
Tauchen vor Irland: Wrack-Eldorado
Irland Friedhof gesunkener Giganten
Es regnet. Das ist in Irland nichts Ungewöhnliches, ganz im Norden schon gar nicht. Dicke Tropfen fallen ins Meer, wo sie wie kleine Bomben auf der Wasseroberfläche explodieren.
"Perfekte Bedingungen", sagt Steve Jones, und er meint das ehrlich: Nass wird er bei dem anstehenden Tauchgang sowieso. Das Einzige, was ihn interessiert, ist die Wellenhöhe und die Stärke der Strömung - Dinge also, die ihm den anstehenden Tauchgang ordentlich verderben könnten, wenn sie zu hoch oder zu heftig ausfallen.

Tauchen vor Irland: Wrack-Eldorado
Steve Jones ist Brite und Unterwasserfotograf , einer der besten überhaupt. Und die Küste vor Malin Head sei eines der besten Wracktauchgebiete weltweit, sagt er, und eines der unberührtesten sowieso. Rund 200 Schiffsruinen wurden in der Region bereits lokalisiert, vom deutschen Unterseeboot bis zum englischen Schlachtschiff, vom eleganten Luxusliner bis zum schnöden Frachter.
Die meisten davon sind in den beiden Weltkriegen gesunken, weil sie auf Minen liefen oder deutschen U-Booten vor die Torpedorohre kamen. Die irische See - ein Friedhof gesunkener Giganten.
"Die meisten davon liegen so tief, dass sie für Sporttaucher kaum in Frage kommen", erklärt Steve Jones während der Ausfahrt zum Wrack der 1917 hier versenkten "SS Laurentic". "Um sie ausgiebig erkunden zu können, muss man Trimix verwenden, ein Atemgemisch aus Luft, Stickstoff und Helium. Das macht die Sache aufwendiger, sorgt aber auch dafür, dass die Schiffe nur selten betaucht werden. Und das sieht man ihnen auch an: Die Wracks sind deutlich besser erhalten und weniger geplündert als solche in flacheren Gewässern."
Raumschiff-Landeplatz auf der Klippe
Ein anderer Grund für die relativ geringe Anzahl von Tauchern liegt in der Abgeschiedenheit des Ortes, im äußersten Norden Irlands. Malin Head ist die Nordspitze Inishowens, der größten Halbinsel der Grafschaft Donegal, die mit knapp 32.000 Einwohnern äußerst dünn besiedelt ist. Schafzucht und ein wenig Tourismus, mehr gibt es hier nicht. Man findet keine großen Hotels internationaler Ketten, dafür Bed&Breakfast-Pensionen und kleine Privatunterkünfte. Keine imposanten Tauchcenter, die alles organisieren, stattdessen ist Eigeninitiative gefragt.
Die Region ist außerdem Start- oder Endpunkt des "Wild Atlantic Way" einer der längsten ausgewiesenen Küstenstraßen weltweit. Und gerade hier, ganz im Norden, führt er an Landschaften vorbei, die aussehen, als würden sie nicht von dieser Welt stammen.
Unverbaut, mystisch und so unwirklich, dass Lucasfilm dort im Mai 2016 sogar große Teile von "Star Wars - Episode VIII" drehen ließ. Ein paar Wochen im Frühjahr fühlte sich Malin Head - dekoriert mit der Kulisse des Raumschiffs Millennium Falken - wie eine weit entfernte Galaxie an. (Hier ein Bericht von BBC vom Mai 2016.) Dann kehrte wieder Ruhe ein.
Luke Skywalker, Chewbacca und die imperialen Sturmtruppen haben Malin Head wieder verlassen, die Taucher sind geblieben. Ein letztes Mal checkt Steve Jones auf dem kleinen Tauchboot seine Ausrüstung, bevor es abwärts geht, runter zur "SS Laurentic", die 40 Meter tiefer auf dem Meeresgrund ruht - eines der wenigen Wracks der Region, welches auch von Sporttauchern erkundet werden kann.
