
Ringbahn rund um Rangun: Mitten in den Alltag Burmas
Zugfahrt in Burma Der Hinterhof von Rangun
Nichts geht mehr, die Bahn rührt sich nicht vom Fleck. Es sind nur noch knapp 100 Meter bis zum Hauptbahnhof, doch das Einfahrtsignal leuchtet rot. Und denkt nicht daran, irgendwann mal auf Grün zu wechseln.
Die Minuten verrinnen, einige Passagiere springen auf die Gleise, um den Rest zu Fuß zurückzulegen. Gefährlich ist das nicht, denn auf den Gleisen vor der Yangon Central Railway Station ist nichts los. Und wenn doch mal eine Bahn naht, dann tut sie es im Schneckentempo.
Der Rest der Fahrgäste harrt geduldig auf den Plastikbänken aus. Fast zweieinhalb Stunden hat der Zug gebraucht, um an diese Stelle zu kommen. Circle Line heißt die Ringbahn um Rangun, die frühere Hauptstadt Burmas.
Alle 20 Minuten fährt ein Zug, 37 Stationen liegen auf ihrem Weg. Wer ein wenig von der Hinterseite dieser faszinierenden südostasiatischen Metropole erfahren will, für den ist die Strecke wie geschaffen: Sie vermittelt einen guten Einblick in den Alltag der Stadt und ihrer Menschen.
Passagiere springen auf und ab
Die Fahrkarten gibt es in einer Bude an Gleis sieben, Ausländer zahlen rund 80 Cent für die ganze Strecke, Einheimische nur ein paar Cent. Es ist kurz nach 10 Uhr morgens, als die Diesellok an die Waggons ankoppelt. 1964 hat die Bundesrepublik 24 Lokomotiven an die damalige burmesische Eisenbahn geliefert, und die Lok DD.939 sieht so aus, als ob sie noch aus dieser Zeit stammt.
Drei Männer bedienen das gelb-blaue Ungetüm: der Lokführer in blütenweißem Uniformhemd, ein Mechaniker in blauem Overall und ein Elektriker in knallgelbem T-Shirt. Er wickelt einige dünne Kabel um Plus-Minus-Schrauben und steckt einen kleinen Haushaltsstecker in eine schwarze Dose. Nun haben die Waggons Strom, und die Fahrt kann weitergehen.
Viele Bahnhöfe stammen aus britischer Kolonialzeit - und haben sich seither kaum verändert. Flugs erreicht der Zug seine Höchstgeschwindigkeit, rund 20 km/h. Schneller wird er auf der ganzen Tour um Rangun nur selten, die Gleise und das Signalsystem sind zu marode, zu dicht an den Schienen leben Menschen. Dafür spart der Lokführer Zeit an den Bahnhöfen, er hält nur wenige Sekunden, die Passagiere springen schnell auf und ab. Das funktioniert ohne Probleme, Türen gibt es nicht.
Viele Anwohner nutzen den Zug, um ihre Lasten zu transportieren: Körbe von Obst, Gemüse, Bündel von Hühnern. Zitronenverkäufer entern den Zug und achten nervös darauf, dass sie nicht entdeckt werden. Frauen in ihren traditionellen langen Röcken, den Longyis, nutzen die Fahrzeit, um ihr langes Haar zu kämmen und es dann zu kunstvollen Frisuren zusammenzustecken.
Vorbei an Wellblechhütten und protzigen Villen
Neben den Gleisen hetzen Anwohner ihre Hähne zum Wettkampf aufeinander, auf den Bahnsteigen warten Mönche in ihren safranroten Roben. Auf fast jeder Plattform schmauchen Garküchen, haben Händler ihre Waren ausgebreitet. Eine Mutter puhlt ihrem Sohn Läuse aus dem Haar, viele nutzen die überdachten Wartehallen für ein Nickerchen.
