamen aus aller Welt, um dem größten Künstler des 20. Jahrhunderts nahe zu sein, der 1973 im Park des Schlosses unter einer gewaltigen Bronzeskulptur bestattet wurde.

Wer dagegen jetzt auf den Spuren des Ausnahmekünstlers reist, kann sich ihm näher fühlen als diejenigen im Rummel-Sommer vor einem Jahr - und wieder vor seinem Grab stehen. Denn Frau Hutin hat ihr Schloss erneut geöffnet - bis zum 2. Oktober und diesmal ganz ohne großen Werberummel, ohne Marketing-Getrommel. Fünf Häuser hat Picasso in den letzten 25 Jahren seines Lebens in Südfrankreich besessen, einige parallel, andere nacheinander als Wohn- oder Ateliersitz genutzt - alle sind erhalten, keines ist Museum. Nur das Schloss ist weithin bekannt, die vier anderen sind Geheimtipps abseits des großen Tourismus.

Leben wie ein Hollywood-Star

Denn die offizielle "Picasso-Route" des Fremdenverkehrsamts lässt aus, was heute Privatleuten gehört: Picassos Atelier du Fournas und seine Villa Galloise in Vallauris, seinen herrschaftlichen Wohnsitz Villa La Californie in der Avenue Costebelle in Cannes, wo er wie ein Hollywood-Star residierte und Gäste von Brigitte Bardot bis Gary Cooper empfing. Und sein Anwesen Notre-Dame de Vie bei Mougins.

Der Maler und Bildhauer aus Spanien fuhr nicht nur ein halbes Leben lang gern zum Bummeln nach St. Tropez und zum Baden ans Cap d'Antibes und den Strand von Cannes. Mehr noch - er hat entlang der Côte d'Azur Spuren hinterlassen wie kein anderer Künstler vor und keiner nach ihm. Das will etwas heißen, denn es waren viele da. Der Holländer Vincent van Gogh schlug seine Zelte in Arles auf. Marc Chagall verbrachte fast zwei Jahrzehnte in St. Paul de Vence, Henri Matisse sein Leben in Nizza.

Picassos Leben hatte für die Medienwelt der fünfziger und sechziger Jahre jede Menge zu bieten: Kunst und Skandal, Erotik und Affäre, Liebe und Hass, Geld und Glamour. Und die Côte d'Azur! Sie war seine sonnenbestrahlte Bühne.

"Diese Augen lesen dich"

Für viele Zeitzeugen war er seitdem nie wirklich fort. Sie erzählen noch heute stets im Präsens von ihm, ganz so als wartete er an der nächsten Straßenecke auf sie.

Dem längst weißhaarigen Albert Dalmasso aus dem Töpferdorf Vallauris Picassos gehen Picassos Augen nicht mehr aus dem Sinn. Er sieht sie, wann immer er seine schließt. Wenn er an seinen berühmten Ateliernachbarn von einst in der Rue du Fournas denkt, dann tauchen sie aus dem Gedächtnis wieder auf, diese dunklen, fast schwarzen Augen mit dem bohrenden Blick. "Sie lesen dich", sagt er noch heute und nestelt dabei nervös mit den Fingern der rechten Hand an der Knopfleiste seines Jeanshemds herum. "Sie sehen, was du gleich sagen willst. Diese Augen blicken dir in deine Gedanken." Unheimlich sei das. Und magisch! Und schön: "Etwas, wovon man kaum mehr loskommt."

Neunzehn war Albert Dalmasso damals, hatte gerade direkt neben Picasso sein erstes Atelier bezogen und stand am Beginn der Laufbahn als Kunsttöpfer. Die Straße vor der Haustür der beiden ist inzwischen umbenannt. Sie heißt jetzt Rue Pablo Picasso. Ein paar Jahre lang war Picassos Atelier du Fournas eine Pension - und jeder konnte wohnen, wo einst Picasso arbeitete.

Inzwischen ist das Haus umgebaut, in Eigentumswohnungen zerlegt, ohne dass äußerlich allzu viel verändert wurde. Ein Blick übers Tor in Picassos einstiges "Reich" ist noch immer möglich. Und auch die Villa Galloise ein paar Straßen weiter, Zuhause der Familie von 1948 an, hat sich kaum verändert und sieht von außen noch heute so aus wie auf den historischen Fotos, als die Kinder Claude und Paloma dort im Garten spielten und Boxer Yan die Toreinfahrt bewachte.

Zeichnung statt Bargeld

1955 zog es den Nomaden Picasso weiter: weg aus Vallauris, mitten hinein ins mondäne Cannes, in die gewaltige Jahrhundertwende-Villa La Californie mit über vier Meter hohen Decken und herrschaftlicher Freitreppe. Vor allem während des Film-Festivals von Cannes standen fortan regelmäßig die Kino-Größen Schlange für eine Audienz. Wenn Picasso mit seinen Gästen essen ging, ins "Chez Marcel" in Golfe-Juan, das "Chez Roger" in Antibes oder das immer noch geöffnete "Felix" in Cannes, dann zahlte er manchmal, indem er eine Serviette eilig mit einer Zeichnung versah und signierte: kein schlechtes Geschäft für den Wirt.

Die Villa La Californie in der Avenue Costebelle 18-20 heißt heute "Pavillion de Fleur". Picassos Enkelin Marina hat das Haus geerbt - und nebenbei die Auffahrt so akkurat herrichten lassen, als wäre jedes Kieselsteinchen von Hand gesetzt. Zu Zeiten ihres Großvater war drinnen wie draußen alles unordentlich. "Aber in Wirklichkeit", weiß Picassos Wegbegleiter Dominique Sassi, "war es seine Ordnung, deren System niemand anders durchschaute."

Als ihm in Cannes der Meerblick verbaut werden sollte, kaufte der Künstler das Schloss Vauvenargues bei Aix-en-Provence und zog mit seiner neuen Ehefrau Jacqueline dorthin. Es sollte ein Intermezzo bleiben, denn schon 1961 erstand Picasso das provençalische Herrenhaus Mas de Notre-Dame de Vie bei Mougins - wieder näher an der Küste und ihrem besonderen Licht. Das große Gebäude schmiegt sich unterhalb einer aufgegebenen Kapelle an den Hang außerhalb von Mougins, der nur durch den schmalen Chemin de la Chapelle erschlossen ist.

Aus den Kieswegen des Parks spross noch bis vor kurzem Unkraut. Inzwischen ist das Anwesen verkauft. Arbeiter brachten Kettensägen mit, fällten Zypressen, beschnitten Olivenbäume - und verschafften der Außenwelt Einblick in ein riesiges Grundstück, das seit dem 8. April 1973, Picassos Todestag, immer mehr verwildert war. Der neue Eigentümer hat den großen Park wieder herrichten und das Haus umbauen lassen - nicht unbedingt wohlwollend sehen das die Menschen, die hier schon seit Jahrzehnten wohnen und den spanischen Künstler als stillen Anwohner schätzten. "Sie renovieren Picasso heraus", klagt eine Nachbarin.

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