
Urlaub im Wohnmobil Die spinnen, die Camper
Ich hatte nie ein besonders inniges Verhältnis zu Fahrzeugen. Wenn es gut lief, brachte mich mein Opel Corsa von A nach B, wenn nicht, stand er mit kaputter Lichtmaschine in der Werkstatt. Einmal versuchte ich, in ihm zu übernachten, aber er vertrug sich nicht mit meinem Rücken und rammte mir seine Gangschaltung in den Oberschenkel. So richtig warm wurden wir nie miteinander, der Corsa und ich. Ihm oder irgendeinem anderen Auto einen Namen zu geben, wäre mir nie in den Sinn gekommen.
Dann kam Eddie. Das heißt, zuerst kam ein weißer Campingbus, den ich schnöde "Bus" nannte. Nachdem ich ein paarmal mit ihm unterwegs gewesen war, erschien mir das absurd. Genauso gut hätte ich meinen Partner mit "Mann" ansprechen können. Meine erste Namensidee war Bruno, aber das klang irgendwie behäbig und nach Problembus. Also Eddie, in Anlehnung an die Skisprunglegende Eddie the Eagle: Wir fuhren auch immer allen hinterher, dafür sahen wir besser aus. Ich machte mit ihm ein paar kürzere Fahrten durch Norddeutschland, danach ging es weiter Richtung Süden. Österreich, Slowenien, Kroatien - ich ließ mich planlos treiben.
In dieser Zeit wurden Eddie und ich ein Team. Ich war auf ihn angewiesen. Hätte er mich im Stich gelassen, wäre ich auf einen Schlag Schlafzimmer, Küche, Büro und Fortbewegungsmittel los gewesen. Deshalb pflegte ich ihn gut, achtete auf alles, was er mir per Zeiger und Lämpchen mitteilte, und fing umgekehrt an, mit ihm zu sprechen. Ich begrüßte ihn morgens mit "Min lütten Schieter", lobte ihn nach langen Fahrtagen und machte mit ihm Selfies im Abendrot.
Als ich anfing, auch anderen Gegenständen Namen zu geben - dem Fahrrad Rakede vor Bergfahrten Mut zusprach und mit Campingstuhl Stuhli schimpfte, wenn er klemmte - machte ich mir langsam Sorgen. Wurde ich durch die innige Zweisamkeit mit einem Fahrzeug nicht doch ein wenig seltsam? Tat mir das Camperleben nicht gut?
Bäumchen als Begleiter
Ich war kurz davor, meine dinglichen Gespräche einzustellen. Dann traf ich Ernst, einen älteren Herrn mit rundem Bauch und rotem Campingbus. Wir kamen über seine Topfpflanzen ins Gespräch. Bonsaibäume, wie sich später herausstellte. Morgens saß er an einem Klapptisch vor seinem Bus, begutachtete die Bäumchen mit einer Lupe und schnitt hier und da ein Blättchen ab. Ich beobachtete ihn heimlich, wie er in der Sonne saß, guckte und schnippelte. Es war ein sehr friedliches Bild.
Ernst ist 72 und war früher Industriekaufmann, wie er mir später erzählte. Der Job machte ihm Spaß, er kann gut mit Zahlen. Richtig glücklich war er damit aber nicht. Deshalb hörte er mit 38 auf zu arbeiten, sein Erspartes und die Rente reichten zum Teilzeit-Leben im Bus.
Heute hat er eine Wohnung in Hessen, den Großteil des Jahres verbringt er aber in seinem Campingbus, mit dem er quer durch Europa reist. Seine Miniaturbäume hat er selbst gepflanzt, einige vor mehr als 30 Jahren. Weil sie zu Hause eingehen würden, nimmt er sie auf seine Touren immer mit.
Dass manche Leute ihn wegen seiner rollenden Pflanzenzucht merkwürdig finden, ist Ernst egal. Im Gegenteil: "Mit denen, die's interessiert, kommt man leichter ins Gespräch. Ist doch gut!" Das fand ich auch. Einen ganzen Morgen verbrachte ich mit Ernst, seinen Reisegeschichten und den Bonsais.
Mehr Muße für Macken
Im Lauf meiner Reise traf ich noch mehr Camper wie Ernst. Leute, die auf den ersten Blick seltsam schienen, mit denen ich aber gerade deshalb ins Gespräch kam. Die beim Campen wenig Ablenkung haben und viel Zeit, ihren Hobbys nachzugehen. Menschen mit Muße für Macken, die ich genau deswegen liebenswürdig fand.
So wie Friedo, dem ich in Kroatien begegnete. Er ist 70 und fährt einen Lkw, den er vor Jahren selbst zum Campingtruck ausgebaut hat. Mit Wohnbereich vorne für ihn und seine Frau und einer kleinen Garage hinten, in der er seinen Haflinger transportiert. Kein Pferd, wie ich anfangs annahm, sondern ein kleines Militärfahrzeug von Steyr-Puch, Baujahr 1959. Es kommt wie Friedo aus Österreich; er nutzt es, um auf dem Campingplatz mobil zu sein. Morgens fährt er mit seinem geländegängigen Armeewagen Brötchen holen.
Aus seinem Lkw-Dach ragt ein Militärfunkmast, den Friedo zur Fahnenstange umfunktioniert hat. Ausgefahren schraubt sie sich 14 Meter in die Höhe. Ans Ende hängt Friedo immer zwei Flaggen: Die österreichische und die des Landes, in dem er gerade campt. Warum? "Weil ich bescheuert bin", sagt er. "Weil er was zum Spielen braucht", sagt seine Frau.
Nein, der Lkw habe keinen Namen, antwortet Friedo auf meine Nachfrage, er spreche auch nicht mit ihm. Auch Ernst versicherte mir, weder mit seinen Pflanzen noch mit Campingutensilien zu reden. "Aber eine Macke hat doch jeder", sagte er. "Vielleicht kommen sie bei Campern nur deutlicher zutage, weil sie Zeit haben für Dinge, die sie glücklich machen."
Seitdem rede ich wieder mit Eddie. Nach starken Steigungen küsse ich ihn sogar aufs Lenkrad. Er hupt dann freudig zurück.