
Afrikaburn-Festival: Wunderwelt auf Zeit
Afrikaburn-Festival Die Wüste bebt
Als die Flammen den riesigen Mumienkopf aus Holz auf den Wüstenboden werfen, hält die Menge einen Moment inne. Für ein paar Sekunden verstummen die Bässe. Dann jubeln die Zuschauer und beginnen den Tanz um die Flammen. Tag vier des Afrikaburn-Festivals: Von nun an geht jeden Abend ein weiteres Stück der zuvor selbstgebauten Utopie in Flammen auf.
So will es die Tradition, und so wollen es auch die Burner, wie die Teilnehmer des Festes in der südafrikanischen Karoo-Wüste sich nennen. Alles, was sie mitbringen, nehmen sie wieder mit, und was zu groß ist für einen Transport, wird gemeinschaftlich verbrannt. Am Ende der einwöchigen Party soll nichts zurückbleiben als Erinnerungen und Staub.
Seit 2007 wird jährlich gefeiert. Wie das große Vorbild, das Burning Man Festival in den USA, ist dasAfrikaburn eine Wunderwelt auf Zeit: Kunstausstellung, Musikmarathon und Abenteuerurlaub zugleich, ein Spielplatz für Hedonisten und der Beweis, dass Individualismus und Kollektiv nicht immer ein Gegensatz sind. Gebuchte Bands oder DJs gibt es nicht. Das Programm organisieren die Besucher selbst, genau wie sie für die Gestaltung des Festortes sorgen und für seine Räumung.
Einer von ihnen ist Ricardo Pinto. Der 27-Jährige lehnt an einem alten VW-Bus, den er mit ein paar Kumpels in eine mobile Partymaschine verwandelt hat. An der Fassade kleben Hunderte Mini-Spiegel. Wo einst die Rückbänke waren, thront nun ein DJ-Pult. Pinto ist als nächster dran mit Auflegen. Über dem beigefarbenen Wüstenboden flirrt die Luft.
Radikales Selbstvertrauen, radikale Selbstdarstellung
Eigentlich lebt Pinto in Johannesburg, dort hat er den Partybus mit ein paar Freunden zusammengebaut. Für Afrikaburn haben sie das Gefährt auf einen Hänger gepackt und 1100 Kilometer Richtung Süden gekarrt. 20 Stunden Reisezeit, Schotterpisten, stechende Sonne. "Es hat sich gelohnt", sagt er.
Mit etwa 7000 anderen Verrückten ist Pinto in die Karoo-Wüste gepilgert. Dutzende Kilometer von der Zivilisation entfernt, ohne Internet oder Handy-Signal, nur Sonne und Sand. In Johannesburg haben er und seine Kumpels normale Bürojobs. "Afrikaburn ist Urlaub vom Alltag", sagt er.
Pinto trägt Zauberhut, eine blumenverzierte Weste, gelb-pinke Ballerinas und hat damit noch ein ziemlich dezentes Outfit gewählt. Andere Besucher streifen als Feen, Admirale oder im Adamskostüm durch den Sand. Wer besonders schnell sein will, knarrt auf umgebauten Autos - Einhörnern, Dinosauriern oder sonstigen Phantasiegefährten - über das sichelförmige Festivalgelände. Mehr als hundert Themencamps bieten Massagen, Lesezirkel, Theater und Oben-ohne-Poetry-Slams an.
"Afrikaburn ist radikales Selbstvertrauen, radikale Beteiligung und radikale Selbstdarstellung", sagen die Veranstalter. Die Selbstverwirklichung stößt nur da an Grenzen, wo sie andere stört. Wie beim Burning Man gibt es auch beim Afrikaburn ein paar Regeln. Keine Werbung, kein Zwang, kein Müll und vor allem: kein Geld. Das Festival basiert auf einer Geschenk-Ökonomie. Jeder Besucher bringt Schokokekse, Schminkstifte, Gin Tonic, Neon-Leuchten oder ein Mini-Konzert mit - am Ende ist genug für alle da. Die Idee funktioniert.
Tausche Gitarrenständchen gegen Frühstück
Keinen Kilometer von Ricardo Pinto und seiner DJ-Crew entfernt, streichen Janet Krisemann und Claudia Porges Beyer die Reste ihres Crêpe-Teigs in die Pfannen auf den Camping-Kochern. Ihre Männer schmeißen nebenan ein Jazz-Zelt. Die Frauen wollen auch etwas beisteuern.
Nach drei Stunden und 200 Teigfladen ist die bauchgroße Wanne vor ihnen leer. Die letzten Crêpes schieben sie sich selbst in den Mund. Kriseman und Porges Beyer sind überrascht, wie viel manche Besucher zurückgeben wollten. Manche kamen mit selbstgebastelten Ketten oder Gitarrenständchen zurück, um sich für ihre Teigfladen zu bedanken. "Morgen ist dann jemand anderes mit der Frühstücksversorgung dran", sagen sie.
Viele Burner sind wie sie mit der ganzen Familie angereist. Debbie und Ross Segmann sind in diesem Jahr zum zweiten Mal mit ihren Kindern dabei. Angst, den Kleinen könnte etwas passieren, haben sie nicht. "Hier gibt es keine Aggressionen", sagen sie. Als Sohn Jason im vergangenen Jahr über Stunden nicht auftauchte, wollten sie schon einen Suchtrupp losschicken. Doch Jason hatte sich nur in einem der Dutzenden Themenwagen versteckt und in der Hängematte gelegen.
"Dieses Jahr hatte Jason mehr Lust, wieder herzukommen, als wir", sagt Ross. Für den Achtjährigen ist das Gelände ein Abenteuerspielplatz. Er hat sich eine Tattoo-Strumpfhose übergestreift und eine gelb-grüne Perücke aufgesetzt. "Ich bin hier ein Rocker", sagt er.
Tanzen unter der Milchstraße
Monate vor dem Beginn des Festivals im April basteln Dutzende Freiwillige an den teils hausgroßen Skulpturen. Roboter-Hasen, Holzpyramiden und Riesenschaukeln verwandeln die karge Landschaft in eine bunte Ausstellung auf Zeit.
Robert aus den USA ist für die zwei Ballon-Schlangen verantwortlich, mit denen der Wüstenwind wirre Linien in den Himmel kritzelt. "Einfach, aber eindrucksvoll", sagt er, während er die Leine auf den Boden zerrt und LEDs an Hunderte Ballons heftet. Die LEDs steuert er nachts per Smartphone-App. Die Ballons blinken dann wie ein Spielautomat in die Dunkelheit hinein.
Das gesamte Festival ändert seinen Charakter, wenn die Nacht anbricht. Wenn die Sonne hinter den Bergen verschwindet, wird aus dem Spielplatz ein Club. Harte Bässe und Millionen Leuchtstäbe übernehmen unter der Milchstraße dann die Regie. Zehn Stunden nach seinem ersten Set an diesem Tag ist auch Ricardo Pinto wieder dabei.
Rote, gelbe und orangefarbene Leuchten schillern unter seinen Plattentellern und beleuchten ein Herz, das er und seine Kumpels auf die Mini-Spiegel gepinselt haben. "ELE" haben sie dort hineingeschrieben: Everybody loves everybody. In der afrikanischen Wüste scheint das zu funktionieren - zumindest bis das letzte Stück Utopie in Rauch aufgeht.