Der Zug rollt an einfachen Wellblechhütten und verwitternden Mietskasernen vorbei, an protzigen Villen, an buddhistischen Klöstern und Kasernen. Er passiert Berge von Müllsäcken, ruckelt über stinkende graue Kanäle - und durch Orte, die bei manchen das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Er stoppt im Stadtteil Insein, der für sein Gefängnis berühmt und berüchtigt ist. Vom Zug aus sind ein paar Mauern zu erkennen. Bevor die Generäle im Jahr 2010 damit begannen, das Land zu liberalisieren, schmachteten hier Hunderte, wenn nicht gar Tausende von politischen Gefangenen, die Burmas Militärjunta zu irrwitzig hohen Haftstrafen verurteilt hatte, weil sie sich für ein demokratisches Land ausgesprochen hatten. Auch die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi war hier für ein paar Monate gefangen.
Ein paar Stationen weiter hält der Zug inmitten eines Marktes. Händler verkaufen Gurken, Kräuter, Lychees, Zuckerrohr, Betelnüsse. Dann zuckelt er durch ein Industriegebiet in den Außenbezirken. In der Nähe der Fabrikhallen ducken sich Strohhütten von Wanderarbeitern im Monsunregen, bei Sonnenschein hängen von den Dächern Hemden und Longyis zum Trocknen.
In den Waggons achtet ein junger Polizist in blauer Uniform auf die Sicherheit, bis er sich Kopfhörer in die Ohren stopft und auf seinem Handy Musik hört. Irgendwann prüft ein Kontrolleur die Fahrkarten. Von der Decke hängen Ventilatoren mit dem Logo der chinesischen Staatsbahn. Fenster gibt es nicht, wem die Sonne zu grell oder der Regen zu stark wird, kann eine Metalljalousie herunterziehen.
Zu langsam, zu schlecht, zu unpünktlich
Neue Zeiten in Burma: Der burmesische Weg zum Sozialismus, unter dem lange Jahre die Menschen litten, ist vergessen. Das Land hat sich geöffnet, Touristen sind wieder willkommen, und so mancher Zug der Ringbahn ist mittlerweile mit schreienden Werbefarben lackiert. Einer ist knallrot, er macht Reklame für Gold Roast - Coffee Mix.
Einige junge Burschen fotografieren sich mit ihren Handys vor den Reklameschildern der Telekom-Firma Ooredoo aus Katar so geschickt, dass es aussieht, als ob sie mit dem Model allein auf dem Foto seien. Ein junger Mann lehnt sich so weit aus dem Zug, als wollte er jedem Mädchen an den Gleisen seinen frisch gegelten Schopf zeigen.
Rund 90.000 Menschen nutzen jeden Tag die Ringbahn - und es werden immer weniger. "Zu langsam, zu schlecht, zu unpünktlich" sei sie, fanden japanische Experten heraus. Dafür hätte es freilich keiner ausländischen Fachleute bedurft, das hätte jeder Passagier berichten können. Private Busse, obwohl chronisch überfüllt und teurer als die Bahn, schnappen mittlerweile Passagiere weg. Die Ringbahn fährt seit Jahren heftige Verluste ein.
Das soll nun anders werden. Japan lieferte bereits einen vollklimatisierten Zug, Gleise, Weichen, Signale und Bahnhöfe sollen renoviert werden. Die Modernisierung dürfte allerdings weit über 300 Millionen Euro kosten und viele Jahre dauern. Zunächst aber muss, wie die Regierungszeitung "New Light of Myanmar" jüngst berichtete, eine Mauer an der Strecke her, um Unfälle zu verhindern, vor allem aber um jene abzuwehren, die dicht an den Gleisen ihre klapprigen Hütten errichten wollen.
Der Zug passiert die Station Golfplatz, dann kommt der internationale Flughafen Mingaladon in Sicht. Im Gleisbett haben Anwohner ihre Tücher zum Trocknen ausgebreitet. Schließlich rücken die Häuser näher - der Zug nähert sich wieder dem Hauptbahnhof, der Endstation. Es ist inzwischen fast 14 Uhr, knapp 50 Kilometer hat die Bahn auf ihrem Kreis zurückgelegt.
Irgendwann springt das Signal doch auf Grün.