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Nicaragua: Surf den Vulkan!

Foto: ? Oswaldo Rivas / Reuters/ Reuters

Cerro Negro Surfen auf dem Vulkan

Es ist ein Höllenritt auf dem Surfbrett. Mit Tempo 50 geht es in Nicaragua über scharfkantiges Lavagestein den Hang eines aktiven Vulkans herab. Vor Schürfwunden und Knochenbrüchen wird gewarnt.
Von Manuela Imre

Manche Entscheidungen trifft man am besten ohne groß darüber nachzudenken. Mit Karacho einen aktiven Vulkan herunterzuboarden ist so eine Sache. In der Theorie klang das toll: "Einmalig, aufregend, Suchtgefahr!", hieß es in den Prospekten von jedem noch so kleinen Veranstalter für Ausflüge in Nicaraguas Städtchen Leon - mal auf Englisch oder Französisch, meist auf Spanisch, einmal sogar in brüchigem Deutsch.

Mehrsprachige Begeisterung zieht bei mir immer. Aber wahrscheinlich war schlichtweg die glühend heiße Sonne über den charmanten, aber recht heruntergekommenen Kolonialbauten Leons und die Aussicht auf den Fahrtwind bei über 50 km/h schuld, dass ich nun am Morgen hier stehe: mit einem Holzbrett unter dem Arm in 728 Meter Höhe auf dem Cerro Negro, Nicaraguas jüngstem und aktivstem Feuerspucker. In diesem Moment halte ich mich für verrückt.

Beim Blick hinunter auf die 41 Grad steile Außenwand ist die Entscheidung nur noch mit Sonnenstich erklärbar. Da hinunter rutschen? Ins schwarze Nichts, ohne das Ende der Bahn sehen zu können? Mit Höhenangst? Abstruse Idee. Leider sind die Alternativen, die sich mir gerade bieten, nicht besser: Hinter mir gähnt der Kraterschlund. Nach 45-minütiger mühsamer Kletterpartie über Felsbrocken auf der anderen Seite wieder runterzusteigen, ist auch keine Option. Ebenso wenig, hier oben lange zu verweilen. Dabei ist die Aussicht herrlich.

Im Hintergrund erstreckt sich die Vulkankette der Cordillera de los Maibios, der auch der Cerro Negro angehört. Der knallblaue Himmel steht im krassen Kontrast zur gelbgrünen Landschaft, auf der der tiefschwarze Vulkan sitzt. Zwischendrin zeigen die festgewordenen Magmawellen wohin sich die Lava beim letzten Ausbruch in die karge Prärie ergossen hat.

Abfahrt auf grobkörnigem Sandpapier

Das schwarze Ungetüm ist bekannt für seine vulkanische Aktivität. Entstanden 1850, ist Cerro Negro über 20-mal ausgebrochen, zuletzt 1999. Angesichts dieser Info darf einem schon mal das Herz in die Hose wandern - in diesem Fall in den orangen Schutzanzug, der zum Vulkanboarding verteilt wird und an die Gefangenenkleidung in Guantanamo erinnert. "Keine Panik, die Eruptionen sind sehr genau berechenbar", versicherte Gemma Cope, Managerin des Bigfoot Hostels, zum x-ten Mal in die internationale Runde plötzlich betreten dreinschauender Adrenalin-Wahnsinniger.

Gemma sollte es wissen. Im Big Foot Hostel hat 2005 die Idee ihren Ursprung - der Ritt auf dem Vulkan ist zu der Zeit noch ein Hirngespinst des damaligen Besitzers Darryn Webb. Der Australier hatte sich in den Kopf gesetzt, den Cerro Negro "besurfbar" zu machen. Was auf Sand zum Hit geworden war, müsste seiner Meinung nach auch auf feinem Vulkanschotter funktionieren. Er experimentierte mit Matratzen, Boogie-Boards und sogar einer Mini-Bar-Tür.

Am effektivsten erwies sich ein Sperrholzbrett mit einer Lage Metall am Boden, das man am Fuß des Vulkans in die Hand gedrückt bekommt. Es sieht erschreckend simpel aus. Keine coole Beschichtung, kein abgefahrenes Design - im High-Tech-Zeitalter hätte ich mir etwas mehr Schnickschnack gewünscht. Schnickschnack lenkt ab, beruhigt.

Woran festhalten, wie lenken und womit bremsen? Und wenn wir gleich dabei sind: Wo bitte ist der Verbandskasten? Beim ersten Griff ins Lavageröll wird nämlich klar: Das hier ist kein sanfter Pulverschnee. Schreddert man mit Tempo darüber, wird der Untergrund zu grobkörnigem Schleifpapier. Und wer will damit schon seine Haut bearbeiten? Dass es bereits garstige Schürfwunden und mehrere Knochenbrüche gab, daraus machen die Tourguides keinen Hehl. Das passiere den Draufgängern.

"Manche wollen nur den Geschwindigkeitsrekord knacken", erklärt Aaron Narvaez von Hokano Adventures. Der liege derzeit bei wahnwitzigen 89 km/h. Nicht umsonst hat es der Extremsport 2011 auf Platz zwei der "50-Thrillseeker-Bucket"-Liste des Nachrichtensenders CNN geschafft - knapp vor dem Tauchgang mit Salzwasserkrokodilen und hinter dem Fighter-Jet-Flug.

Wer schreit, der wird es bereuen!

Das Bremsen soll eigentlich ganz einfach sein. Im Sitzen beide Füße ins schwarze Vulkangestein stecken, alles andere sei Balance. Wer es schneller mag, weiter nach hinten lehnen. Stehend Surfen sei möglich, sitzend wesentlich einfacher. Der wichtigste Rat der Tourgides: Mund zu. Wer schreit, wird es angeblich bitter bereuen. Ein letztes Zurechtrücken der Schutzbrille und schon rauschen die ersten orangenen Gestalten umgeben von immensen Staubwolken den steilen Abhang hinab.

Mein "Run" beginnt mit ohrenbetäubenden Gerumpel. Sobald das Board über den Hang schleift, knattert und krächzt es, Steinchen und Staub fliegen mir um die Ohren und ins Gesicht. Ungut für die Sicht, aber eine Spazierfahrt ist das ohnehin nicht. Gerade als ich denke, dass es sich ein bisschen nach Achterbahn im vorderen Waggon anfühlt, ist die Balance dahin. Der Flug ins Geröll ist plötzlich und unsanft. Die Brille verrutscht, der Kopf landet im Gestein, natürlich geht das alles nicht ohne Aufschrei. Fazit: Den Mund voll Lavasteinchen zu haben lohnt nicht, das Zeug schmeckt nach nichts.

Doch weiter geht's. Es wird steiler, schneller, spannender. In den Augenwinkeln huscht die ockerfarbene Landschaft näher, etwas schneller geht noch. Ganz plötzlich ist es da, das berauschende Gefühl, das mir in Leon mehrfach versprochen wurde. Das Wissen, über einen aktiven Vulkan zu rauschen, in dessen Innersten es naturgewaltig tobt, ist tatsächlich einmalig und aufregend. Und sehr surreal.

Heil unten angekommen, blicke ich die steile Wand hinauf - und erschrecke noch einmal nachträglich. Unglaublich hoch sieht der Cerro Negro nun aus. Die Vulkansteinchen und der feine Staub, die sich in Haaren, Ohren und jeder freien Stelle im Gesicht festgesetzt haben, werden eine Weile daran erinnern, dass kopflose Entscheidungen oft schlichtweg die besten sind.

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