Als das Passagierschiff der White Star Line im Januar 1917 sank, hatte es auch 43 Tonnen Gold an Bord, die nach Halifax gebracht werden sollten. Eine der größten Goldmengen, die jemals bei einem Schiffsuntergang verloren gegangen sind. Ein Großteil davon wurde mittlerweile geborgen, 20 Barren aber gelten immer noch als vermisst, was einem aktuellen Gegenwert von mehr als drei Millionen britischen Pfund entspricht. Für Steve Jones Grund genug, die Augen während des Tauchgangs offenzuhalten.
Schatz auf der Speicherkarte
Die Sichtweite in der Tiefe ist sehr gut, mehr als 20 Meter reicht der Blick. Seit knapp 100 Jahren liegt die 172 Meter lange "Laurentic" jetzt schon auf dem Grund des Meeres, und die Zeit ist nicht spurlos an ihr vorbeigegangen. Die Aufbauten sind weitestgehend kollabiert, riesige Fischschwärme haben in den Überresten ein Zuhause gefunden. Makrelen ziehen über die Reste der Reling hinweg, in den dunkleren Bereichen haben sich Dorsche versteckt.
Langsam taucht Jones über das Deck hinweg bis zu dem gut erhaltenen Bug des Schiffes, der auf seiner Backbordseite liegt. Hier schimmert das Wasser besonders grünlich, und anders als in tropischen Gewässern fällt der Bewuchs des Wracks eher spärlich aus. Die Grabesstille unter Wasser wird nur durch das regelmäßige Geräusch der ausgestoßenen Atemblasen unterbrochen.
Immer wieder zucken dann die Blitzlichter seiner Kamera auf. Eine gute halbe Stunde bleibt Steve Jones in der Tiefe, bevor er sich an den langsamen Aufstieg macht. Mit voller Speicherkarte, aber ohne Gold. "Ich glaube eh nicht, dass da unten noch etwas liegt", meint er später. "Wahrscheinlich haben Taucher die Barren schon längst geborgen und den Fund nur nicht gemeldet." Dann lacht er und sagt mit einer Stimme, die wohl an Darth Vader erinnern soll: "Die dunkle Seite der Macht!"
Wracks versus Sternenkreuzer
Abends treffen sich die Handvoll Taucher dann in Farren's Bar, einem kleinen Pub, an dessen Fassade seit dem Besuch des Star Wars-Teams das Gesicht von Yoda prangt. Sie erzählen ihren Besuchen von der "Justicia", dem zweitgrößten Passagierschiff, das im Ersten Weltkrieg durch deutsche U-Boote versenkt wurde. Von der "HMS Audacious", einem britischen Schlachtschiff der King-George-V-Klasse, das seit 1914 in gut 50 Meter Tiefe ruht. Von den deutschen Unterseebooten, die nach Kriegsende von der britischen Admiralität im Rahmen der "Operation Deadlight" rund um Malin Head versenkt wurden.
An nicht allen davon war Steve Jones selbst tauchen, "zu viele Wracks für ein einziges Leben". Aber er kann es zumindest versuchen. Trotz der schwierigen Logistik, trotz der Wetterkapriolen - für ihn gibt es kein reizvolleres Tauchgebiet. "Wenn dich der Wrack-Virus einmal erwischt hat", er zuckt die Schultern, "verliert ein buntes tropisches Riff ganz enorm an Attraktivität."
Dann kommt der Wirt des Pubs, Hugh Farren, und berichtet, dass auch einer der Star-Wars-Regieassistenten während der Dreharbeiten in den Pausen häufig zu den Kriegsschiffen abgetaucht ist. "Für ihn waren die untergegangenen Kreuzer wahrscheinlich deutlich interessanter als die Sternenkreuzer in den Filmen", lacht er. "Außerdem wird ihm wohl gefallen haben, dass er dort höchstens auf andere Taucher traf, aber von Darth Vader verschont wurde."
Obwohl Darth Vader sich als Taucher in Malin Head auch perfekt machen würde - die passenden Atemgeräusche hat er ja schon.