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Walhalla in Südaustralien: Eine Geisterstadt erwacht

Foto: Helgard Below

Geisterstadt in Südaustralien Goldrausch in Walhalla

Leben wie vor 150 Jahren: Mitten in den Viktorianischen Alpen lassen Australier das alte Goldgräberkaff Walhalla wieder auferstehen. Die Touristen kommen mit der Bimmelbahn, und sogar die Goldgier ist zurückgekehrt.

Langsam tuckert die kleine grüne Diesellokomotive mit ihren drei roten Waggons über die Thomson-River-Brücke und verschwindet im dichten Wald eines schmalen Tals. Baumfarnwedel und die Äste der riesigen Berg-Eukalypten ragen fast bis in die offenen Fenster.

Neben den Schienen schlängelt sich ein Bachlauf - der Stringer's Creek, benannt nach dem Mann, der 1862 in diesem entlegenen Tal ein sagenhaftes Goldvorkommen entdeckt hatte. Im Schritttempo braucht der einzige Zug der Walhalla Goldfields Railway 20 Minuten für die steilen vier Kilometer in den kleinen Ort mit der größten Goldader im Bundesstaat Victoria.

Dort, in Walhalla, ist die Strecke zu Ende - nach zehn Minuten Pause geht es wieder zurück. Immerhin jährlich 30.000 Passagiere bringt der Zug mit nur zwei Holzbahnhöfen in die einstige Geisterstadt - knapp ein Drittel aller Besucher.

Der australische Goldrausch ist weniger bekannt als der amerikanische - aber auch er lockte vor rund 160 Jahren Menschen aus aller Welt an. Nach dem ersten Goldfund 1851 in Warrandyte, einem Vorort von Melbourne in die Viktorianischen Alpen, verdreifachte sich innerhalb von zehn Jahren die Bevölkerung ganz Australiens.

Nach Edward Stringers Entdeckung zog es die Massen auch nach Walhalla, 180 Kilometer östlich von Melbourne. 72 Tonnen des begehrten Edelmetalls wurden gewonnen. Der Ort entwickelte Wohlstand - wuchs auf über 2500 Einwohner. Für sie gab es sieben Kirchen, zehn Hotels, 40 Shops, eine Brauerei, eine Bank und eine eigene Zeitung.

Walhalla, Sitz der Götter

Doch schon 50 Jahre später war der große Rummel vorbei. Der Abbau des wenigen, verbliebenen Goldes war nicht mehr rentabel genug - es lag zu tief in der Erde. Die Bewohner zogen weg, Häuser und Schienen wurden abgebaut, der Rest des einst florierende Goldgräberorts verfiel.

Bis Michael Leaney kam.

Bilderbuchstadt nennt er seinen Wohnort. "Ich glaube, Walhalla ist so beliebt, weil sie wie aus einer Kinderzeichnung wirkt", sagt der schlaksige Enddreißiger, der in Melbourne geboren wurde. Und wie im Malbuch reihen sich heute wieder die pittoresken Holzfassaden aneinander: die kleine Post, das Lädchen, der Musikpavillon und der gelbe Pub, die Bäckerei und das Feuerwehrhaus in Weiß, das graue Café.

Alles perfekt restauriert, wie im Freilichtmuseum. 30 Häuser gibt es, 15 Menschen leben hier, eine Reihe weiterer kommt täglich, um Touristen zu empfangen - in der Goldmine, der Schmalspurbahn oder am Postschalter.

Das höchste Gebäude mit zwei Stockwerken ist das einzige Hotel, mit verschnörkelten Holzbalkonen, zwölf Zimmern und einem kleinen Restaurant. Es gehört Leaney. "Es war schon immer mein Traum, ein Hotel zu besitzen", sagt er.

Die Rezeption ist mit alten Zeitungen tapeziert und an der Wand hängen Uhren, die die Zeit in den anderen drei Walhallas dieser Erde anzeigen. Sie liegen bei Regensburg, in North Dakota und South Carolina. "Alle Walhallas hatten ursprünglich norwegische oder deutsche Bewohner", erklärt er. In der nordischen Mythologie steht der Name für den Sitz der Götter.

Fünf-Kilo-Nugget und der neue Goldrausch

Einen Fernseher gibt es in dem Hotel nicht, auch der Handyempfang ist sehr stark eingeschränkt. Dafür können sich Besucher in der Bibliothek Bücher ausleihen - und Musik-CDs für den Player auf dem Zimmer. Das Walhalla's Star Hotel wurde 1873 gebaut, 1951 bei einem Brand komplett zerstört und von Leaney vor 15 Jahren nach alten Bauplänen wieder aufgebaut.

Das war der Startschuss für die Renaissance des kleinen Örtchens. Die Bibliothek, der Tante-Emma-Laden und einige Pensionen wurden restauriert, die Gemeinde als letzte auf dem australischen Festland an die Elektrizität angeschlossen und schließlich die Schmalspurbahn wieder in Betrieb genommen.

Und sogar einen kleinen Goldrausch gab es in der Gegend wieder: Der Sensationsfund eines Hobbysuchers feuerte ihn an. Er fand 2013 im nahen Örtchen Ballarat einen fünf Kilogramm schweren Nugget. Jetzt sind wieder Hunderte Goldsucher in Victoria gemeldet.

"In Walhalla lohnt sich das aber nicht", erklärt Minen-Guide Rae-Anne Vincent, "unser Gold liegt nicht an der Oberfläche, sondern tief im Untergrund." Dann führt sie Besucher mit Helm und Lampe in die fast tausend Meter tiefe Long-Tunnel-Extended-Goldmine, die ehemals eine der größten Victorias war und noch immer Tonnen an Gold verbirgt.

Die Touristen tasten sich durch dunkle Stollen und stellen sich die Mühsal der Bergarbeiter vor. Nur mit Meißel, Vorschlaghammer und Schwarzpulver zogen diese damals bei Kerzenlicht in die Schächte, in denen bis zu 40 Grad Celsius Hitze herrschte. Vor einer Sprengung mussten sie die Gänge fluchtartig verlassen, damit ihr Trommelfell nicht platzte. Und sich nach der Schicht komplett ausziehen, so sollte Schmuggel verhindert werden. Die staubige Arbeit war hart und ungesund, nur wenige Männer wurden älter als 30 Jahre.

Die Verstorbenen können auf einer "Geistertour" besucht werden: Auf dem Hangfriedhof mit den schrägen, bemoosten Grabsteinen liegen über tausend Leichen, und Leaney kann zu vielen eine Geschichte erzählen. Wie zu Doreen, der alten Postlady, die 1948 nach Walhalla kam und bis zu ihrem Tod 1988 die kleine gelbe Poststelle führte.

Nur auf einem Stein wurde als Todesursache "Unfall in der Mine" eingemeißelt. "In Wahrheit starben 50 Menschen dort", flüstert Leaney, "so wie Rhoda Spetts Verlobter, der kurz vor der Hochzeit bei einem Bergbauunfall umkam. Rhoda hat nie geheiratet und ihr Leben in Trauer verbracht. Noch heute kann man sie manchmal in ihrem Hochzeitskleid im Garten von Spetts Cottage tanzen sehen."

Leaneys Arm zeigt Richtung Ortsmitte. Fast scheint es, als wäre in der Dunkelheit ein irrlichternder Schimmer zu erkennen.

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